12. November 1948: 75. Jahrestag des Generalstreiks in der amerikanisch-britischen Bizone
Vor 75 Jahren beteiligten sich rund neun Millionen der insgesamt fast zwölf Millionen Beschäftigten in der amerikanisch-britischen Bizone an einer generalstreikähnlichen „Arbeitsruhe“, die Gewerkschaften ausgerufen hatten. Der Streik richtete sich gegen das Missverhältnis zwischen gestiegenen Preisen, vor allem für Lebensmittel, auf der einen und den gesetzlich eingefrorenen Löhnen auf der anderen Seite. Dieses Missverhältnis war durch die vier Monate zuvor durchgeführte Währungsreform entstanden, die letztlich zu einer Abwertung der Sparguthaben geführt hatte. Die Wirkung dieses in Deutschland größten Streiks seit dem Kapp-Lüttwitz-Putschversuch (1920) verpuffte zwar, trug aber mit zur Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland bei.
Folgen der Währungsreform
Als am 20. Juni 1948 in der Trizone, dem Zusammenschluss der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone, die Währungsreform durchgeführt wurde, wurde die Renten- wie die Reichsmark, die durch die Inflation wertlos geworden waren, von der D-Mark abgelöst. Gleichzeitig hob Ludwig Erhard, der Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, die bis dahin geltenden Vorschriften zur Preisbindung und Bewirtschaftung auf. Trotz einer beträchtlichen Ausweitung des Warenangebots war die Nachfrage um ein Vielfaches höher. Dadurch wurden Preiserhöhungen bis zu 200 Prozent ausgelöst. In der Folge kam es zu einem starken Abfall der Lohnquote, da die seit 1939 gesetzlich eingefrorenen Löhne nicht freigegeben wurden. Immer wieder kam es in vielen Städten der amerikanisch-britischen Bizone zu Tumulten auf den Wochenmärkten und zu Demonstrationen, zu denen verschiedene Gewerkschaften aufgerufen hatten. Zwar litt auch die Bevölkerung in der französischen Besatzungszone unter der wirtschaftlichen Misere, doch hatten die Franzosen in ihrem Machtbereich jede Form von Protest strikt untersagt.
„Stuttgarter Vorfälle“
Während die Gewerkschaften Ende Oktober mit ersten Planungen eines Generalstreiks begannen, mit dem auf die Politik des Wirtschaftsrats in Frankfurt bzw. Erhards marktwirtschaftlichen Kurs reagiert werden sollte, kam es am 28. Oktober 1948 in Stuttgart zu Streiks und Protesten von rund 50.000 Arbeiterinnen und Arbeitern, die die Wiedereinführung von Preiskontrollen, Lohnerhöhungen und Mitbestimmung forderten. Als es dabei zu Ausschreitungen kam, der die lokale Polizei nicht Herr wurde, griff die US-Militärpolizei mit Tränengas und Panzern ein.
„Generalstreik“ am 12. November 1948
Um Ausschreitungen wie bei den „Stuttgarter Vorfällen“ zu vermeiden, galten für die am 12. November 1948 stattfindende 24-stündige Arbeitsniederlegung strenge Auflagen der Besatzungsmächte, sie wurde aber nicht untersagt. Anstelle eines „Generalstreiks“ rief der Gewerkschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets offiziell zu einer „Arbeitsruhe“ auf, denn Kundgebungen und Demonstrationsumzüge waren verboten. Etwa neun der 11,7 Millionen Beschäftigten blieben daher an diesem Freitag zuhause oder gingen in ihre Gärten. Die Streikbeteiligung lag bei ca. 75 Prozent. Gefordert wurden zum einen konkrete Maßnahmen gegen Preiswucher, Warenhortung und illegalen Handel sowie die Wiederherstellung der Bewirtschaftung im Ernährungssektor; zum anderen wurde für die Planung und Lenkung im gewerblich-industriellen Sektor sowie im Außenhandel und Großverkehr und für eine Demokratisierung der Wirtschaft und die gleichberechtigte Mitwirkung der Gewerkschaften in allen Organen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung gestreikt. Auch wenn die Gewerkschaften „nur“ zu einer Arbeitsruhe aufriefen war der Aufruf nichts Anderes als ein „Generalstreik“ innerhalb der Bizone.
Das Ende des Streiks
Der CDU-Vorsitzende Konrad Adenauer forderte kurze Zeit nach dem Streik Ludwig Erhard in einem Telegramm auf, gegen die Preissteigerungen vorzugehen und die Angleichung der Löhne an das Preisniveau zu beschleunigen. Der anhaltende Druck seitens der Gewerkschaften und der SPD beförderte die Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Ab 1949 gingen die überhöhten Preise langsam zurück. Die Arbeitslosenquote stieg hingegen von drei Prozent zur Zeit der Währungsreform auf über zwölf Prozent im März 1950 an.