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13. August 1923: 100. Jahrestag der Ernennung Gustav Stresemanns zum Reichskanzler und Außenminister

Anfang August des Jahres 1923 dominierte die grassierende Hyperinflation in der jungen Weimarer Republik sowohl den Alltag der Bürgerinnen und Bürger als auch die politischen Debatten. Im Angesicht der Häufung an Krisen im Jahr 1923 –neben der Hyperinflation vor allem die massive innenpolitische Radikalisierung, die unter anderem zu den Morden an Matthias Erzberger (Zentrum) 1921 und Außenminister Walther Rathenau (DDP) 1922 führte, sowie die französisch-belgische Ruhrbesetzung seit Januar 1923 – schien die Weimarer Republik beinahe zu zerbrechen. Der Regierung unter Reichskanzler Gustav Stresemann (DVP) gelang es, die Ruhrbesetzung zu beenden, die Währung durch eine erfolgreiche Währungsreform zu stabilisieren und den Anfang einer Phase relativer innenpolitischer Stabilität zwischen 1924 und 1929 zu markieren. Auf welche Maßnahmen der Regierung Stresemann gründeten sich diese politischen Erfolge? Und was zeichnete den Politiker Stresemann aus, der die Weimarer Republik in seiner kurzen Kanzlerschaft bis November 1923 entscheidend prägte?

Wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Lage der Weimarer Republik im Jahr 1923

Die wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Verhältnisse in der Weimarer Republik wurden bereits seit ihrer Gründung von der schweren Hypothek einer massiven Erhöhung der sich in Umlauf befindlichen Geldmenge zur Deckung der Kriegs- und Kriegsfolgekosten belastet. Darüber hinaus verpflichtete der Versailler Vertrag von 1919 die erste deutsche Demokratie zur Zahlung hoher Reparationen an die Westalliierten. Als die Weimarer Republik zu Beginn des Jahres 1923 bei der Lieferung von Holz, Kohle und Telegrafenmasten im Rahmen dieser Reparationen in den Rückstand geriet, besetzten belgische und französische Truppen am 11. Januar das Ruhrgebiet. Die Reichsregierung unter Kanzler Wilhelm Cuno (parteilos) rief in Reaktion auf die Ruhrbesetzung zum „passiven Widerstand“ auf. In der Folge erreichte die bereits zuvor gestiegene Inflationsrate Höhen von über 50 Prozent im Monat und entglitt jeglicher staatlichen Kontrolle.

Reichsregierung unter Reichskanzler Gustav Stresemann

Vor dem Hintergrund der galoppierenden Inflation der ersten Jahreshälfte 1923 sprachen sich führende Sozialdemokraten und Zentrumspolitiker zunehmend für die Bildung einer großen Koalition unter einem Reichskanzler Stresemann aus. Besonders die „Deutsche Allgemeine Zeitung“, ein Sprachroher der rechtsliberalen „Deutschen Volkspartei“, plädierte öffentlich für eine Regierungsbeteiligung des Parteigründers Stresemann. Geboren 1878 als Sohn eines Berliner Bierhändlers, studierte Stresemann zunächst Literatur und Geschichte und später Nationalökonomie in Leipzig. Ab 1917 bekleidete er das Amt des Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Nationalliberalen Partei und war nach der Novemberrevolution 1918 Parteivorsitzender der DVP. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit seiner Unterstützung der Obersten Heeresleitung um General Erich Ludendorff im Ersten Weltkrieg galt Stresemann eher als „Vernunftrepublikaner“ als als überzeugter Demokrat. In der Reichsregierung unter seiner Führung hatte er neben dem Reichskanzleramt außerdem das Amt des Außenministers inne, welches er auch über seine Kanzlerschaft hinaus bis zu seinem Tod im Oktober 1929 bekleidete.

Stresemann gelang es in seiner Position als Reichskanzler, die divergierenden Interessen innerhalb seiner großen Koalition (SPD, Zentrum, DDP und DVP) unter dem Credo des „Zusammenschlusses aller den verfassungsmäßigen Staatsgedanken bejahenden Kräfte“ zu einen. Auf sein Betreiben wurden Gespräche mit Frankreich und Belgien über die Reparationen aufgenommen, wobei er einen Teil der deutschen Wirtschaft als „produktives Pfand“ anbot, um die direkt finanziell zu entrichtenden Reparationen zu mindern. Am 26. September 1923 stellte die Regierung den Ruhrkampf offiziell ein. Durch die erfolgreiche Einführung der Rentenmark als neue deutsche Währung am 1. November 1923, die im Verhältnis 1:1 Billion gegen die alte Reichsmark getauscht wurde, konnte die Hochinflation der Sommermonate erfolgreich überwunden werden. Unter dem Druck antirepublikanischer Kräfte des extremen rechten Lagers in Bayern bzw. kommunistischer Verbände in Thüringen und Sachsen geriet die Regierung Stresemann im Oktober 1923 in eine Regierungskrise. Ihren Ursprung hatte diese auch darin, dass Finanzminister Rudolf Hilferding (SPD) ein „Ermächtigungsgesetz“ forderte, um der Lage Herr zu werden. Im Angesicht dieser Regierungskrise trat Stresemann zurück, wurde jedoch von Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) erneut mit der Regierungsbildung beauftragt.

Stresemanns Außenpolitik

Stresemann prägte auf dem Feld der Außenpolitik besonders das Verhältnis der Weimarer Republik zu ihren westlichen Nachbarn – den Kriegsgegnern und Siegermächten des Ersten Weltkriegs. Mit dem Ziel, die im Versailler Vertrag von 1919 festgeschriebenen Regelungen schrittweise zu verändern und schließlich zu revidieren, knüpfte Stresemann als Außenminister an die Erfüllungspolitik seiner Vorgänger an. Auf der Konferenz von Locarno im Oktober 1925 akzeptierten die Vertragspartner Deutschland, Belgien und Frankreich gegenseitig ihre Grenzen, wobei Großbritannien und Italien als Garantiemächte fungierten. An das Vertragswerk von Locarno geknüpft war die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund, die 1926 auch tatsächlich vollzogen wurde. Für sein Engagement für die Etablierung eines gemeinsamen Sicherheitssystems mit den ehemaligen westlichen Kriegsgegnern des Ersten Weltkriegs wurde Stresemann im Dezember 1926 gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Aristide Briand der Friedensnobelpreis verliehen.

Eduard Dingeldey – hessischer Vorsitzender der DVP von 1931 bis 1933

Mit dem Juristen Eduard Dingeldey, geboren 1886 in Gießen, drängte nach der Ära Stresemann ein hessischer Politiker in die Führung der DVP. Nach seinem Parteieintritt 1919 gehörte er zunächst als Fraktionsvorsitzender dem hessischen Landtag an. Von Mai 1928 bis November 1933 war er außerdem als Parlamentarier im Reichstag aktiv, wobei er zwischen 1931 und der Auflösung der Partei im Juni 1933 auch das Amt des Parteivorsitzenden bekleidete. In dieser Funktion versuchte er zwischen den Liberalen und Rechten innerhalb der eigenen Partei zu vermitteln, die seinen Bemühungen zum Trotz immer mehr in der politischen Bedeutungslosigkeit versank. Nach den Reichstagswahlen am 5. März 1933 verblieb er als einer von nur zwei Abgeordneten der DVP im Reichstag. An der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten am 23. März 1933 nahm er wegen einer Krankmeldung nicht teil. Während Dingeldey eine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten in den ersten Monaten des Jahres 1933 noch ablehnte, wechselte er wenig später als Hospitant zur Reichstagsfraktion der NSDAP. Anschließend zog Dingeldey sich aus der Politik zurück und arbeitete wieder als Rechtsanwalt.

Bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung sind u.a. folgende Publikationen zum Thema erhältlich: