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10. September 1923: 100. Jahrestag der Ausgabe von 50-Millionen-Markscheinen in Kassel im Rahmen der Hyperinflation 1923

Die durch die zwischen 1914 und 1918 entstandenen Kriegs- und Kriegsfolgekosten sowie die massive Erhöhung der Menge des in Umlauf befindlichen Bargelds staatlicherseits, mit denen diese Kosten gedeckt werden sollten, führten in den Jahren während und nach dem Ersten Weltkrieg zu einer schleichenden Inflation in Deutschland. Im Jahr 1923 entglitt diese – befeuert durch die Ruhrbesetzung und die Reaktion der Reichsregierung Cuno (parteilos) darauf in Form des „passiven Widerstands“ – jeglicher staatlichen Kontrolle. In dieser wirtschaftspolitischen Krisenlage genehmigte das Reichsfinanzministerium die Ausgabe von Notgeldscheinen durch kommunale und private Ausgabestellen. Zu diesen zählte ab dem 10. September 1923 auch der 1810 gegründete Kasseler Maschinen-, Fahrzeug- und Rüstungskonzern „Henschel und Sohn“. Wie prägte die Firma „Henschel und Sohn“ die Notgeldausgabe in Kassel? Welche Geschichte steht hinter dem Kasseler Traditionsunternehmen, das vor allem für seine Eisenbahnen bekannt war? Und wie wurde die Mitte August 1923 eingeführte Regierung Stresemann (DVP) der Hyperinflation in der jungen Weimarer Republik Herr?

Wirtschaftspolitische Lage in der Weimarer Republik 1923

Neben der schleichenden Inflation der Kriegs- und Nachkriegsjahre belasteten die im Versailler Vertrag von 1919 festgeschriebenen Reparationszahlungen, die das Deutsche Reich an die westlichen Siegermächte des Ersten Weltkrieges zu leisten hatte, die erste deutsche Demokratie als schwere wirtschaftspolitische Hypothek. Im Angesicht der Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen am 11. Januar 1923 als Reaktion auf einen Rückstand deutscher Reparationsleistungen erreichte die Inflation in der ersten Jahreshälfte Höhen von über 50 Prozent im Monat. In dieser Situation griff die Reichsregierung auf eine bereits im Ersten Weltkrieg angewandte Methode zurück: Die Etablierung von Gemeinden und (Industrie-) Unternehmen als Ausgabestellen von sogenanntem „Notgeld“, das (meist in regionalen Grenzen) wie die Reichsmark als Zahlungsmittel akzeptiert wurde. Entgegen staatlicher Vorgaben hinterlegten jedoch nicht alle Ausgabestellen einen materiellen Gegenwert bei der Reichsbank, sodass sich die Menge an ungedecktem Notgeld in der zweiten Jahreshälfte 1923 auf schätzungsweise 400.000.000.000 bis 5.000.000.000 (Milliarden) Reichsmark belief. Hinzu kamen etwa 11.000.000.000.000.000.000 (Trillionen) Mark, die von der Reichsbank selbst ausgegeben worden waren. Auch die 50-Millionen-Markscheine der Kasseler Firma „Henschel und Sohn“ machten einen Teil dieser inflationären Geldmenge aus.

„Henschel und Sohn“ – Familienunternehmen, Rüstungsbetrieb, bedeutender Lokomotivenhersteller in Europa

Auf den 50-Millionen-Reichsmark-Scheinen, die die Firma „Henschel und Sohn“ ab dem 10. September 1923 ausgab, war neben dem Schriftzug „Fünfzig Millionen Reichsmark, einzulösen an unserer Kasse oder an der Kasse des Bankhauses Pfeiffer“ das bekannteste Produkte der Firma abgebildet: eine Lokomotive. Georg Christian Henschel trat Ende des 18. Jahrhunderts das Erbe seines Schwiegervaters als fürstlicher Stückgießer an, als der er Geschützrohre herstellte. 1810 gründete er gemeinsam mit seinem Sohn Johann Werner Henschel die Gießerei „Henschel und Sohn“. Damit gehört der Konzern, der auch Dampfmaschinen und später Eisenbahnen produzierte, zu den ältesten Rüstungsunternehmen Europas. 1920 wurde das Unternehmen als eines der größten Lokomotivwerke Deutschlands in eine GmbH umgewandelt. Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg produzierte „Henschel und Sohn“ Rüstungsgüter – im Zweiten Weltkrieg auch unter Einbeziehung mehrerer Tausend Zwangsarbeiter. Die Werke machten Kassel zu einem wichtigen Ziel alliierter Luftangriffe und wurden im Oktober 1943 bei einem solchen schwer beschädigt. Noch heute existieren Nachfolgeunternehmen von „Henschel und Sohn“ in Kassel.

Wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen der Regierung Stresemann

Auf dem Höhepunkt der wirtschaftlichen Krise übernahm Gustav Stresemann (DVP), geboren 1878, am 13. August 1923 das Amt des Reichskanzlers an der Spitze einer Koalition aus SPD, Zentrum, DDP und seiner DVP und in Personalunion das Außenministerium. Rasch initiierte er Gespräche mit Frankreich und Belgien und löste die Ruhrfrage mittelfristig durch die  „produktive Verpfändung“ eines Teils der deutschen Wirtschaft. Mit dem 26. September 1923 endete der Ruhrkampf offiziell nur weniger Wochen nach Stresemanns Amtsantritt. Als wichtigste wirtschafts- bzw. währungspolitische Maßnahme seiner Regierungszeit gilt jedoch die Einführung der Rentenmarkt am 1. November 1923. Obwohl es sich bei der Rentenmark lediglich um eine Übergangswährung handelte, erfuhr sie schlagartig eine überwältigende Akzeptanz in der Bevölkerung und beendete die Hyperinflation der Sommermonate – getauscht im Verhältnis 1:1 Billion Reichsmark – innerhalb weniger Wochen. Ab dem 30. August 1924 wurde die Übergangswährung schrittweise wieder von der goldgedeckten Reichsmark abgelöst. Dennoch behielt die Rentenmark bis zur Durchführung der Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen sowie in der sowjetischen Besatzungszone im Juni 1948 ihre Gültigkeit.

Weitere Informationen zum Wirken der Hyperinflation von 1923 in Hessen und deren Bekämpfung finden Sie in der Kalenderblatt-Reihe der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung zu diesem Thema.

Bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung sind unter anderem folgende Publikationen zum Thema erhältlich: