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Die Geschichte des Fliegens auf der Wasserkuppe bis 1945

Die Wasserkuppe in der Rhön: Zwischen Sport und Technik in der Wiege des (Segel-) Fliegens und Jugendverführung am NS-Täterort

Die Wasserkuppe erhebt sich mit 950 Metern Höhe als bedeutendes touristisches Wahrzeichen aus der osthessischen Rhön. Nur wenigen der rund 19 Millionen jährlichen Tagesbesucherinnen und -besuchern ist dabei die facettenreiche Geschichte der Wasserkuppe als „Berg der Flieger“ bekannt.

Bereits 1911 nutzten Schülerinnen und Schüler aus Darmstadt die geografisch und thermisch günstigen Bedingungen auf dem höchsten hessischen Berg bei ersten Flugversuchen. An dessen Westhang erinnert noch heute ein Fliegerdenkmal in Form eines bronzenen Adlers, das 1923 vor den Augen eines rund 30.000 Menschen zählenden Publikums eingeweiht wurde, an diejenigen fliegenden Pioniere und Piloten, die im Ersten Weltkrieg ihr Leben verloren. Nachdem der motorisierte Flug in der jungen Weimarer Republik infolge der Bestimmungen des Friedensvertrags von Versailles weitestgehend verboten wurde, entwickelte sich die Wasserkuppe rasch zu einem nationalen Zentrum für den Segelflug. In den zwei Jahrzehnten nach dem ersten Rhön-Segelflugwettbewerb 1920 entstand auf dem hessischen Berg ein überwiegend noch heute erhaltener Gebäudekomplex, der Tausenden von Jugendlichen als Schulungszentrum für den Segel- und Motorflug diente. In den 1920er-Jahren gelangen auf der Wasserkuppe bahnbrechende technische Innovationen auf den Gebieten Segel-, Motor- und Raketenflug. Um den Aspekten der Sport- und Technikgeschichte in der Rhön zu gedenken, besuchte 1970 Neil Armstrong, der ein Jahr zuvor als erster Mensch einen Fuß auf den Mond gesetzt hatte, die Wasserkuppe als Wiege der nationalen und internationalen Flugzeugforschung. Ab 1933 übernahmen die Nationalsozialisten den Ausbildungsbetrieb auf der Wasserkuppe und passten ihn in die völkisch-militärische NS-Weltanschauung ein. Ein architektonisches Denkmal setzten sie der Ausnutzung jugendlicher Flugbegeisterung für ihre politisch-militärischen Ziele 1939 mit der „Ehrenhalle der Flieger“, die bis heute ein Teil des noch bestehenden Gebäudekomplexes auf der Wasserkuppe ist. 

Ein Großteil der flug- und technikbegeisterten jungen Männer, die zwischen 1933 und 1945 die Ausbildung zum Flugzeugführer bzw. fliegerischen Bodenpersonal durchlaufen hatten, fielen an der Front des Zweiten Weltkrieges. Die Geschichte der Wasserkuppe als Schauplatz erster, primitiver Flugversuche vor dem Ersten Weltkrieg, Wiege bedeutsamer technischer Errungenschaften auf dem Weg des Menschen ins Weltall sowie nationalsozialistischer Täterort der Jugendverführung ist in dieser Melange deutschlandweite einzigartig.

Das auf der Wasserkuppe ansässige Deutsche Segelflugmuseum mit Modellflug widmet sich in Kooperation mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung neben den technischen und sportlichen Aspekten der dortigen Fluggeschichte nun auch den Facetten des nationalsozialistischen Missbrauchs jugendlicher Flugbegeisterung zur Gewinnung fliegerischen Nachwuchses für die Luftwaffe. Die Publikation „Volk, flieg du wieder! Die Geschichte des Fliegens auf der Wasserkuppe“ dient hierbei als pädagogisches Begleitmaterial zur Ausstellung am Lern- und Erinnerungsort Wasserkuppe. Neben der Geschichte des dort betriebenen Flugsportes und des Schulungsbetriebes vor und nach 1933 thematisiert sie besonders die Strategien der nationalsozialistischen Flugpropaganda in Schrift, Bild und Film. Gerade angesichts gegenwärtige Kriege und Krisensituationen sowie den enormen Auswirkungen, die beispielsweise Gentechnik und Künstliche Intelligenz zukünftig auf das menschliche Zusammenleben haben könnten, erscheint die Aufklärung junger Menschen über historische Erscheinungsformen und mögliche Wirkmechanismen staatlicher Lenkung wieder hochgradig aktuell.

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