12. September 1873: 150. Geburtstag von Gertrud Bäumer
Gertrud Bäumer stand 30 Jahre zusammen mit Helene Lange an der Spitze der bürgerlichen Frauenbewegung in Deutschland. Viele Gymnasien tragen ihren Namen, denn Gleichberechtigung in Schule, Ausbildung und Beruf waren ihre zentralen Anliegen. In die Geschichte der Frauenbewegung ging sie durch ihre Vorstandsfunktionen im Bund deutscher Frauenvereine ein. Außerdem war sie Mitbegründerin der Deutschen Demokratischen Partei und eine der ersten weiblichen Abgeordneten im Reichstag in der Weimarer Republik.
Kindheit, Schule, Ausbildung
Die am 12. September 1873 in Hohenlimburg in Westfalen als Tochter eines Pfarrers geborene Gertrud Bäumer verbrachte ihre Kindheit in Cammin in Pommern. Als ihr Vater 1883 starb, zog ihre Mutter, deren Witwenpension nicht zum Leben ausreichte, mit ihr und ihren beiden Geschwistern zu ihrer Mutter in Halle an der Saale. Diese Situation prägte Bäumer und ihren Entschluss, als Lehrerin auf eigenen Füßen stehen zu wollen. Ebenso lehnte sie „die Spirale um die eigene Achse“, das Warten auf einen passenden Ehemann, ab.
Sie besuchte die Höhere Töchterschule in Halle und ab 1888 das Lehrerinnenseminar in Magdeburg. Mit 19 Jahren trat sie eine Lehrerinnenstelle in Kamen (Westfalen) an. 1895 wechselte sie dort an eine private höhere Mädchenschule mit einem rein weiblichen Kollegium. Sie gründete in dieser Zeit einen Lehrerinnenverein, in deren Vorstand sie gewählt wurde.
1898 ging sie nach Berlin, wo sie zwei Jahre später die Oberlehrerinnenprüfung ablegte – Voraussetzung für ein Universitätsstudium von Frauen in dieser Zeit. Außerdem konnten Frauen in Preußen bis 1908 nur mit einer Ausnahmegenehmigung der einzelnen Professoren studieren. Bäumer nahm ein Theologie-, Germanistik- und Philosophiestudium bei Adolf von Harnack, Erich Schmidt und Wilhelm Dilthey an der Humboldt-Universität auf und wurde 1904 mit einer Dissertation über Goethe promoviert. Ihr Studium finanzierte sie selbst, unter anderem durch ihre Publikationstätigkeit für die Frauenbewegung.
Aufstieg in der Frauenbewegung
In Berlin kam sie in engeren Kontakt mit der 25 Jahre älteren Helene Lange, der Führungsgestalt der deutschen Lehrerinnenbewegung. Gemeinsam gehörten sie dem Flügel der Frauenbewegung an, der weniger eine Stimmrechts- als eine Frauenbildungsbewegung war und sich für eine starke Position der Frau in spezifisch weiblichen Feldern wie Mutterschaft, Erziehung und Familienführung einsetzte und ihnen nicht die gleiche Rolle wie Männern zudachte. Als Lange an einem Augenleiden erkrankte, wurde Bäumer ihre Assistentin. Aus der gemeinsamen publizistischen Arbeit wurde Freundschaft. 1899 zogen die beiden Frauen in Berlin zusammen. Ab 1901 gaben sie das „Handbuch der Frauenbewegung" heraus.
Lange baute die vielseitig begabte und charismatische Bäumer als ihre Nachfolgerin auf. Die von Lange 1893 gegründete Monatszeitschrift „Die Frau“, das Sprachrohr der bürgerlichen Frauenbewegung, gaben sie gemeinsam heraus. 1907 wurde sie Schriftleiterin der „Neuen Bahnen", der Zeitschrift des von Louise Otto-Peters gegründeten Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF), der seit 1902 von Lange als Vorsitzender geleitet wurde. Das Presseorgan des ADF war ein wichtiges Kommunikationsmittel, das aus den verschiedenen Regionen des Deutschen Reichs berichtete, über die Frauenbewegungen im Ausland informierte und neueste Literatur vorstellte. 1910 wurde Bäumer Vorsitzende des Bundes deutscher Frauenvereine (BDF), der Dachorganisation der bürgerlichen Frauenbewegung; von 1919 bis 1933, als sich der BDF selbst auflöste, war sie dessen stellvertretende Vorsitzende. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs hatte sie maßgeblichen Anteil am Aufbau des Nationalen Frauendienstes, der die Nahrungsmittelversorgung und den freiwilligen Kriegseinsatz von Frauen innerhalb von Industrie und Wirtschaft organisierte.
1916 zogen Bäumer und Lange nach Hamburg. Zusammen mit der Frauenrechtlerin Marie Baum baute Bäumer dort die Soziale Frauenschule und das Sozialpädagogische Institut auf.
Eintritt in die Politik
Ab 1906 arbeitete sie eng mit Friedrich Naumann in der Freisinnigen Vereinigung zusammen und zählte 1919 mit ihm und anderen zu den Gründern der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Ab 1912 verantwortete sie den Kulturteil seiner 1894 gegründeten Zeitschrift „Die Hilfe“ und wurde nach seinem Tod deren alleinige Herausgeberin.
Von 1918 bis 1930 war sie stellvertretende Vorsitzende der DDP. Bekannte DDP-Repräsentanten waren u.a. Friedrich Naumann, der „Vater“ der Weimarer Verfassung Hugo Preuß, der spätere Bundespräsident der Bundesrepublik Theodor Heuß, Reichsaußenminister Walther Rathenau, der Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, der Friedensnobelpreisträger Ludwig Quidde, oder der Reichsjustizminister Erich Koch-Weser, in Nordhessen bekannt als Oberbürgermeister von Kassel von 1913 bis 1919.
1919 vertrat Bäumer ihre Partei in der Nationalversammlung, anschließend im Deutschen Reichstag, von 1930 bis 1932 als Reichstagsabgeordnete für die Deutsche Staatspartei. Als eine der ersten Berufspolitikerinnen der Weimarer Republik wurde sie 1920 in die kulturpolitische Abteilung des Reichsinnenministeriums berufen und leitete das Schulreferat sowie die Jugendwohlfahrt. Von 1926 bis 1932 wurde sie als Delegierte der Reichsregierung für soziale und humanitäre Fragen in den Völkerbund entsandt.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde sie suspendiert und bezog eine Volksschullehrerinnenpension. Sie akzeptierte die Gleichschaltung von „Der Frau“ und nahm eine lavierende Haltung gegenüber der nationalsozialistischen Frauenpolitik ein. Bis zum Kriegsende war sie vor allem als Schriftstellerin und Rednerin tätig. Trotz des 1939 erlassenen Redeverbots hielt sie öffentliche Vorträge. 1935 wurde sie kurzzeitig als Schriftleiterin von „Die Frau" abgesetzt.
1934 zog sie mit ihrer neuen Lebensgefährtin Gertrud von Sanden – Helene Lange war 1930 gestorben – nach Gießmannsdorf (Schlesien) um. Anfang 1945 flüchtete sie vor der Roten Armee von dort nach Bamberg.
Nach Kriegsende
Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte sich Bäumer für den politischen Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland. In der Frauenbewegung fand sie keinen richtigen Anschluss mehr. 1948 zog sie zu ihrer Schwester nach Bad Godesberg, wo sie die Christlich Demokratische Union (CDU) unterstützte.
Aus gesundheitlichen Gründen gab sie 1952 ihre Vortrags- und Publikationstätigkeit auf. Sie starb am 25. März 1954 in den Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel.