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09. November 1923: 100. Jahrestag des gescheiterten Hitlerputschs

Die krisenhaften Jahre nach dem Ersten Weltkrieg erreichten 1923 ihren Höhepunkt und bildeten zusammen mit anderen Faktoren den Nährboden für den Aufschwung völkischer und rechtsextremer Bewegungen. Adolf Hitlers seit 1922 vielerorts verbotene rechtsradikale NSDAP konnte vor allem in Bayern eine größere Anhängerschaft gewinnen. Der von den Nationalsozialisten gemeinsam mit General Erich Ludendorff am 9. November 1923 unternommene Versuch, die Reichsregierung abzusetzen, scheiterte. Hitler musste nur eine kurze Haftstrafe verbüßen und verstand es, das Datum propagandistisch zu nutzen.

Hintergrund

Die Bestimmungen des Versailler Vertrags von 1919, der die Niederlage des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg besiegelte – dazu gehörten u.a. die Abtretung großer Gebiete und aller Kolonien, hohe Reparationszahlungen und die Übernahme der alleinigen Schuld am Kriegsausbruch –, wurden besonders von der extremen Rechten als Schande betrachtet. Als Reaktion auf die Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen im Januar 1923 hatte die Berliner Regierung den passiven Widerstand ausgerufen. Die sich im ganzen Reich infolge ungehemmten Druckens von Geldscheinen ausbreitende Hyperinflation führte zu großer wirtschaftlicher Not der Bevölkerung. Im Oktober 1923 kam es auch zu Übergriffen von Arbeitslosen auf Lebensmittelgeschäfte, wie etwa auch in Marburg.

Unruhen und kommunistische Aufstandsvorbereitungen in Sachsen, Thüringen und Hamburg erschütterten im Herbst 1923 die junge Republik. In Hessen fand die im Oktober ausgerufene Rheinische Republik, die die Loslösung vom Deutschen Reich anstrebte, in Wiesbaden, Rüdesheim, Königstein und Idstein Unterstützung.

Bayern hatte sich mit der blutigen Niederschlagung der Räterepublik 1919 durch Freikorpsverbände und Armee-Einheiten der Reichsregierung bereits in eine konservativ-nationalistische Richtung bewegt. Hinzu kam eine föderalistische, eher reichsfeindliche Tradition. Die Beendigung des Ruhrkampfs durch Gustav Stresemann im September 1923 wurde in rechten Kreisen als Verrat aufgenommen. Die bayerische Regierung unter Eugen Ritter von Knilling nahm sie im September zum Anlass, eine „nationale Diktatur“ in Berlin vorzubereiten. Dazu wurde Gustav Ritter von Kahr, der Kopf der bayerischen Rechtskonservativen, am 26. September zum Generalstaatskommissar mit außerordentlichen Exekutivvollmachten ernannt. Er rief den Ausnahmezustand in Bayern aus und setzte die Grundrechte außer Kraft, woraufhin Reichspräsident Friedrich Ebert den Ausnahmezustand über das gesamte Reich verhängte.

Kurz zuvor war der „Deutsche Kampfbund“ gegründet worden, zu dem verschiedene paramilitärische Verbände gehörten. Ihm gehörten u. a. der frühere Stabschef der Obersten Heeresleitung Erich Ludendorff als „Gallionsfigur“ und der NSDAP-Vorsitzende Adolf Hitler an. Beide strebten eine nationale Diktatur ohne Beteiligung ihrer Konkurrenten Kahr, Otto von Lossow, Kommandeur der bayerischen Reichswehrdivision, und Hans Ritter von Seißer, Chef der Bayerischen Landespolizei („Triumvirat“) an.

Offener Bruch Bayerns mit dem Reich

Nach einem gegen Reichspräsident Friedrich Ebert und den Chef der Heeresleitung, Hans von Seeckt gerichteten Artikel im „Völkischen Beobachter“ ordnete Reichswehrminister Otto Geßler am 20. Oktober das Verbot des Parteiorgans der NSDAP an. Doch Lossow widersetzte sich dem Befehl. Nach seiner Amtsenthebung unterstellte Kahr ihm die bayerische Division des Reichsheers und ließ sie am 22. Oktober auf seine Regierung vereidigen.

Der Putschversuch

Als Kahr am 8. November 1923 im Münchener Bürgerbräukeller über die Ziele seiner Politik sprechen wollte, nutzte Hitler die Gelegenheit zu dem bereits seit Längerem angedachten Putsch. Nachdem die SA das Gebäude umstellt hatte, riss er mit Pistolenschüssen die Aufmerksamkeit an sich und verkündete die nationale Revolution. Zusammen mit Ludendorff erpresste er – gemäß späterer Aussagen von Kahr, Kommandeuren der bayerischen Reichswehreinheiten und der Landespolizei, Lossow und Seißer, – deren Unterstützung für einen „Marsch auf Berlin“ in Anlehnung an Benito Mussolinis „Marsch auf Rom“. Die Putschisten erklärten die bayerische und die Reichregierung für abgesetzt.

Zur gleichen Zeit besetzte der Hitler-Anhänger und beurlaubte Reichswehr-Hauptmann Ernst Röhm mit einem Sonderkommando das Wehrkreiskommando VII, während Lossow heimlich regierungstreue Truppen zum Ort des Geschehens beorderte. Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Franz Matt rief in München die Bevölkerung zum Widerstand gegen die Putschisten (gegen den „Preußen Ludendorff“) auf und setzte sich mit den übrigen Kabinettsmitgliedern nach Regensburg ab, um die gesetzmäßige Regierungsgewalt zu sichern. Noch in dieser Nacht widerrief Kahr die Erklärungen des Triumvirats zum Putschversuch. Dennoch plakatierten die Putschisten am 9. November ihren angeblichen Sieg und nahmen neun sozialistische Stadträte als Geiseln. Inzwischen rückten Verbände von Reichswehr und bayerischer Landespolizei gegen das Wehrkreiskommando vor.

Der Marsch

Dilettantisch organisiert, marschierten mittags Hitlers und Ludendorffs Anhänger vom Bürgerbräukeller in Richtung Odeonsplatz. In dessen Nähe befand sich das Wehrkreiskommando, wo sich Röhm verschanzt hatte. Die Putschisten zogen Richtung Feldherrnhalle und durchbrachen dabei die aufgestellten Absperrketten. Bei Feuergefechten mit Verbänden der Reichswehr und der bayerischen Landespolizei gab es auf beiden Seiten Tote und Verwundete. Hitler entkam zunächst; der kurzzeitig verhaftete Ludendorff wurde gegen sein Ehrenwort auf freien Fuß gesetzt. Anders als etwa das „Putsch-Vorbild“ der russischen Oktoberrevolution war das Vorgehen der Putschisten in München planlos und dilettantisch. Erst die propagandistische Erhöhung der Aktion nach 1933 durch die Nationalsozialisten, etwa durch Stiftung des „Blutordens“ oder der „Blutfahne“ wie auch durch den Bau der Troost´schen Ehrentempel am Königsplatz und vieles mehr, erhielt der Putschversuch eine herausgehobene Bedeutung in der Geschichtspolitik.  

Währenddessen warteten NSDAP-Mitglieder in Kassel, zu denen u.a. der spätere Präsident des Volksgerichtshofs Roland Freisler gehörte, und andere völkische Gruppen in der Stadt auf den Befehl aus München, den Putsch gegen die Reichsregierung auch dort in Gang zu setzen. Da er ausblieb, unterblieb die Besetzung wichtiger Schaltstellen.

Der Prozess

Hitler wurde am 11. November 1923 verhaftet und die NSDAP im Reich verboten. In dem Prozess im Frühjahr 1924 vor dem Münchener Volksgericht nutzte der wegen Hochverrats angeklagte Hitler die mediale Aufmerksamkeit und stilisierte sich zum Ankläger hoch. Dabei deutete er die Kriegsniederlage als eigentlichen Landesverrat um. Zwar wurde er zu fünf Jahren Festigungshaft verurteilt, jedoch schon nach neun Monaten unter Auflagen entlassen. Während der Haft schrieb er Teile seiner programmatischen Hetzschrift „Mein Kampf“. Der ebenfalls angeklagte Ludendorff wurde wegen seiner Verdienste im Weltkrieg freigesprochen. Die Beteiligung von führenden Vertretern der bayerischen Regierung konnte erfolgreich vertuscht werden.

Ab 1925 rief Hitler zu alljährlichen Gedenkfeiern am 9. November auf. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 dienten sie der NS-Propaganda mit aufwändigen Inszenierungen. 1939 wurde das Datum zum Feiertag erhoben. Ein Teilnehmer des Putschversuches, der 1921 als Oberstleutnant aus der Reichswehr entlassene Hermann Kriebel, ging 1929 als Militärberater Chiang Kai-sheks nach China.

Bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung sind unter anderem folgende Publikationen zum Thema erhältlich: