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Heimatvertriebene/ Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler in Hessen

Hessen war und ist immer wieder für Menschen aus aller Welt, die vor Kriegen, Leid und Tod fliehen mussten, ein Zufluchtsort der Hoffnung gewesen. Die Aufnahme und Integration von Heimatvertriebenen sowie Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern ist seit Jahrzehnten Teil der hessischen Politik. Mit Margarete Ziegler-Raschdorf gibt es in Hessen eine "Beauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler", die sich jedoch auch mit aktuellen Fragen, wie die Aufnahme von Kriegsgeflüchteten aus der Ukraine, beschäftigt. Doch was sind eigentlich Heimatvertriebene sowie Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler? Und wie wird heute auf politischer Ebene mit der Geschichte dieser Menschen in Hessen umgegangen?

 

Hessen als neue Heimat für Heimatvertriebene

Mit dem Begriff „Heimatvertriebene“ werden Personen deutscher Staatsangehörigkeit oder sogenannte "Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit“ (juristischer Begriff) bezeichnet, die am 31. Dezember 1937 oder bereits einmal vorher ihren Wohnsitz in dem gesetzlich bestimmten Vertreibungsgebiet hatten. Darunter fallen Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit und "Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit“, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Ostgebiete des Deutschen Reiches, das Sudetenland und sogenannte „alte Siedlungsgebiete“ in Ost- und Südosteuropa verlassen mussten. Das neu geschaffene Land Hessen lag in der amerikanischen Besatzungszone.  Auf der Potsdamer Konferenz von 1945 wurde durch die alliierten Siegermächte beschlossen, dass Hessen die Aufnahme von insgesamt fast 721.000 Heimatvertriebenen zu leisten hatte. Dies entsprach bis 1950 einem Anteil von etwa sechs Prozent der insgesamt knapp zwölf Millionen in West-Deutschland aufgenommenen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen deutscher Herkunft oder Abstammung.

Etwas mehr als 400.000 Vertriebene aus Ungarn und der Tschechoslowakei, insbesondere aus dem Sudetenland, erreichten Hessen zwischen Januar 1946 und Mai 1949. Anfangs wurden die eintreffenden Geflüchtete übergangsweise in mehr als 200 Durchgangslagern aufgenommen. Durchschnittlich 31 Prozent der nach Hessen gelangten vertriebenen Deutschen stammten aus den Ostgebieten des Deutschen Reichs. Davon waren 69 Prozent „Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit“ aus den ostmittel- und südeuropäischen Ländern, v.a. aus der erneut gegründeten Tschechoslowakei. Neben den Vertriebenen, die in der letzten Kriegsphase und kurz nach Kriegsende kamen, strömten auch schon seit Kriegsbeginn weitere Menschen nach Hessen. Insgesamt führte das zu einem Nettobevölkerungszuwachs von rund 890.000 Menschen, den das kriegsgeschädigte Land zu bewältigen hatte.

Hessen als neue Heimat für Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler

"Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler" sind nach der gesetzlichen Definition des Bundesvertriebenengesetzes deutsche "Volkszugehörige", die die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und sich innerhalb von sechs Monaten in Deutschland niedergelassen haben. Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler werden Menschen nur dann genannt, wenn sie ab dem 1. Januar 1993 in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen sind. Wer vor dem 1. Januar 1993 in die Bundesrepublik gekommen und als Aussiedlerin und Aussiedler anerkannt worden ist, behält den Aussiedler-Status. Die Anerkennung als Aussiedler oder Spätaussiedler erfolgt nach dem Bundesvertriebenengesetz.

Bis zum 31. Dezember 1992 wurden im amtlichen Sprachgebrauch solche Menschen Aussiedlerinnen und Aussiedler genannt, die als deutsche Staatsangehörige in den ehemals deutschen Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie geboren wurden und zunächst nach 1945 dort verblieben sind. Auch deren Kinder und Ehepartner anderer Volkszugehörigkeit werden bei gemeinsamer Flucht als Aussiedlerinnen und Aussiedler kategorisiert. Ebenfalls als Aussiedlerinnen und Aussiedler gelten Menschen, die als deutsche Volkszugehörige aus den (ehemaligen) Republiken der Sowjetunion im Rahmen eines Aufnahmeverfahrens in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder der Deutschen Demokratischen Republik übergesiedelt sind, sowie deren Angehörigen, die ebenfalls flüchteten.

 

Infoportal "Russlanddeutsche in Hessen"

Seit November 2021 gibt es ein Infoportal „Russlanddeutsche in Hessen“. Auftraggeber des Infoportals ist die Interessengemeinschaft der Deutschen aus Russland in Hessen, ein Zusammenschluss der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LMDR) – Landesgruppe Hessen und der Deutschen Jugend aus Russland in Hessen (DJR-Hessen e.V.). Entwickelt wurde das Portal vom „Institut für digitales Lernen“ in Zusammenarbeit mit der „Digitale Lernwelten GmbH“, die beide in Eichstätt ansässig sind. Das Infoportal soll sich nicht nur an Russlanddeutsche selbst richten, sondern stehe vor allen Dingen und selbstverständlich allen geschichtsinteressierten Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung. Ziel des Infoportals ist es, den Besucherinnen und Besuchern der Seite umfangreiche Informationen zur Geschichte der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler in moderner Aufmachung zur Verfügung zu stellen.

Hessen wurde für 1,8 Millionen Geflüchtete und Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg sowie für Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler zur neuen Heimat. Demnach hat nahezu ein Drittel der hessischen Bürgerinnen und Bürger selbst oder über ihre Familien einen Vertreibungshintergrund oder ein Aussiedlerschicksal.

Gedenk- und Kulturarbeit für Heimatvertriebene sowie Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler

Der Auftrag für einen Forschungsbereich in Hessen zur Gedenk- und Kulturarbeit der Heimatvertriebenen sowie Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler ist mit Verabschiedung des hessischen Haushaltsplanes 2022 erteilt worden. Ein besonderes Argument für die intensivierte Gedenk- und Kulturarbeit ist dem Umstand geschuldet, dass die Zeitzeugengeneration, die die Flucht und Vertreibung noch selbst erleben musste, zunehmend stirbt.

Das zentrale Anliegen der hessischen Regierung ist die Einrichtung eines Forschungsbereichs, der die Erinnerung an die Vertreibungsgebiete wachhält sowie das Geschehen von Flucht und Vertreibung untersucht. Im aktuellen Koalitionsvertrag der hessischen Regierungskoalition heißt es dazu:

Hessens Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg ist in weiten Teilen auch geprägt von der Leistung der Heimatvertriebenen. Um Kultur und Geschichte der Vertriebenen und Spätaussiedler wissenschaftlich aufzuarbeiten, wollen wir einen Lehrstuhl an einer hessischen Universität einrichten und sie in einer vom Land getragenen Dauerausstellung darstellen.

Für die Forschung sollen zunächst bis 2026 300.000 Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt und dadurch ein Lehrstuhl an der Justus-Liebig-Universität Gießen finanziert werden. Ein Schwerpunktbereich „Historische Erinnerung und kulturelles Erbe – Vertriebene und Spätaussiedler in Hessen seit 1945“ soll in Kooperation mit dem Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung der Leibniz-Gemeinschaft entstehen.