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14. August 1949: 75. Jahrestag der Wahl zum ersten Bundestag

Das Wiedererstehen deutscher Staatlichkeit nach der totalen deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg binnen nur vier Jahren gilt aus heutiger Perspektive als historisches Kuriosum und ist in den internationalen Kontext des Ost-West-Konfliktes einzuordnen. Ein entscheidendes Kriterium der repräsentativen Demokratie als Form der Volksherrschaft ist der gewaltlose Machtwechsel in Form von Wahlen. Eine solche Wahl der besonderen Art fand vor genau 75 Jahren im Zusammenhang mit der Gründung der Bundesrepublik im Westen Deutschlands statt – die erste unmittelbare, freie, gleiche, geheime und allgemeine Wahl zum deutschen Bundestag in Westdeutschland – knapp 17 Jahre nach der letzten freien Wahl im Deutschen Reich am 6. November 1932. Die erste Bundestagswahl markierte die (bis 1955 durch alliierte Kontrollrechte begrenzte) Machtübertragung von den Alliierten, die nach 1945 gemeinsam die oberste Regierungsgewalt im besiegten Deutschland übernommen hatten, auf gewählte westdeutsche Volksvertreter. Damit ist die erste Bundestagswahl in der Bundesrepublik Deutschland gleichzeitig eine Station ihres Gründungs- wie auch Voraussetzung ihres erfolgreichen Konsolidierungsprozesses.

Grundgesetz und Wahlrecht

Nachdem die Westalliierten sich auf der Londoner Sechsmächtekonferenz in der ersten Jahreshälfte 1948 auf die Gründung eines teilsouveränen westdeutschen Staates verständigt hatten, übergaben sie den westdeutschen Ministerpräsidenten den Gründungsauftrag für diesen Nachkriegsstaat am 1. Juli 1948 im Frankfurter I.G.-Farben-Haus, dem Hauptquartier der US-Militäradministration. In den sogenannten „Frankfurter Dokumenten“ ermächtigten die Militärgouverneure die Ministerpräsidenten als zu diesem Zeitpunkt hochrangigste Vertreter der Deutschen, eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Ihrer anfänglichen Skepsis gegenüber eine Weststaatsgründung angesichts der drohenden deutschen Teilung zum Trotz akzeptierten die Ministerpräsidenten nach Beratungen auf dem Koblenzer Rittersturz und im Jagdschloss Niederwald bei Rüdesheim schließlich den Gründungsauftrag – unter der Bedingung, dass es sich beim zu gründenden Staat um ein Provisorium handeln müsse. Ausgehend von dem Verfassungsentwurf, den von den Länderparlamenten entsandte Rechtsexperten im August 1948 im Konvent von Herrenchiemsee entworfen hatten, arbeiteten die 65 Abgeordneten von des Parlamentarischen Rats zwischen September 1948 und Mai 1949 die Verfassung für die Bundesrepublik Deutschland. Um ihren provisorischen Charakter bis zur Wiedervereinigung zu unterstreichen, hieß sie nicht Verfassung, sondern Grundgesetz.

Das Wahlsystem war einer der Streitpunkte in den Debatten des Parlamentarischen Rats: Während sich die Mehrheit der CDU für ein Mehrheitswahlsystem aussprach, plädierten Vertreterinnen und Vertreter von SPD, FPD, des Zentrums und der „Deutschen Partei“ mehrheitlich für ein Verhältniswahlrecht. Was wie eine Marginalie erscheinen mag, hat große Auswirkungen auf die Wahlentscheidung von Wählerinnen und Wählern: Ein Mehrheitswahlrecht führt in vielen Fällen dazu, dass Wählerinnen und Wähler ihre Stimmen tendenziell eher größeren Parteien geben, die die Chance haben, die relative Mehrheit der Stimmen auf sich zu vereinen (beispielsweise in den USA). Dahingegen führen Wahlsysteme mit Verhältniswahlrecht häufig zu einem pluralisierten Parteiensystem (beispielsweise in den Niederlanden). Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rats votierten schließlich – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Stimmengleichheit von CDU/CSU und SPD (mit je 27 Stimmen) – für ein Modell, das Mehrheits- und Verhältniswahl kombiniert: Das personelle Verhältniswahlrecht. Bei Bundestagswahlen wird mit der Erststimme ab 1953 nach relativem Mehrheitswahlrecht ein Direktkandidat bzw. eine Direktkandidatin aus dem Wahlkreis gewählt, während die zweite Stimme zu Wahl einer Partei nach Verhältniswahlrecht dient. Bei der ersten Bundestagswahl von 1949 gaben die Wählerinnen und Wähler hingegen nur eine Stimme ab, mit der sie sowohl den Direktkandidaten bzw. -kandidatin als auch die Landesliste einer Partei wählten. Auch die bundesweite Fünfprozenthürde wurde erstmals bei der Bundestagswahl 1953 angewandt.

Durchführung der ersten Bundestagswahl

Die erste Bundestagswahl im August 1949 war die erste freie demokratische Wahl auf Bundesebene in Westdeutschland seit der Reichstagswahl 1932. Über 31 Millionen Wahlberechtigte wurden zur Stimmabgabe aufgerufen, wobei die Menschen in West-Berlin aufgrund des Vier-Mächte-Status der Stadt von der Wahl ausgeschlossen bleiben. Rund 78 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme einer der 19 Parteien, die am 14. August auf dem Wahlzettel standen. Unter diesen Parteien fanden sich „alte“, d.h. bereits im Kaiserreich politisch aktive Parteien, wie die SPD, aber auch Parteineugründungen, wie die überkonfessionelle Union aus CDU/CSU oder die liberale FDP. Die Parteineugründungen sind ein Indikator der Loslösung einzelner Parteien von einer starken sozioökonomischen Milieuverankerung, die noch in der Weimarer Republik üblich war. Darüber hinaus trat mit der KPD auch eine Partei ein, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung als solche ablehnte. Das zentrale Wahlkampfthema der ersten Bundestagswahl war die Wirtschaftspolitik des bizonalen Direktors für Wirtschaft, Ludwig Erhard (CDU). Die unter seiner Ägide durchgeführten Wirtschaftsreformen, die die westzonalen Währungsreform vom 20. Juni 1948 flankierten, ebneten den Weg hin zur Sozialen Marktwirtschaft, während die SPD um ihrer Spitzenkandidaten Kurt Schumacher sich mehrheitlich für ein planwirtschaftliches Modell einsetzte. Dass Erhards Wirtschaftspolitik, die vielfach als Grundstein des beispiellosen wirtschaftlichen Erfolgs der jungen Bundesrepublik zwischen 1950 und 1973 rezipiert wurde, in der Gründungsphase mehr als umstritten war, zeigen etwa die Streikaktionen gegen seine Wirtschaftsreformen im September 1948, an denen sich mehrere zehntausend Menschen beteiligten. Auch die außen- und sicherheitspolitische Einbindung der Bundesrepublik war 1949 ein wichtiges Wahlkampfthema: Der CDU-Spitzenkandidat Konrad Adenauer plädierte für die konsequente Westintegration der BRD, während Schumacher, der ihn später als „Kanzler der Alliierten“ bezeichnete, darin der Verrat der deutschen Wiedervereinigung sah.

Ergebnisse und Folgen der ersten Bundestagswahl

Elf der 19 angetretenen Parteien schafften den erstmaligen Einzug in den Bundestag, der in der ersten Legislaturperiode 402 Sitze umfassten (zum Vergleich: aktuell umfasst der Bundestag 733 Sitze). Neben der Union als Wahlsiegerin (31%, 139 Sitze) und der SPD mit rund 29% (131 Sitze) errungen aufgrund der fehlenden Fünfprozenthürde, die lediglich auf Landesebene angewandt wurde, etwa auch die Zentrumspartei (zehn Sitze) und die Deutsche Konservative Partei (fünf Sitze) Bundestagsmandate. Die Union bildete gemeinsam mit der FDP (52 Abgeordnete) und der rechtskonservativen Deutschen Partei die erste westdeutsche Regierungskoalition. Der Frauenanteil im ersten Bundestag betrug lediglich knapp sieben Prozent. Die meisten Abgeordneten verfügten bereits über parlamentarische Erfahrung aus der Weimarer Republik und/oder den Länderparlamenten nach 1945. Nach seiner konstituierenden Sitzung im Bonner Bundeshaus am 7. September wählte der Bundestag am 14. September Theodor Heuss (FDP) zum ersten Bundespräsidenten und am 15. September Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler. Mit der ersten Bundestagswahl waren die Weichen für die „Ära Adenauer“ gestellt: Die westdeutsche Bevölkerung hatte mit knapper Mehrheit für die Politik von Westintegration und Sozialer Marktwirtschaft votiert, die Adenauer in seiner vierzehnjährigen Regierungszeit umsetzte. Mit der demokratischen Bestimmung ihrer politischen Würdenträger im Zuge der Bundestagswahl vom 14. August endete der Prozess der Gründung der westdeutschen Nachkriegsdemokratie.

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Bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung sind unter anderem folgende Publikationen zum Thema erhältlich: