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19. Juli 1898: 125. Geburtstag des deutsch-amerikanischen Philosophen, Politologen und Soziologen Herbert Marcuse

Herbert Marcuse zählte zu den bedeutendsten Gesellschaftskritikern der Frankfurter Schule und war Mitarbeiter des in die Schweiz und USA exilierten Instituts für Sozialforschung. Mit seinem Werk „Der eindimensionale Mensch" fand er ein großes Echo in der Studentenbewegung Ende der 1960er-Jahre, der seine Sympathie und sein aktives Engagement galt.

Herkunft, Schule

Der am 19. Juli 1898 in Berlin geborene Herbert Marcuse entstammte als Sohn des Textilfabrikanten Carl Marcuse dem assimilierten jüdischen Großbürgertum. Er ging auf das Berliner Mommsen-Gymnasium, das er 1916 mit dem Notabitur verließ, da er zum Heeresdienst eingezogen wurde.

Erster Weltkrieg, Novemberrevolution

Marcuse verbrachte seinen Heeresdienst aufgrund eines Augenleidens bei einer Luftschiffer-Ersatz-Abteilung in Darmstadt. 1917 wurde er Mitglied der SPD, die er jedoch nach der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wieder verließ. Auch den Soldatenrat von Berlin-Reinickendorf, in den er nach Kriegsende gewählt worden war, verließ er nach kurzer Zeit, nachdem frühere Generäle hineingewählt worden waren. Er bewunderte den ehemaligen „Vorwärts“-Journalisten und USPD-Politiker Kurt Eisner, den Ministerpräsidenten des von diesem ausgerufenen Freistaats Bayern. Eisner war wie Marcuse Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten.

Akademische Laufbahn, Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung

1919 begann Marcuse Philosophie, Literaturgeschichte und Nationalökonomie zu studieren, zunächst in Berlin, dann in Freiburg, wo er 1922 über den deutschen Künstlerroman promovierte. Danach arbeitete er im Buchhandel und Verlagswesen in Berlin. 1924 heiratete er Sophie Wertheim. 1935 wurden sie Eltern eines Sohns.

1928 nahm Marcuse seine Philosophie-Studien wieder in Freiburg auf. Er war Schüler von Edmund Husserl und Martin Heidegger. Seinen Plan, sich bei letzterem über Hegel zu habilitieren, musste er wegen Heideggers Ablehnung aufgeben.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 floh der als Jude von Verfolgung bedrohte Marcuse zunächst in die Schweiz und wurde er Mitarbeiter an dem von Max Horkheimer geleiteten, zwischenzeitlich nach Genf übergesiedelten Instituts für Sozialforschung. In diesem Jahr beschäftigte er sich auch mit Karl Marx‘ Frühschriften, die ihn stark beeinflussten. In der Zeitschrift „Die Gesellschaft“übte er mit Marx Kritik am Kapitalismus als ultimative Krise des menschlichen Wesens. Unter kapitalistischen Verhältnissen sei der Mensch „entfremdet“ und könne sich nicht entsprechend seinen Möglichkeiten entfalten.

Exil in den USA

Ende Juni 1934 emigrierte Marcuse nach New York, wo er eine feste Stelle an dem neu gegründeten Institut für Sozialforschung an der Columbia University erhielt und wichtige Beiträge für die Zeitschrift für Sozialforschung verfasste. In ihr erschien 1934 der Aufsatz „Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung“, in dem er sich kritisch mit der Nähe seines ehemaligen Hochschullehrers Heidegger zum Nationalsozialismus auseinandersetzte. 1937 veröffentlichte er mit Horkheimer den Aufsatz „Philosophie und kritische Theorie“ und prägte damit das Programm der Kritischen Theorie wesentlich mit.

1940 wurde Marcuse amerikanischer Staatsbürger. Ab 1942 arbeitete er in der Mitteleuropaabteilung des amerikanischen Geheimdienstes Office of Strategic Services (OSS), der Vorläuferorganisation der heutigen CIA, in Washington. Zu seinen Aufgaben gehörte u.a. die Analyse der politischen und gesellschaftlichen Lage im nationalsozialistischen Deutschland. Nach Kriegsende forschte er in einer Nachfolgeorganisation des OSS u.a. über den Sowjetkommunismus und über psychologische Kriegsführung.

1952 begann er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am New Yorker Russian Institute der Columbia University und 1954 am Russian Research Center der Harvard University in Cambridge (Massachusetts). Im gleichen Jahr starb seine Frau. 1956 heiratete er Inge Neumann, Dozentin für moderne Sprachen und Witwe von Franz Neumann, der führend im OSS gearbeitet hatte. 1958 nahm er an den hochkarätig besetzten Darmstädter Gesprächen zu dem Thema „Ist der Mensch messbar?“ teil.

Von 1954 bis 1964 war Marcuse Professor für Politische Wissenschaften an der Brandeis-University in Waltham/Massachusetts. 1964 nahm er außerdem eine Gastprofessur in Frankfurt am Main an. 1965 erhielt er einen Lehrstuhl für Politikwissenschaft an der University of California in San Diego und zusätzlich eine außerordentliche Professur an der Freien Universität Berlin.

Gegner des Vietnamkriegs und Leitfigur der Studentenbewegung

1966/67 gehörte Marcuse zu den engagierten Gegnern des amerikanischen Vietnamkriegs und zu den Mitstreitern in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Seine beiden 1955 und 1964 erschienenen Hauptwerke – „Eros and Civilization“ (1967 in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Triebstruktur und Gesellschaft) und „One-Dimensional Man“ (1967 unter dem Titel „Der eindimensionale Mensch“) – zählten zu den meistrezipierten Schriften der Studentenbewegung und Neuen Linken, insbesondere in den USA und Deutschland. Sie gelten zusammen mit Marcuses Schrift „Repressive Toleranz“ (1965), in der er für den Entzug von Toleranz gegenüber aggressiven und zerstörerischen Kräften der politischen Rechten plädiert, als seine bedeutendsten Arbeiten zur Kritischen Theorie.

Marcuse als Konsumkritiker

Marcuse war ein Analytiker der Manipulation des Individuums. Eine "totale" Verführung gehe vom kapitalistischen Wirtschaftssystem aus, die in der Konsequenz eine "Gesellschaft ohne Opposition" ermögliche: Das Individuum werde glücklich durch latenten Konsum und identifiziere sich daher auch mit dem System. Die große Mehrheit der Angepassten würden ihren Lebenssinn im Wareneinkauf finden. Sein „Eindimensionaler Mensch“ ist der durch verführende Werbung entmündigte Bürger. Dem stellt er die Negation, die Verneinung durch Kritik und die Suche nach dem qualitativ Anderen wie Freiheit und Glück entgegen.

Anders als Theodor W. Adorno und Max Horkheimer übernahm Marcuse eine aktive politische Rolle während der studentischen Protestbewegung, die ihn als ihren Mentor ansah. 1967 und 1969 verbrachte er mehrere Monate in Europa und hielt Vorträge mit Diskussionen vor Studierenden in Berlin, Paris, London und Rom. Das Verhältnis zu Horkheimer ging in dieser Zeit in die Brüche, das zu Adorno war ebenfalls stark angeschlagen. 1955 hatte die Kontroverse mit dem Institutskollegen und Psychoanalytiker Erich Fromm zum Ende ihrer Freundschaft geführt.

Die letzten Jahre

Nach dem Tod seiner Frau Inge 1973 heiratete Marcuse 1976 Erica Sherover. 1979 nahm er an den Frankfurter Römerberggesprächen teil. Er starb am 29. Juli 1979 in Starnberg an einem Hirnschlag während eines Besuchs bei Jürgen Habermas.