Zum Hauptinhalt springen

1848: 175. Jahrestag der „Deutschen Revolution“

Ist vom Jahr 1848 die Rede, so steht es als Synonym für demokratischen Aufbruch mit der „Deutschen Revolution“ oder auch „Märzrevolution“, die ihr Epizentrum in Frankfurt am Main, genauer gesagt in der Frankfurter Paulskirche hatte. In der Erinnerungskultur nehmen diese Jahre einen wichtigen Platz ein als erste parlamentarisch-demokratischer Initiative in den deutschen Ländern, die sich für heute verfassungsrechtlich verwirklichte Werte wie Volkssouveränität und Bürgerrechte einsetzte. Die revolutionäre Bewegung von 1848 war zwar nicht das erste, aber eines der bedeutendsten Kapitel in der deutschen Demokratiegeschichte. Im Jahr 2023 jähren sich die Ereignisse zum 175. Mal. Obwohl die revolutionären Kampagnen für liberale Werte wie Presse- und Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit keineswegs auf den Deutschen Bund begrenzt blieben, sondern vielmehr als gesamteuropäisches Phänomen verstanden werden wollen, verbinden die Ereignisse des Jahres 1848 das heutige Hessen auf besondere Weise mit dem historischen Kampf um jene Werte, die besonders heute höchste Aktualität besitzen. Und obwohl die Revolution gesamteuropäisch mit Ausnahme der Schweiz scheiterte, wirkte ihr Erbe in der gesamten Neueren und Neusten deutschen Geschichte nach. Aus diesen Gründen widmet sich die Hessische Landeszentrale für politische Bildung dem 175. Jubiläum des Jahres 1848 mit einer Reihe analoger wie digitaler Angebote, von Publikationen über Podcasts bis hin zu Veranstaltungen. Eine Auswahl ist auf dieser Seite zusammengestellt, die laufend ergänzt wird.

(Video-) Podcasts zu den Themen Demokratiegeschichte, Heppenheimer Versammlung und Revolution 1848/49

Podcast-Reihe in Kooperation mit dem Institut für Stadtgeschichte Frankfurt "Was geschah mit Robert B.?" über die Ermordung des Paulskirchenabgeordnete und Revolutionär Robert Blum

Folge 26 „Revolution von 1848/49 in Hessen“ des Podcast „Literatur und Politik“

Kooperationsprojekt mit dem Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt: Ausstellung „Auf die Barrikaden“ im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt mit bebildertem Begleitband 

Der folgenden Zeittafel kann eine Chronologie der Geschehnisse des Jahres entnommen werden. 

Die revolutionären Geschehnisse, die am 18. Mai 1848 zum Zusammentreten einer verfassungsgebenden Versammlung in der Paulskirche führten, sind notwendigerweise in einen größeren lokalen und zeitlichen Zusammenhang einzuordnen, um sie in ihrer Vielschichtigkeit begreifen zu können. Die Vorgeschichte der Revolution beginnt spätestens mit den Auswirkungen der Französischen Revolution bzw. der napoleonischen Besatzungsherrschaft auf das europäische Staatensystem.

Die europäischen Mächte führten insgesamt fünf Koalitionskriege gegen Napoleons Frankreich. 1806 kam es zur Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, 1807 brach Preußen, 1809 Österreich nach der militärischen Niederlage zusammen. Im Kampf gegen die französische Hegemonialmacht entwickelte sich in der Bevölkerung ein zuvor nicht gekanntes Nationalbewusstsein, das die politische und territoriale Neuordnung des Kontinents nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft 1815 überdauerte. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte dieses Nationalbewusstsein nach dem Sieg der preußisch-österreichisch-russischen Allianz über Frankreich in der Völkerschlacht bei Leipzig 1813. Es formierte sich eine nationalliberale Bewegung, die unter anderem nach Einheit im Nationalstaat, Zentralgewalt, Parlamentarismus, Volkssouveränität und Wirtschaftsliberalismus strebte.

Trotz repressiver Überwachungs- und Zensurmaßnahmen im auf dem „Wiener Kongress“ 1815 geschaffenen Deutschen Bund organisierte sich diese Bewegung personell vor allem in den Burschenschaften der Universitäten und proklamierte ihre Forderungen auf dem Wartburgfest 1817. Auf Initiative des österreichischen Staatskanzlers Klemens Fürst von Metternich, dessen Person aufs engste mit der Restauration verbunden war, wurden 1819 auch in Reaktion auf das Wartburgfest die Karlsbader Beschlüsse erlassen, mit denen die Pressefreiheit eingeschränkt und die Universitäten unter staatliche Kontrolle gestellt wurden. Am 17. Mai 1832 trafen sich etwa 20.000 Nationalliberale auf dem Hambacher Schloss, um ihre Forderungen zu artikulieren. Am Hambacher Fest nahmen außerdem viele Polen nach dem gescheiterten Aufstand 1830/1831 für mehr nationale Selbstbestimmung unter dem Joch der russischen Fremdherrschaft teil Die Julirevolution in Frankreich 1830, in der der „Bürgerkönig“ Louis Philippe eingesetzt wurde, fachte die Kampagnen der Nationalliberalen in ganz Europa neu an. Hieran ist der Internationalismus der frühen Revolutionsbewegung erkennbar, der sich im Laufe der Revolution in einen exklusiven Nationalismus wandelte. 5.000 bis 6.000 Personen nahmen am selben Tag auch am Gaibacher Fest im heutigen Bayern teil.

Neben der politischen Kooperation etablierte sich in den Territorien des Deutschen Bundes auch vermehrt die Zusammenarbeit in ökonomischen Fragen. So wurde 1834 der deutsche Zollverein gegründet, dessen Zielsetzung die Schaffung eines wirtschaftlichen Binnenmarktes unter Vereinheitlichung der fiskalischen Rahmenbedingungen war. Neben Preußen umfasste der Deutsche Zollverein zu Beginn das Großherzogtum Hessen, Kurhessen, Bayern, Württemberg, Sachsen und die thüringischen Einzelstaaten. Derweil blieben die österreichischen Kronlande im Deutschen Bund außen vor. Bis 1836 traten Baden, Nassau und Frankfurt dem Zollverein bei, 1842 erweiterte sich das Zollgebiet um Luxemburg, Braunschweig und Lippe.
 

Der Kampf der bürgerlich-liberalen Öffentlichkeit gegen den verfassungspolitischen Stillstand verschmolz ab den 1840er-Jahren mit weiteren sozialen und wirtschaftlichen Faktoren und entwickelte so eine revolutionäre Sprengkraft. Der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft veränderte die ökonomischen Bedingungen grundlegend, die Urbanisierung verschärfte die soziale Not vor allem in den überfüllten Städten und Ballungsräumen. Die daraus resultierende Verelendung ganzer Bevölkerungsschichten bezeichnet man als Pauperismus. Missernten durch Kartoffelfäule und eine Welthandelskrise führten zu Hungerwintern 1846 und 1847, verursachten Hungerkrawalle, Streikwellen und Agrarrevolten. Im Rahmen des Schlesischen Weberaufstands 1844 verliehen die hungernden Menschen ihrer Verzweiflung Ausdruck. Insgesamt war der Revolutionsausbruch also strukturell und langfristig durch das Zusammentreffen von politischer Unzufriedenheit, wirtschaftlichen Krisen und sozialer Not bedingt.

„Solche Verhältnisse der Perspektiv- und Ausweglosigkeit boten den Nährboden für Bettelei und Kleinkriminalität, die auch in den hessischen Staaten und Nassau weit verbreitet waren. Fast 90% aller Vergehen, die beispielweise 1847 in Darmstadt zu einer Verhaftung führten, fielen darunter.“

Michael Wettengel: Revolution von 1848/49 in Hessen. Die hessischen Staaten, Nassau, Waldeck und Frankfurt, Wiesbaden 2022, S. 24.
 

Am 10. Oktober 1847 trafen sich 18 führende liberale Politiker aus dem deutschsprachigen Raum im Gasthof „Zum halben Monde“ im südhessischen Heppenheim, um über die politischen Verhältnisse im Deutschen Bund zu beraten. Die Wahl auf Heppenheim als Veranstaltungsort fiel einerseits aufgrund der ruhigen ländlichen Lage abseits der Zentren potentieller Revolutionäre und damit Metternich‘scher Überwachung und andererseits aufgrund der guten Anbindung an das Schienennetz. Karl Mathy berichtete in der Deutschen Zeitung vom 15. Oktober 1847 von Ablauf und Ergebnissen der Heppenheimer Tagung. Eine breite Öffentlichkeit wurde durch die Übernahme der Meldungen in verschiedenen anderen Zeitungen erreicht. Die bewusste Schaffung einer Öffentlichkeit für die liberalen Forderungen stellte wie die Festlegung auf weitere jährliche Treffen, die als Wegbereiter der Heidelberger Versammlung am 5. März 1848 und des Vorparlaments verstanden werden können, ein Novum dar. Weitere Informationen zur Heppenheimer Versammlung sind in unserem Kalenderblatt zusammengefasst.

Um den Funken für die Entzündung dieser revolutionären Sprengkraft zu definieren, muss der Blick nach Frankreich gerichtet werden. Sozialrevolutionäre Aufstände führten im Februar 1848 zur Absetzung des Bürgerkönigs Louis Philippe, der dort seit 1830 regiert hatte. Am 24. Februar wurde die „Zweite Französische Republik“ ausgerufen und der Neffe des ehemaligen Kaisers Napoleon Bonaparte, Louis Napoleon Bonaparte, am 10. Dezember 1848 zum Staatspräsidenten gewählt. Dieses „Krähen des gallischen Hahnes“ gilt als Initialzündung für das Ausbrechen der Märzrevolution in Deutschland und Europa.

Besonders in Berlin und Wien versammelten sich Revolutionäre unter Berufung auf die sogenannten „Märzforderungen“ und stürmten Symbole des restaurativen „System Metternich“, wie Polizeiwachen und Gefängnisse. Die Fürsten der Kleinstaaten erkannten die Forderungen vielerorts zunächst an, beriefen liberale „Märzminister“ und führten kurzzeitig sogar liberale Verfassungen ein. Metternich als Symbolfigur der Reaktion floh am 13. März infolge von zu Straßenkämpfen ausgearteten Demonstrationen aus Wien.
 

Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. versuchte, sich an die Spitze der Revolution zu setzen und zentrale Forderungen der Revolutionäre zu erfüllen. Am 18. März versammelten sich viele Berlinerinnen und Berliner vor dem Schloss, um dem König für die Zugeständnisse zu danken. Als das Militär den Platz zu räumen versuchte, fielen Schüsse. Der Tod von Demonstranten ließ die anfänglichen Sympathien für den König umschlagen – auch in Berlin begannen Barrikadenkämpfe. Am 22. März proklamierte Friedrich Wilhelm IV., dass „Preußen künftig in Deutschland aufgehen“ solle.
 

Hervorgegangen aus der Einladung der Heidelberger Liberalen tagte vom 31. März bis zum 3. April das Frankfurter Vorparlament unter Führung des Hessen Heinrich von Gagern. Ziel war die Wahl einer verfassungsgebenden Nationalversammlung. Um ihr „gesamtdeutsches“ Programm zu unterstreichen, beschloss das Vorparlament die Aufnahme Schleswigs sowie Ost- und Westpreußens in das künftige Deutschland.

„Im Vormärz hatten die meisten Staaten des Deutschen Bundes – Österreich und Preußen ausgenommen – ‚Kinderschritte im Verfassungsprozess unternommen‘; nun wagte sich die bürgerlich-liberale Bewegung in Frankfurt an das ‚Erwachsenenprojekt einer gesamtdeutschen Nationalverfassung‘.“

Alexandra Bleyer: 1848. Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution, Ditzingen 2022, S. 123.

Als erstes frei gewähltes, gesamtdeutsches Parlament trat die Verfassungsgebende Nationalversammlung am 18. Mai in der Paulskirche in Frankfurt zusammen. Unter den insgesamt 586 Abgeordneten war das Bildungsbürgertum deutlich überrepräsentiert, weswegen es auch als „Professorenparlament“ bezeichnet wurde. Es entstand ein breites Spektrum politischer Gruppierungen, die sich nach den Orten ihrer Treffen benannten und als die Vorläufer späterer politischer Parteien gelten. Auf Antrag des Präsidenten Heinrich von Gagern wählte die Nationalversammlung am 29. Juni den österreichischen Erzherzog Johann zum Reichsverweser, also rechtlich zum Chef der Exekutiven. Das politische Ausland nahm von diesem Regierungswechsel jedoch kaum Notiz. Zentrale Themen der Nationalversammlung in der Paulskirche waren die territoriale Frage über die Grenzen des künftigen Nationalstaates, das Wahlrecht und die Staatsorganisation. 1849 verabschiedete das Parlament die Verfassung, die eine konstitutionelle Monarchie vorsah – allerdings trat sie nie in Kraft.

Bereits im Oktober 1848 erstarkte die Konterrevolution auch aufgrund der fehlenden militärischen Exekutive der Revolutionäre und eroberte Wien zurück. Der Abgeordnete der Nationalversammlung Robert Blum wurde am 9. November in Wien standrechtlich erschossen. Von diesem Akt der Verletzung seiner parlamentarischen Immunität ging eine große Symbolkraft aus.

„Der Regierungschef Felix zu Schwarzenberg wollte ein Exempel an dem deutschen Abgeordneten statuieren, der zu einer ‚Inkarnation der Revolution‘ geworden sei.“

Matthias von Hellfeld: 1848 in 48 Kapiteln. Geschichte einer Revolution, Freiburg 2022, S.140.

Im Rahmen der Verfassungsberatungen in der Paulskirche war die Diskussion über die Grundrechte von herausragender Bedeutung. Bis heute taktgebend für alle demokratischen Verfassungen in Deutschland stellten die am 27. Dezember verabschiedeten „Grundrechte des Deutschen Volkes“ die erste derartige Ausformulierung in Deutschland dar. Sie orientierten sich an den französischen Menschen- und Bürgerrechten.
Trotz der herausragenden parlamentarischen Errungenschaften des Revolutionsjahres 1848 scheiterte die Revolution im Jahr darauf aus verschiedensten Gründen gesamteuropäisch mit Ausnahme der Schweiz. Das Symbol dieses Scheiterns war am 3. April 1849 die Ablehnung der Kaiserkrone von Volkes Gnaden als „imaginierter Reif aus Dreck und Lehm“ durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. 1851 wurde der Deutsche Bund und mit ihm die politischen Verhältnisse der Vorrevolutionszeit wiederhergestellt.

Das Erfurter Unionsparlament war ein Organ quasi des verlängerten Paulskirchen-Prozesses, das unter preußischer Regie über die Erfurter Unionsverfassung beraten sollte. Ursprünglich lautete der Name vielsagend „Reichstag“, aber noch vor dem ersten Zusammentreffen wurde er in “Parlament der Deutschen Union“ abgewandelt. Ziel Preußens war die Gründung eines Deutschen Nationalstaates, der an die Stelle des Deutschen Bundes treten sollte. Die Umbenennung des zu gründenden Staates in „Union“ erfolgte noch vor Beginn der Verfassungsverhandlungen aufgrund der Abwendung Hannovers und Sachsens von dem Projekt.

Auch auf Druck Österreichs und Russlands hin wandte sich Preußen im Herbst 1850 von der Unionspolitik ab. Nach Punktation von Olmütz, die im November 1850 zwischen den Konfliktparteien Preußen, Österreich und Russland geschlossen wurde, war der Führungsanspruch Österreichs im weitergeführten Deutschen Bund wieder gefestigt. Die gescheiterten Unionspläne wurden von der preußisch-deutschen Geschichtsschreibung kleingeschrieben, da die „Schande von Olmütz“ eine diplomatische Niederlage Preußens im Ringen mit um die Hegemonie im Deutschen Bund darstellte. Das Unionsparlament hat dennoch Wirkungen entfaltet, denn es etablierte über Personen und Verfahren parlamentarische Verfahrensweisen der Frankfurter Zeit. 

Das politische und gesellschaftliche Erbe der Revolutionszeit und besonders die in der Paulskirche erarbeitet Agenda blieben jedoch in der Verfassungsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert eine identifikationsstiftende Orientierung. Vor diesem Hintergrund ist das Jahr 1848 aus Sicht der historisch-politischen Bildungsarbeit von herausragender Relevanz, weil in seinem Sinne gleichzeitig ein Gedenken an den harten Kampf, in dem unsere heutige verfassungspolitische Realität errungen wurde, und ein mahnendes Erinnern an die Fragilität demokratischer Systeme im Angesicht autoritärer Kräfte möglich ist.