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30. Juli 1923: Der Wert eines US-Dollars überschritt erstmalig die Grenze von einer Million Reichsmark – Auftakt der Kalenderblatt-Reihe zur Hyperinflation 1923

Ob im Supermarkt, in der Fußgängerzone, auf der Baustelle oder im Arbeitsalltag – überall scheint ein Begriff gerade allgegenwärtig zu sein: Inflation. Besonders die Nachwirkungen der Corona-Pandemie und die ökonomischen Konsequenzen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine führen hierzulande aktuell zu Kaufkraftverlust und Geldentwertung. Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern, aber auch bei Unternehmensführungen, drückt sich dies nicht nur in einer gesteigerten Neigung zum Sparen und zur Geldanlage in Sachwerten aus, sondern auch in schwindendem Vertrauen in die Währung an sich. Gerhard Trabert, Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychatrie ist überzeugt, dass die aktuellen Inflationserfahrungen sich vor allem auch psychisch auf unsere Gesellschaft auswirken und nennt die Inflation eine „absolut extreme psychische Drucksituation“. Die Teuerung fordert also vor allem auch die psychische Stabilität, die Resilienz und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Dass neben ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wirkebenen weiterhin die Konsequenzen der Geldentwertung auf politischer Ebene von immenser Bedeutung sind, zeigt der exakt hundertjährige Blick zurück in die Geschichte der Weimarer Republik.

Während die Inflationsrate im Juni 2023 bei +6,4% lag – die privaten Verbrauchsausgaben für die gleichen Waren und Dienstleistungen sich im Vergleich zum Vorjahr also um durchschnittlich 6,4% erhöht haben -, erreichte sie im Hyperinflationsjahr 1923 Höhen bis zu 50% im Monat. Ein Beispiel: ein Liter Milch kostete im Juni 1923 1.440 Mark. Anfang Dezember 1923 mussten Käuferinnen und Käufer für die gleiche Ware 360 Milliarden Mark zahlen. Bürgerinnen und Bürger transportierten Geld in Schubkarren zum Einkaufen, Löhne wurden für jeden Arbeitstag ausgezahlt, weil der Geldwert sich buchstäblich über Nacht änderte, und Menschen heizten mit Geldscheinen anstatt Kohle zu kaufen, weil sich ersteres mehr rentierte.

Den Anlass für diesen Beitrag bietet der hundertste Jahrestag des 30. Juli 1923: An jenem Tag überschritt der Wert eines Dollars erstmals die Grenze von einer Million Reichsmark. Für eine Tafel Schokolade, die vor exakt 100 Jahren in den USA 3 Dollar kostete, hätte man dementsprechend in der Weimarer Republik am selben Tag 3.000.000.000 Reichsmark zahlen müssen. Die Inflationserfahrungen 1923 wurden zum deutschen Trauma, das mitunter über Generationen weitergegeben wurde. Worin lagen 1923 die Ursachen der Geldentwertung? Wie wirkte sie sich in Hessen aus? Welche Strategien entwickelte die Reichsregierung zur Bewältigung der Inflation? Und welche Schlüsse können aus diesen historischen Erfahrungen für den Umgang mit der gegenwärtigen Teuerung gezogen werden?

Mit alle diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich die Kalenderblatt-Reihe der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung zur Hyperinflation 1923. Anhand von spezifischen Jahrestagen, an denen in Rüsselsheim, Kassel und Frankfurt jeweils von den Gemeinden Notgeldscheine ausgeben wurden, beleuchten wir chronologisch das Fortschreiten der Inflation sowie ihre Bewältigung durch eine Währungsreform und die Einführung der neuen Rentenmark. Folgender Ablauf ist für die Kalenderblatt-Reihe geplant:

Knapp 6.000 Städte, Gemeinden, Kreise, Post- und Eisenbahnstellen druckten 1923 eigenes Notgeld, teilweise ohne Genehmigung des Reichsfinanzministeriums und ohne – wie gesetzlich festgelegt – einen entsprechenden Gegenwert bei der Reichskreditgesellschaft in Berlin einzuzahlen. Von diesem Notgeld gaben alle Ausgabestellen in der Weimarer Republik im Jahr 1923 zusammen 700 Trillionen Mark aus. Hinzu kamen 524 Trillionen zusätzliche Mark, die die Reichbank selbst druckte. Zu den hintergründigen Ursachen der Hyperinflation zählten in erster Linie die Schulden, die das Deutsche Reich zur Finanzierung des Ersten Weltkriegs aufgenommen hatte, sowie die im Versailler Vertrag von 1919 von den Siegermächten festgeschriebenen Reparationszahlungen, die die Weimarer Republik an die alliierten Sieger zu leisten hatte. Nichts habe die Deutschen „so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht“ wie die Inflationserfahrungen von 1923 schrieb der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig in den 1940er-Jahren in seinen Erinnerungen. Dieser Satz kann uns in der historischen Rückschau eine mahnende Erinnerung an die politische Sprengkraft sein, die Kaufkraftverlust, Teuerung und Geldentwertung für eine Gesellschaft haben können. Aus der Perspektive der historisch-politischen Bildungsarbeit lohnt in diesem Sinne der hundertjährige Blick zurück, um die Ursachen, Wirkmechanismen und Beschleuniger der Hyperinflation von 1923 in ihrer Komplexität zu erfassen. Aus der Betrachtung der historischen Inflationserfahrungen können Parallelen zu gegenwärtigen Entwicklungen gezogen, aber auch strikte Abgrenzungen gemacht werden. Daraus wiederum können im besten Fall Handlungsweisen für Bürgerinnen und Bürger im Umgang mit den individuellen und psychischen sowie den kollektiven gesellschaftlichen Folgen der Inflation erwachsen.