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27. Mai 1923: 100. Geburtstag des deutsch-amerikanischen Politikwissenschaftlers und republikanischen Politikers Henry Kissinger

Der Sohn deutsch-jüdischer Emigranten spielte als Nationaler Sicherheitsberater und Außenminister zwischen 1969 und 1977 eine zentrale Rolle in der amerikanischen Außenpolitik unter den Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford. Er vertrat eine umstrittene Politik der Stärke, setzte sich im Kalten Krieg aber auch für eine Entspannung ein und war Verfechter einer sogenannten Realpolitik, die ihre Entscheidungen auf der Grundlage der Betrachtung der tatsächlichen Umstände sowie der Chancen und Risiken ohne Bezug auf werteorientiertes oder ideologisches Denken, wie etwa Menschenrechte, trifft. 1973 erhielt Kissinger gemeinsam mit Lê Đức Thọ den Friedensnobelpreis für ein Waffenstillstands- und Abzugsabkommen mit Nordvietnam.

Kindheit und Jugend

Henry Kissinger wurde am 27. Mai 1923 im bayerischen Fürth als Heinz Alfred Kissinger jüdischer Eltern geboren. Er wuchs zunächst in seiner Geburtsstadt auf, wo er die Schule besuchte. Um der nationalsozialistischen Verfolgung zu entgehen, emigrierte die Familie 1938 über London nach New York. Dort besuchte er die George Washington Highschool. 1943 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft und wurde zum Militärdienst bei der U.S. Army eingezogen. Er kämpfte gegen Adolf Hitlers Ardennenoffensive 1944/45 und kam im Frühjahr 1945 in Krefeld und Hannover zum Einsatz.

In Deutschland nach Kriegsende

Bevor Kissinger in die USA zurückkehrte, arbeitete er von Mitte 1945 bis April 1946 in der amerikanischen Besatzungszone beim Counter Intelligence Corps in der südhessischen Stadt Bensheim. Ziel dieses Nachrichtendienstes war es, Kriegsverbrechen aufzuklären und die Entnazifizierung in Deutschland voranzutreiben. Anschließend unterrichtete er an der European Command Intelligence School im Militärstützpunkt und Verhörzentrum Camp King in Oberursel (Taunus).

Eintritt in die Politik

Anfang der 1960er-Jahre war Kissinger unter den Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson Berater für den Nationalen Sicherheitsrat und bis 1967 als Berater in Abrüstungsfragen tätig.

Mit dem Sieg des Republikaners Richard Nixon bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen 1968 wurde Kissinger offizieller Berater für Außen- und Sicherheitspolitik (National Security Advisor) und bereitete 1971 mit Geheimreisen die Normalisierung der amerikanisch-chinesischen Beziehungen vor. Zwar setzte er sich von der von Kennedy und Johnson gegenüber der Sowjetunion eingeleiteten Politik der Aussöhnung und Annäherung ab, trug aber als amerikanischer Unterhändler in den strategischen Rüstungsbegrenzungsgesprächen zum Zustandekommen des SALT-I- (Strategic Arms Limitation Talks) und ABM- (Anti Ballistic Missiles) Vertrags zur Begrenzung strategischer Raketen bei.

Obwohl Nixon seine Wahl mit dem Versprechen gewonnen hatte, den Vietnamkrieg zu beenden, verstärkte seine Regierung die Angriffe auf den gegnerischen Vietcong. Dabei wurde auch das neutrale Kambodscha völkerrechtswidrig bombardiert, um Nachschublinien der kommunistischen Nordvietnamesen zu zerstören. Angesichts der militärischen Aussichtslosigkeit und der zunehmenden Ablehnung des Vietnamkriegs in der amerikanischen Bevölkerung führte Kissinger mit dem Nordvietnamesen Lê Đức Thọ Vorgespräche, die 1973 zu einem Friedensvertrag führten. Beide Politiker erhielten hierfür 1973 den Friedensnobelpreis.

1973 übernahm Kissinger das Amt des Außenministers, das er auch im Kabinett von Präsident Gerald Ford bis Januar 1977 innehatte. In dieser Funktion versuchte er vor allem im Nahostkonflikt durch die als „shuttle diplomacy" (Pendeldiplomatie) bezeichnete intensive Reisetätigkeit zwischen der arabischen und israelischen Seite zu vermitteln. Damit handelte er die Beendigung des Jom-Kippur-Kriegs aus und initiierte im Dezember 1973 die Genfer Nahostkonferenz, auf der die Kontrahenten des Nahostkonflikts direkt zusammentrafen. Kissinger gilt als einer der Wegbereiter der gegenseitigen Anerkennung von Israel und der palästinensischen Führung.

Im September des gleichen Jahres mündete Kissingers Politik in Chile in einen Militärputsch, der die Regierung des Sozialisten Salvador Allende beendete. Zwei Jahre später hatte der indonesische Präsident Suharto die Rückendeckung der US-Regierung für die Invasion und Besetzung Osttimors, um eine vermeintliche kommunistische Bedrohung abzuwenden. Zwischen 1976 und 1983 konnte die argentinische Militärjunta mit Billigung der USA gewaltsam gegen politische Gegner vorgehen.

Wissenschaftliche Karriere

Nach seiner Rückkehr in die USA im Jahr 1947 studierte Kissinger an der Harvard University. 1952 schloss er dort sein Studium mit dem Master ab, zwei Jahre später mit einer Promotion über „A World Restored: Metternich, Castlereagh and the Problems of Peace 1812–1822“. Von 1952 bis 1969 leitete er die als Harvard International Seminar bezeichnete Sommeruniversität für Nachwuchskräfte. In diesen Jahren lernte er bereits Persönlichkeiten aus aller Welt kennen, mit denen er später als Außenpolitiker zu tun hatte. 1957 wurde er zum Dozenten, 1962 zum Professor in Harvard berufen, wo er bis 1965 lehrte.

Rückzug aus der aktiven Politik

Mit dem Sieg Jimmy Carters bei den Präsidentschaftswahlen 1977 endete Kissingers Ministeramt. Von 1977 bis 1981 war er Direktor der amerikanischen Denkfabrik Council on Foreign Relations. 1982 gründete er die Beratungsfirma „Kissinger Associates“. Durch zahlreiche Veröffentlichungen meldete er sich weiter zu aktuellen politischen Fragen zu Wort.

1987 wurde er mit dem Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen ausgezeichnet. 2005 erhielt er den Bayerischen Verdienstorden, 2007 die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg. 2013 wurde an der Universität Bonn zu Kissingers Ehren eine Stiftungsprofessur eingerichtet.

Bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung sind u.a. folgende Publikationen zum Thema erhältlich: