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15. Juli 1948: 75. Jahrestag der Niederwaldkonferenz

Das 1764 errichtete Jagdschloss Niederwald bei Rüdesheim am Rhein diente im Juli und August 1948 als Schauplatz von Verhandlungen zwischen den westdeutschen Ministerpräsidenten über die Gründung eines westdeutschen Nachkriegsstaates. Die Westalliierten hatten den Ministerpräsidenten im Frankfurter IG-Farben-Haus zuvor am 1. Juli die Frankfurter Dokumente“, den Gründungsauftrag für einen westdeutschen Nachkriegsstaat, übermittelt. Im Rahmen der Niederwaldkonferenz akzeptierten die Ministerpräsidenten die westalliierten Vorstellungen über die Gestaltung jenes Nachkriegsstaates auf dem Territorium der Westzonen inhaltlich. Die Niederwaldkonferenz wurde damit zu einem entscheidenden Ereignis im Demokratiegrundlegungsjahr 1948, in dessen Folge sich in Westdeutschland eine stabile prosperierende Demokratie entwickelte.

Vorgeschichte der Niederwaldkonferenz

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen die vier Siegermächte Großbritannien, Frankreich, USA und die Sowjetunion die Regierungsgewalt im besiegten Deutschland und teilten das Territorium des ehemaligen Deutschen Reiches, verstanden in den Grenzen von 1937, in Form von Besatzungszonen unter sich auf. Österreich wie dessen Hauptstadt Wien wurden ebenfalls in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die interalliierte Deutschlandpolitik scheiterte jedoch im Angesicht der Herausbildung und zunehmenden Konfrontation zwischen den beiden antagonistischen Machtblöcken im beginnenden Kalten Krieg trotz früher Bekenntnisse zu einer gemeinsamen Vorgehensweise. Auf der Londoner Sechsmächtekonferenz vom 23. Februar bis zum 2. Juni 1948 erhoben die drei Westalliierten und die Benelux-Staaten als westlichen Nachbarn Deutschlands das anglo-amerikanische Konzept der Gründung eines deutschen Nachkriegsstaates auf dem Gebiet der drei Westzonen unter Ausschluss der sowjetischen Besatzungszone zur gemeinsamen Leitlinie ihrer Deutschlandpolitik. Aus den dort formulierten „Londoner Empfehlungen“ gingen die dreiteiligen „Frankfurter Dokumente“ hervor, die den westdeutschen Ministerpräsidenten am 1. Juli 1948 vorgelegt wurden. Da sie den Auftrag der Gründung eines westdeutschen Nachkriegsstaates enthielten, gingen die „Frankfurter Dokumente“ als „Geburtsurkunde der Bundesrepublik“ in die Geschichte ein.

Im Rahmen der Rittersturz-Konferenz vom 8. bis 10. Juli 1948 berieten die Ministerpräsidenten der Westzonen im Hotel „Rittersturz“ in Koblenz erstmalig über die „Frankfurter Dokumente“. In den „Koblenzer Beschlüssen“ schlugen sich ihre Vorbehalte nieder, den Westzonen einen staatlichen Charakter zu verleihen. Ziel der Ministerpräsidenten war es, die Perspektive einer gesamtdeutschen Lösung zu wahren und die Teilung Deutschlands zu verhindern. Stattdessen plädierten sie in einer Antwortnote an die westalliierten Militärgouverneure für einen provisorischen „administrativen Zweckverband“.

Ablauf und Ergebnisse der Niederwaldkonferenz

Die Niederwaldkonferenz gliederte sich in drei Sitzungsperioden. Am 15. und 16. Juli 1948 waren die negativen Reaktionen der westalliierten Militärgouverneure auf die „Koblenzer Beschlüsse“ Thema der Beratungen. Während des zweiten Zusammenkommens am 21. und 22. Juli im „Grünen Salon“ des Jagdschlosses überarbeiteten die Ministerpräsidenten die „Koblenzer Beschlüsse. Im Laufe der Beratungen wich die ablehnende Haltung der Ministerpräsidenten zunehmend einer Kompromissbereitschaft zugunsten der in den „Frankfurter Dokumenten“ definierten Leitlinien. Inhaltlich akzeptierten sie diese Leitlinien schließlich, wobei dieser Wandel maßgeblich durch den Berliner Bürgermeister Ernst Reuter (SPD) beeinflusst wurde. Am 26. Juli erzielten die Ministerpräsidenten und die westalliierten Militärgouverneure schließlich auch unter dem Eindruck der Blockade des Personen- und Güterverkehrs nach West-Berlin durch die Sowjetunion ab dem 24. Juli 1948 in Frankfurt am Main ein Übereinkommen. Die „Frankfurter Dokumente“ wurden inhaltlich zur Basis des weiteren Vorgehens, während jedoch die auf der Rittersturz-Konferenz erarbeitete Terminologie des Weststaates als Provisorium übernommen wurde. So wurde die verfassungsgebende Versammlung als „Parlamentarischer Rat“ und die Verfassung als „Grundgesetz“ bezeichnet, um mittelfristig die Perspektive auf ein geeintes Deutschland zu wahren. Im Rahmen der dritten Konferenz im Schloss Niederwald am 31. August 1948 wurden die westdeutschen Bundesländer in den heutigen Grenzen geschaffen.

Folgen der Niederwaldkonferenz

Im Anschluss an die Einigung zwischen den westalliierten Militärgouverneuren und den Ministerpräsidenten wurde mit der in den „Frankfurter Dokumenten“ festgesetzten Neuorganisation der Westzonen begonnen. Am 1. September 1948 traten entsandte Vertreter der Landtage im Parlamentarischen Rat zusammen, der das Grundgesetz erarbeitete, das am 8. Mai 1949 schließlich vom Parlamentarischen Rat angenommen wurde. Am 24. Mai trat die bundesrepublikanische Verfassung schließlich in Kraft. Auch in Reaktion auf die Konstituierung des westdeutschen Nachkriegsstaates setzte die provisorische Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik die am 30. Mai 1949 vom Deutschen Volkskongress gebilligte Verfassung der DDR am 7. Oktober 1949 in Kraft. Damit ist das Jagdschloss Niederwald bei Rüdesheim ein bedeutender Ort der bundesdeutschen Demokratiegeschichte – aber gleichzeitig auch der Ort, an dem die westdeutschen Ministerpräsidenten die deutsche Teilung zugunsten der Gründung des Weststaates im Rahmen der politischen Westintegration hinnahmen.

Bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung sind u.a. folgende Publikationen zum Thema erhältlich: