31. Mai 1924: 100. Geburtstag der Schauspielerin und Sängerin Gisela May
Gisela May zählte zu den berühmtesten Schauspielerinnen und Sängerinnen der Deutschen Demokratischen Republik. Als Absolventin der Leipziger Schauspielschule wirkte sie am Deutschen Theater und am Berliner Ensemble, wo sie sich in erster Linie mit der Interpretation der Stücke Bertolt Brechts internationales Renommee erarbeitete. Darüber hinaus trat May als Sängerin von Chansons sowie politischen Gedichten nach Kurt Weill, Hanns Eisler und Paul Dessau in Erscheinung. Ihre Strahlkraft brachte ihr als eine der wenigen ostdeutschen Künstlerinnen und Künstler das seltene Privileg ein, regelmäßig in die Bundesrepublik und sogar in die USA reisen zu dürfen. Breite Bekanntheit erlangte sie in Westdeutschland allerdings erst nach 1989/1990 durch ihre Rolle in der TV-Serie „Adelheid und ihre Mörder“, wo sie an der Seite Evelyn Hamanns (Adelheid) deren Mutter spielte. Die Künstlerbiografie Gisela Mays spiegelt nicht nur Grundzüge des öffentlichen Lebens in der DDR, sondern steht darüber hinaus auch symbolisch für deutsch-deutsche Kulturgeschichte vom Zweiten Weltkrieg bis zur Wiedervereinigung.
Kindheit, Ausbildung und frühe Jahre
Gisela May kam am 31. Mai 1924 als Tochter des Schriftstellers Ferdinand May und der Schauspielerin Käte May in Wetzlar zur Welt. Der aus Offenbach am Main stammende Vater stieg 1932 zum Geschäftsführer des „Kollektivs junger Schauspieler“ in Leipzig auf. Nachdem er als SPD-Mitglied die Zeit des Nationalsozialismus in der „inneren Emigration“ in Deutschland und als Wehrmachtssoldat verbracht hatte, engagierte Ferdinand May sich nach Kriegsende als Mitbegründer des „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“, der sich anfangs als überparteiliches, gesamtdeutsches Sammelbecken für Intellektuelle, Künstlerinnen und Künstler konstituierte und unter massiver Einflussnahme der SED nach 1949 als marxistisch-leninistische Massenorganisationen für Kulturschaffende in der DDR fungierte. Vor dem Hintergrund der väterlichen Verbindungen nach Leipzig absolvierte Gisela May während des Zweiten Weltkrieges eine Schauspielausbildung an der Leipziger Schauspielschule. Nach Kriegsende spielte sie zunächst kleinere Rollen auf verschiedenen Bühnen in der sowjetischen Besatzungszone.
Karriere am Deutschen Theater und am Berliner Ensemble
1951 nahm May ein Engagement am Deutschen Theater in Berlin an, das zu diesem Zeitpunkt von Wolfgang Langhoff geleitet wurde, der gleichzeitig den Kulturbund im Zweiten Deutschen Volksrat vertrat. Dessen Vorsitzender, der SED-Politiker Johannes Becher, sorgte dafür, dass aus dem Exil zurückgekehrte Künstlerinnen und Künstler im zerstörten Berlin bevorzugten Zugang zu Wohnungen erhielten, um sie in der Sowjetischen Besatzungszone zu halten und der entstehenden DDR kulturelle Identifikationsfiguren zu schenken. Ob auch May von diesen Privilegien profitierte, ist unklar. Da das Deutsche Theater, in dem sie anheuerte, bis 1954 das von Bertolt Brecht gegründete und von der SED-Spitze finanziell unterstützte Berliner Ensemble beherbergte, kam sie in Kontakt mit den Schaffen des geistigen Vaters des epischen Theaters. In den frühen Jahren inszenierte Brechts Partnerin Helene Weigel, die gleichzeitig als Intendantin und Schauspielerin der Hauptfigur wirkte, vor allem das kapitalismuskritische Drama „Mutter Courage und ihre Kinder“. 1962 wechselte May schließlich selbst ans Berliner Ensemble, das seine Bühne bereits 1954 in das Theater am Schiffbauerdamm verlegt hatte. Das Ensemble gilt retrospektiv als Ausdruck des Willens der politischen Führung der DDR, eine international renommierte Kulturszene zu etablieren und zu fördern, um so auch politisch die Aufnahme in die internationale Staatengemeinschaft voranzutreiben. Über die Theaterengagements hinaus wirkte May in der Zeit des 40-jährigen Bestehens der DDR an zahlreichen DDR-Verfilmungen mit und moderierte in den 1980er-Jahren die Unterhaltungsshow „Pfundgrube“.
Chansonsängerin und Rolle in der DDR
Eher zufällig entdeckte Hanns Eisler, der Komponist der DDR-Hymne „Auferstanden aus Ruinen“, zu der Johannes Becher den Text beigesteuert hatte, Ende der 1950er-Jahre Mays stimmliches Talent. Fortan trat sie auch als Sängerin von Chansons und Interpretin von Gedichten auf. Wegen der Strahlkraft ihrer Künstlerpersönlichkeit gewährte die DDR-Führung May das seltene Privileg, für ihre Auftritte Auslandsreisen – auch in den Westen – unternehmen zu dürfen. Dies muss auch in den Zusammenhang ihrer zumindest öffentlich gepflegten Regimekonformität gestellt werden: Zwar lebte May mit dem Philosophen und Journalisten Wolfgang Harich zusammen, der sich für Reformen innerhalb der SED einsetzte, gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann 1976 erhob sie jedoch keinen öffentlichen Protest. Für ihre Darbietung des satirischen Balletts „Die sieben Todsünden der Kleinbürger“, an dessen Entstehung Brecht mitgewirkt hatte, erhielt sie 1968 in Paris mit dem „Grand Prix du Disque“ den bedeutendsten französischen Musikpreis – eine im Kalten Krieg überaus bemerkenswerte Entscheidung der Jury. Neben zahlreichen Kunstpreisen der DDR erhielt May 1973 gar den US-amerikanischen „Obie-Award“. Nach dem Tod Helene Weigels übernahm sie 1978 die Rolle der „Mutter Courage“ am Berliner Ensemble und führte das Erbe des Dramatikers auch in anderen Rollen fort.
Rezeption im Westen und Andenken
Auch nach dem Fall der Berliner Mauer blieb May noch einige Monate am Berliner Ensemble engagiert. Zwischen 1993 und 2007 verkörperte sie 65 Folgen lang „Muddi“, die Mutter der Adelheid (Evelyn Hamann) in der Kultserie „Adelheid und ihre Mörder“, die ihr auch beim westdeutschen Publikum große Sympathien einbrachte. 2004 wurde sie für ihr Lebenswerk mir dem Bundesverdienstkreuz I. Klasse ausgezeichnet. Am 2. Dezember 2016 verstarb Gisela May in Berlin.