Zum Hauptinhalt springen

15. November 1923: 100. Jahrestag der Einführung der Rentenmark

Ein Thema scheint für viele Deutsche und somit auch für viele Hessinnen und Hessen gerade allgegenwärtig: Inflation! Vor exakt 100 Jahren, im Jahr 1923, bestimmte die grassierende Inflation ebenfalls die gesellschaftspolitischen Debatten. Während die Inflationsrate aus dem September 2023 bei etwa 4,5 Prozent lag – Verbraucherpreise also im September 2023 durchschnittlich 4,5 Prozent höher waren als im September 2022 – belief sich die Inflation vor exakt 100 Jahren auf bis zu 16,6 Millionen Prozent. Weil die Inflation im Krisenjahr 1923 solch unvorstellbare Höhen erreichte, dass für einen Laib Brot Ende Oktober jenes Jahres bis zu 9,5 Milliarden Reichsmark aufgerufen wurden, bezeichnet man die Inflation in diesem Zeitraum auch als Hyperinflation. Die Hyperinflation von 1923 hatte außerdem – wie auch die gegenwärtige Inflation – Erscheinungsformen, die über ihr wirtschaftliches Wirken hinausgingen. Das Zusammentreffen und die gegenseitigen Wechselwirkungen von Inflation, Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen, dem Erstarken der politischen Extremen sowie der Angriffe auf die demokratische Ordnung von Weimar in Form des „Deutschen Oktobers“ von kommunistischer und des Hitler-Ludendorff-Putsches in München von nationalsozialistischer Seite zeichneten das Jahr 1923 als „Krisenjahr“ der Weimarer Republik aus. Nichtsdestotrotz gelang es der demokratisch legitimierten Regierung um Reichskanzler Gustav Stresemann (DVP), die Hyperinflation durch eine erfolgreiche Währungsreform und die Einführung der „Rentenmark“ zu beenden.

Ausgangsbedingungen der Regierung Stresemann

Die zwischen 1914 und 1918 entstandenen Kriegs- und Kriegsfolgekosten und deren (vermeintliche) Deckung durch eine massive Erhöhung des sich in Umlauf befindlichen Bargelds durch den deutschen Staat gelten als Auslöser einer schleichenden Inflation während und nach dem Ersten Weltkrieg. Als die Regierung um Reichskanzler Wilhelm Cuno (parteilos) in Reaktion auf die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen zu einem „passiven Widerstand“ aufrief und die ausbleibenden Gehälter der im Ruhrgebiet Streikenden fortan aus der Staatskasse bezahlt wurden, entglitt diese bis dahin schleichende Inflation rasch jeglicher staatlichen Kontrolle. Die Lebenshaltungskosten explodierten, Erspartes verlor praktisch über Nacht seinen Wert. Arbeitgeber gingen angesichts dieser Situation dazu über, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Gehälter zunächst wochen- und bald tageweise auszuzahlen, weil die Verbraucherpreise mehrmals täglich stiegen. Unter diesen Bedingungen des wirtschaftspolitischen Chaos und der sozialen Not übernahm Gustav Stresemann (DVP) am 13. August 1923 das Amt des Reichskanzlers.

Konzept und Umsetzung der Währungsreform

Hyperinflation zählten, profitierten all diejenigen, die über Sachwerte verfügten, weil diese von der Geldentwertung unangetastet blieben. Diesem Umstand folgend verpfändeten die Reichsbank und einige Industrie- und Landwirtschaftsunternehmen rund 4 Prozent ihres Besitzes als sogenannte „Grundschuld“ für die neue Währung, die als Kapital für die Gründung der Rentenbank Mitte Oktober 1923 eingesetzt wurde. Am 15. Oktober 1923 wurde die Rentenbank schließlich offiziell als ein vom Staat unabhängiges, öffentlich-rechtliches Kreditinstitut mit 3,2 Milliarden Rentenmark Kapital gegründet. So wie die „Goldmark“ aus dem Kaiserreich, bevor deren Golddeckung mit dem Kriegsbeginn 1914 aufgehoben wurde, sollte die neue Währung durch die im Pfandbrief eingetragene Grundschuld durch Sachwerte gedeckt und damit stabil sein. Von der alternativen Bezeichnung dieser Pfandbriefe als „Rentenbriefe“ leitete sich der Name „Rentenmark“ für die neue Währung ab. Obwohl die ersten Rentenmarkscheine auf den 1. November 1923 datiert waren, wurden sie angesichts der enormen Herausforderungen der wirtschaftspolitischen Lage erst ab dem 15. November an die Bevölkerung ausgegeben. Der Wechselkurs zur alten Papiermark wurde mit 1:1 Billion festgelegt. Die Einführung der wertstabilen Rentenmark beendete die Hyperinflation innerhalb weniger Tage. Eine herausragende Rolle bei diesem Prozess, der sich als „Wunder der Rentenmark“ im kollektiven Gedächtnis verfing, spielte das wegen der vermeintlichen „Deckung durch Boden“ gewonnene Vertrauen der Bevölkerung in die neue Währung.

Erste politische Erfolge und andauernde Inflation

An der Spitze einer Koalition aus SPD, Zentrum, DDP und DVP beendete Stresemann nur wenige Wochen nach Amtsantritt am 26. September den Ruhrkampf, indem er ein System der „produktiven Verpfändung“ eines Teils der deutschen Wirtschaft propagierte. Obwohl der Staat nun nicht mehr für die Gehälter der streikenden Arbeiterinnen und Arbeiter im Ruhrgebiet aufkommen musste, stieg die Inflationsrate zunächst weiterhin an: Ende Oktober 1923 erreichte sie mit 16,6 Millionen Prozent – wohlgemerkt im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, wo im Jahr 1922 bereits eine schleichende Inflation die Preise in die Höhe getrieben hatte – einen erneuten Höhepunkt.

Folgen der Währungsreform

Am 30. August 1924 wurde die goldgedeckte Reichsmark im Kurs 1:1 zusätzlich zur Rentenmark wieder eingeführt. Erstere blieb jedoch bis zur Durchführung der Währungsreformen in den westlichen Besatzungszonen bzw. der SBZ im Juni 1948 ihre Gültigkeit. Noch am 5. September 1939 wurden die letzten Rentenmarkscheine ausgegeben. Kurios ist, dass dennoch mit der (Wieder-) Einführung der Reichsmark die Bezeichnung „Rentenmark“ in allen amtlichen Dokumenten verboten wurde. Dabei verschwanden die Rentenmark-Geldscheine in den Westzonen erst mit der Währungsreform im Jahr 1948. In der sowjetischen Besatzungszone dienten die Rentenmarkscheine im Wert von einer bzw. zwei Mark mit aufgeklebtem Coupon auch nach der dortigen Währungsreform weiterhin als Zahlungsmittel.

Dass die Weimarer Republik das Krisenjahr 1923 und besonders die Hyperinflation jenes Jahres mit ihrer enormen gesellschaftspolitischen Sprengkraft überwand, kann als große Errungenschaft der ersten deutschen Demokratie gelten und zeigt, dass sie keinesfalls zum Scheitern verurteilt war.

Bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung sind unter anderem folgende Publikationen zum Thema erhältlich: