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10. Mai 1949: 75. Jahrestag der Wahl Bonns zur vorläufigen Bundeshauptstadt

Bei dem Begriff „Hauptstadt“ – dem politischen und administrativen Herzen eines Staates – dachten Deutsche zwischen 1871 und 1945 wohl intuitiv an die preußische Millionenmetropole Berlin. Nachdem die vier Hauptsiegermächte das deutsche Territorium nach 1945 in vier Besatzungszonen und Berlin in vier Sektoren geteilt hatten, stellte sich die Hauptstadtfrage im Laufe der Gründungsphase des westdeutschen Nachkriegsstaats in einem völlig neuartigen machtpolitischen Kontext: Die Entfremdung zwischen den einstigen Bündnispartnern gegen den Nationalsozialismus, den USA und der Sowjetunion, mündete in den Jahren nach 1945 um das offene Ringen um Einflusssphären in Europa und schließlich in den sogenannten Kalten Krieg. Berlin als geteilte „Frontstadt“ des Kalten Krieges kam somit aus verschiedenen Gründen politischer und pragmatischer Natur nicht mehr als Hauptstadt der im Entstehen begriffenen Bundesrepublik in Frage. Ihre Nachfolge wollten neben den aussichtsreichsten Kandidaten Bonn und Frankfurt am Main unter anderem auch Kassel und Stuttgart antreten. Warum fiel die Wahl auf Bonn? Welche Personen und Hintergründe spielten bei der Entscheidung für die später als „Bundesdorf“ bezeichnete Stadt am Rhein eine Rolle?

Gründungsphase der Bundesrepublik und Berlin-Blockade

Die vier Hauptsiegermächte übernahmen nach 1945 gemeinsam die oberste Regierungsgewalt im besiegten Deutschland und definierten Demokratisierung, Dezentralisierung, Demilitarisierung und Denazifizierung zu den vier gemeinsamen Leitlinien ihrer Deutschlandpolitik. Im Laufe der Jahre 1946/1947 trat der Dissens in der deutschlandpolitischen Perspektive hinsichtlich Demontagen, aber auch mit Blick auf die politische Zukunft Deutschlands, besonders zwischen den USA und der Sowjetunion, die beide einen globalen, machtpolitischen und ideologischen Führungsanspruch propagierten, immer deutlicher hervor: Spätestens der Auszug des sowjetischen Vertreters Sokolowskij aus dem obersten Gremium der Besatzungsherrschaft am 20. März 1948, dem Alliierten Kontrollrat, vor dem Hintergrund der Beratungen über die Gründung eines Weststaats auf der Londoner Sechsmächtekonferenz markierte das endgültige Scheitern der interalliierten Deutschlandpolitik. Die Westalliierten übergaben den westdeutschen Ministerpräsidenten daraufhin am 1. Juli 1948 den Gründungsauftrag für den Nachkriegsstaat und führten am 20. Juni eine separate Währungsreform in den Westzonen durch. Nachdem es bereits seit Anfang des Jahres 1948 zu „technischen Störungen“ und Behinderungen der Zufahrtswege in der Berliner Westsektoren durch die sowjetische Militäradministration (SMAD) gekommen war, reagierte diese mit einer totalen Blockade des Personen- und Güterverkehrs nach West-Berlin auf die westzonale Währungsreform. Die Blockade hatte nicht nur die westalliierte Luftbrücke zur Folge – das stark kriegszerstörte, als Exklave in der SBZ gelegene und von der SMAD blockierte Berlin kam nun endgültig nicht mehr als Hauptstadt des neuen Weststaats in Frage.

Beratungen zur Hauptstadtfrage im Parlamentarischen Rat

Die verfassungsgebende Versammlung, der „Parlamentarische Rat“, der ab dem 1. September 1948 die Verfassung des westdeutschen Nachkriegsstaats erarbeitete, tagte aus Proporzgründen – darauf hatten sich die westdeutschen Ministerpräsidenten geeinigt – in der wenig zerstörten nordrhein-westfälischen Stadt Bonn am Rhein. Neben den Verfassungsberatungen zum Grundgesetz, das diesen Namen tragen sollte, um den provisorischen Charakter des Weststaats auf dem Weg zum gesamtdeutschen Nachkriegsstaat zu betonen, debattierten die 65 stimmberechtigten Abgeordneten auch über die Hauptstadtfrage. Während sich weite Teile der CDU um den ehemaligen Kölner Oberbürgermeister, amtierenden Präsidenten des Rats und späteren Bundeskanzler Konrad Adenauer für Bonn aussprachen, plädierten die SPD und hessische CDU-Abgeordnete für Frankfurt am Main. Die stark kriegszerstörte Mainmetropole verfügte mit der eilig wiederaufgebauten Paulskirche als Sitz des ersten gesamtdeutschen Parlaments von 1848/1849 über einen bedeutenden Ort der deutschen Demokratiegeschichte und empfahl sich des Weiteren aufgrund der Lage am Schnittpunkt der drei Besatzungszonen sowie als bedeutender Industriestandort in der US-Zone. Der hessische Ministerpräsident Christian Stock (SPD) war sich des Sieges von Frankfurt so sicher, dass er Frankfurts Bereitschaft bereits am 3. September 1948 in einem persönlichen Brief am Adenauer bekräftigte. Dieser versuchte hingegen, durch die Erwirkung des Abzugs der in Bonn stationierten belgischen Truppen Platz für künftige Ministerien und Vertretungen zu schaffen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung veranlasste außerdem den Umbau der „Pädagogischen Akademie“ zu einem künftigen Parlament. In den Wintermonaten des Jahres 1948 meldeten darüber hinaus Stuttgart – begründet durch die zentrale geografische Lage und infrastrukturelle Anbindung – und Kassel ihre Kandidaturen an. Letztere knüpfte dabei an Vorstöße des Berliner Oberbürgermeisters Ernst Reuter (SPD) sowie von Carlo Schmid (SPD) an, die Bundesorgane möglichst nah an die Zonengrenze zu verlegen, um so den provisorischen Charakter des Weststaats zu unterstreichen. Eine „Kommission zur Prüfung der Angaben der Städte Bonn, Frankfurt, Kassel, Stuttgart betreffend den vorläufigen Sitz des Bundes“ prüfte die Eignung der Städte im Februar 1949. Ihr Bericht vom 28. April beinhaltete jedoch keine klare Empfehlung. Zwei Tage nach der Verabschiedung des Grundgesetzes, am 10. Mai 1949, fand im Parlamentarischen Rat schließlich die geheime Abstimmung über die künftige Bundeshauptstadt statt: Mit 33 zu 29 Stimmen sprachen sich die Abgeordneten für Bonn aus.

Diskussion der Hauptstadtfrage im Bundestag

Trotz der Entscheidung des Parlamentarischen Rats wurde die Hauptstadtfrage endgültig erst im im August 1949 gewählten Bundestag geklärt. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Erich Ollenhauer brachte noch in der konstituierenden Sitzung am 7. Oktober einen Antrag zur Verlegung der Bundesorgane nach Frankfurt am Main ein, gleichlautende Anträge gingen von einzelnen CDU- und FDP-Abgeordneten ein. Ein am 30. September eingesetzter „Sonderausschuss für die Frage des vorläufigen Sitzes der Bundesorgane“ sollte innerhalb von drei Wochen die Eignung der Städte Frankfurt am Main und Bonn prüfen. Am 3. November wählte der Bundestag Bonn schließlich zum Regierungssitz stimmten jedoch auch für den entsprechenden Antrag der SPD-Fraktion, der folgendes verlautbaren ließ: „Die leitenden Bundesorgane verlegen ihren Sitz in die Hauptstadt Deutschlands, Berlin, sobald allgemeine, freie, gleiche, geheime und direkte Wahlen in ganz Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone durchgeführt sind.“ Erst nach dem Mauerbau erkannte Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) Bonn 1973 als Bundeshauptstadt an. Erst Inkrafttreten des Einigungsvertrags 1990 machte Berlin erneut zur Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands.

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