15. Mai 1949: 75. Jahrestag der Wahlen zum III. Deutschen Volkskongress
Vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden zwei deutsche Nachkriegsstaaten gegründet und somit die vier Jahrzehnte andauernde deutsche Teilung besiegelt. 2024 jähren sich die Geschehnisse des Jahres 1949 zum 75. Mal. Dieses Datum wird zu Recht zum Anlass genommen, um den 75. Geburtstag des deutschen Grundgesetzes und die erfolgreiche Konsolidierung der westdeutschen Demokratie zu feiern. Nicht ganz so bekannt ist, welche Zielperspektiven die Akteurinnen und Akteure zeitgleich im Osten Deutschlands verfolgten und wie es zur Entwicklung der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) hin zur „sozialistischen Volksrepublik“ kam, die am 7. Oktober 1949 gegründet wurde. Eine entscheidende Rolle auf dem Weg zu jenem 7. Oktober spielte die gesamtdeutsch gedachte Volkskongressbewegung. Am 15./16. Mai fanden unter nicht-demokratischen Bedingungen die Wahlen zum Dritten Deutschen Volkskongress statt, aus dem wiederum der Zweite Deutsche Volksrat hervorging. Am 7. Oktober konstituierte dieser die provisorische Volkskammer, das Parlament der DDR, und setzte die Verfassung in Kraft.
Von der bedingungslosen Kapitulation zur Volkskongressbewegung
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa einigten sich die vier Hauptalliierten auf die Teilung Deutschlands in Besatzungszonen sowie der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin in Sektoren, in denen die jeweiligen Militärgouverneure unabhängig agieren konnten. Großbritannien, Frankreich, die USA und die Sowjetunion verständigten sich auf gemeinsame deutschlandpolitische Leitlinien in Gestalt von Demilitarisierung, Denazifizierung (Demokratisierung), Dezentralisierung und Demontage sowie die Behandlung des deutschen Territoriums als Wirtschaftseinheit. Die Kooperation während der Kriegsjahre und ersten Nachkriegsmonate wich jedoch im Laufe der Jahre 1946/1947 einer zunehmenden Konfrontation zwischen den weltpolitischen Führungsmächten USA und Sowjetunion auf internationaler Ebene, aber auch in der deutschen Frage. Auf der Moskauer Außenministerkonferenz führten die Spannungen infolge der sowjetischen Forderung nach Reparationen aus der laufenden Produktion aller Besatzungszonen Ende 1947 zu einem Bruch zwischen beiden Mächten. Spätestens der Auszug des sowjetischen Vertreters Sokolowskij aus dem obersten Organ der alliierten Besatzung, dem Alliierten Kontrollrat, in Reaktion auf die Beratungen der Westalliierten mit den Benelux-Staaten über die Gründung eines separaten westdeutschen Nachkriegsstaats auf der Londoner Sechsmächtekonferenz, führte im März 1948 zum endgültigen Scheitern der alliierten Viermächtepolitik.
Bereits am 6. Dezember 1947 hatte die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), die 1946 aus der Zwangsvereinigung von SPD und KPD in der Ostzone hervorgegangen war, das Zusammentreten des „Ersten Deutschen Volkskongresses für Einheit und gerechten Frieden“ initiiert. Seine rund 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die von der SED eingeladen und nicht demokratisch legitimiert wurden, setzten sich aus Parteien, Massenorganisationen, Betriebsräten und Bauernverbänden zusammen, aber auch einzelne Kunstschaffende nahmen teil. Um den gesamtdeutschen Vertretungsanspruch des nach eigenem Selbstverständnis als gesamtdeutsch betrachteten Vorparlaments zu unterstreichen, wurden auch Politikerinnen und Politiker aus den Westzonen eingeladen – davon 244 KPD-Mitglieder.
Zweiter und Dritter Deutscher Volkskongress
Der Zweite Deutsche Volkskongress, der bewusst am 17./18. März 1948 – dem 100. Jahrestag der Barrikadenkämpfe in Berlin 1848 – tagte, um sich in die Tradition der Kämpfe für die nationale Einheit Deutschlands in der Märzrevolution zu stellen, sprach sich für ein Volksbegehren für den Zusammenschluss aller vier Zonen aus. Die Durchführung eines Volksbegehrens wurde jedoch in den Westzonen verboten. Der Kongress wählte außerdem mit dem Ersten Deutschen Volksrat ein parlamentsähnliches Gremium, das aus 300 stimmberechtigten Mitgliedern aus der SBZ und 100 westdeutschen Abgeordneten bestand, wobei die SED eine überwältigende Mehrheit besaß. Im Verfassungsausschuss unter dem Vorsitz Otto Grotewohls (SED) erarbeiteten 21 Delegierte einen Verfassungsentwurf, der zur Verabschiedung an den Dritten Deutschen Volkskongress übersandt wurde. Im Vorfeld des Dritten Deutschen Volkskongresses, der am 29./30. Mai unter einem „nationalen Notstand“ tagte, der wegen der Verabschiedung des Grundgesetzes in den Westzonen ausgerufen worden war, fand erstmals irgendeine Art von Legitimation der Bewegung durch die Bevölkerung der SBZ statt: Am 15./16. Mai wurde eine Wahl durchgeführt, bei der die etwa 13,5 Millionen Stimmberechtigten mit „ja“ oder „nein“ über die folgende Aussage abstimmen durften:
„Ich bin für die Einheit Deutschlands und einen gerechten Frieden. Ich stimme darum für die nachstehende Kandidatenliste zum Dritten Deutschen Volkskongress.“
Bei dieser keinesfalls demokratischen Einheitslistenwahl stimmten nach offiziellen Angaben (nur) rund 66 Prozent der Wahlberechtigten für die Aussage, wobei leergelassene Stimmzettel als Zustimmung gewertet wurden. Der Dritte Volkskongress, der sich aus insgesamt 1.400 Abgeordneten zusammensetzte, von denen 610 aus der wenige Tage zuvor gegründeten Bundesrepublik anreisten, nahm den Verfassungsentwurf mit nur einer Gegenstimme an und wählte den Zweiten Deutschen Volksrat.
Gründung der Deutschen Demokratischen Republik
Am 7. Oktober 1949 konstituierte sich der Zweite Deutsche Volksrat schließlich als provisorische Volkskammer, das heißt als Parlament der DDR. Die SED war mit 96 Sitzen als stärkste politische Kraft vertreten. Erst ein Jahr später, im Oktober 1950, fand eine Volkskammerwahl statt, bei der die Wahlberechtigten wie bereits im Mai 1949 mit „ja“ oder „nein“ über eine von der SED aufgestellte und von ihr personell dominierte Einheitsliste abstimmten. Die offizielle Zustimmung zu den Einheitslisten, die in der 40-jährigen DDR-Geschichte in der Regel auf rund 99 Prozent festgesetzt wurde, ist entsprechend zu kontextualisieren: Die Benutzung von Wahlkabinen galt vielerorts als oppositioneller Akt, viele DDR-Bürgerinnen und Bürger warfen ihre Stimmzettel ohne Kreuz in die Wahlurne. Mit der Inkraftsetzung des Verfassungsentwurfs durch die Volkskammer, der aus der Volkskongressbewegung hervorgegangen war, wurde am 7. Oktober 1949 die Deutsche Demokratische Republik gegründet und Otto Grotewohl mit der Regierungsbildung beauftragt. Für die folgenden vier Dekaden bestanden zwei deutsche Teilstaaten auf deutschem Boden, deren gesellschaftspolitisches Erbe bis heute nachwirkt.
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