Zum Hauptinhalt springen

24. Oktober 1824: 200. Jahrestag der Gründung des „Physikalischen Vereins“ in Frankfurt am Main

Frei nach Johann Wolfgang von Goethes sinngemäßer Forderung, „man möge sich in Frankfurt mit der Physik beschäftigen“, schlossen sich elf Frankfurter im Oktober 1824 zusammen, um eine physikalisch-naturwissenschaftliche Institution in der Mainmetropole zu schaffen, die sie gegenüber den aufstrebenden Wissenschaftsstandorten Berlin, Leipzig, London und Paris konkurrenzfähig machte. Der „Physikalische Verein“ verschrieb sich bereits früh einer engen Anbindung der naturwissenschaftlichen Forschung an die breite Öffentlichkeit und setzte dieses Ziel in Form von öffentlichen Vorträgen, Ausstellungen und an die Frankfurter Bevölkerung gerichteten niedrigschwelligen Bildungsangeboten um. Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts fanden im Umfeld des Vereins bahnbrechende Durchbrüche statt – wie etwa die Erfindung des Telefons durch das Vereinsmitglied Johann Philipp Reis oder der Bau eines Röntgenapparats. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs ging aus dem „Physikalischen Verein“ die naturwissenschaftliche Fakultät der neu gegründeten Johann Wolfgang-Goethe-Universität hervor.

Hintergrund und Gründung des „Physikalischen Vereins“ 1824

Die Aufklärung und die Folgen der napoleonischen Hegemonie in Europa, die Werte wie Autonomie, Volkssouveränität und Gewaltenteilung in Westeuropa verankerte, ließen um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert die Vernunft ins Zentrum des Selbst- und Weltbilds der deutschsprachigen Bildungselite rücken. Die verstandesmäßige Durchdringung der Welt und das Entdecken von Naturgesetzen wurden zentrale Ziele von Forscherinnen und Forschern, die sich im Zeitalter der Restauration jedoch stets auf einem Spannungsfeld zwischen angestrebter Innovation und staatlich verordneter Konservierung des gesellschaftspolitischen Zustands von vor der französischen Revolution bewegten. Aufklärerische Ideale wie Immanuel Kants Forderung „sapere aude“ („Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“) oder Darwins Evolutionstheorie bedrohten schließlich die aus der Vormodernen tradierte Gesellschaftsordnung. In diesem gesellschaftlichen Klima bemerkte der berühmte in Frankfurt geborene Dichter Johann Wolfgang von Goethe 1814, seine Heimatstadt benötige eine Institution, die sich physikalischer und chemischer Forschung widme – im politisch fragmentierten Deutschen Bund nicht zuletzt angesichts der Konkurrenz gegenüber anderen Großstädten. Elf Frankfurter Bürger, darunter der Mediziner und Naturforscher Christian Ernst Neff und der Mechaniker und Kaufmann Johann Valentin Albert, die bereits 1817 an der Gründung der „Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung“ mitgewirkt hatten, initiierten daraufhin die Gründung des Frankfurter „Physikalischen Vereins“. Albert stellte zahlreiche naturwissenschaftliche Apparate für das öffentlich zugängliche Museum zur Verfügung, das am 29. Oktober, fünf Tage nach der Gründungssitzung, eröffnet wurde.

Entwicklung im 19. Jahrhundert

Bereits in den ersten Jahren erlangte der „Physikalische Verein“ durch Vortragsreihen ein Renommee, das weit über die Grenzen der Freien Stadt Frankfurt hinaus wirkte und Referenten und Interessierte aus dem gesamten deutschsprachigen Raum anzog. Bereits zum Wintersemester 1828/29 stellte der Verein ein eigenes Vorlesungsverzeichnis auf. Forschungsinstitutionen und Universitäten sahen sich in den 1820er- und 1830er-Jahren infolge der Karlsbader Beschlüsse allerdings Repressalien und Überwachung ausgesetzt, mittels derer die Obrigkeiten im Deutschen Bund der erstarkenden nationalen und konstitutionellen Bewegung Herr werden wollte. Nichtsdestotrotz gelang es dem „Physikalischen Verein“, mit Karl Werner Wiebel 1833 den ersten Lehrer für Physik und Chemie fest anzustellen. Darüber hinaus fertigte er ab 1826 regelmäßige Wetterberichte an, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Durch ein Abkommen mit dem Frankfurter Senat erhielt der Verein ab 1835 finanzielle Unterstützung von der Stadt und veranstaltete als Gegenleistung regelmäßige Vorlesungen für eine größere Zahl an Schülern der Höheren Lehranstalten. Drei Jahre später wurde auf Betreiben des Vorstands eine Sternwarte im Turm der Frankfurter Paulskirche eingerichtet, mittels derer alle öffentlichen Uhren in Frankfurt synchronisiert wurden. Die Anziehungskraft, die der Verein im 19. Jahrhundert auf junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausübte, zeigt sich etwa daran, dass Johann Philipp Reis ihm 1851 beitrat, um seine Erfindung, das Telefon, vorzustellen. Nachdem der Verein nach dem deutsch-deutschen Krieg 1866 in eine finanzielle Krise geraten war, prosperierte er im Kaiserreich nach 1871 wieder: Unter Führung des deutschen Physikers Walter König bauten einige Mitglieder 1896 einen funktionsfähigen Röntgenapparat – erst ein Jahr, nachdem Wilhelm Conrad Röntgen die Röntgenstrahlen entdeckt hatte.

Gründung der Frankfurter Goethe-Universität und Entwicklung bis 1990

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts diskutierte die Frankfurter Presse ausführlich die Möglichkeit der Einrichtung einer von einer Stiftung getragenen Universität am Main. Im Juni 1914 erteilte Kaiser Wilhelm II. schließlich seine notwendige Zustimmung. Der „Physikalische Verein“ stellte für die im Oktober 1914 gegründete erste Stiftungsuniversität der Neuzeit seine Institute zur Verfügung und ermöglichte damit erst den raschen Aufbau der naturwissenschaftlichen Fakultät. Nach der Universitätsgründung widmete der Verein sich vornehmlich der Wissenschaftskommunikation, während die Forschung selbst der Universität überlassen blieb. Zu seinen Ehrenmitgliedern zählen etwa Albert Einstein, Otto Hahn und Harald Lesch. Während der Zeit des Nationalsozialismus veranstaltete die NS-Massenorganisation „Kraft durch Freude“ der Deutschen Arbeitsfront (DAF) astronomische Vorträge in der vereinseigenen Sternwarte, Mitgliederversammlungen des Vereins selbst wurden hingegen 1943 verboten. Luftangriffe im März 1944 beschädigten die Räumlichkeiten und die naturwissenschaftlichen Instrumente im Vereinsbesitz schwer.

Erst im Juni 1946 konnte, nachdem eine entsprechende Genehmigung der US-Militärregierung erfolgt war, wieder eine Mitgliederversammlung stattfinden und der physische und organisatorische Wiederaufbau beginnen. Dem „Physikalischen Verein“ gelang der Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg, sodass er bis heute als ein renommiertes Bindeglied zwischen naturwissenschaftlicher Forschung und der interessierten Öffentlichkeit im Rhein-Main-Gebiet und darüber hinaus fungiert. Neben „Science-Slams“ (wissenschaftlichen Kurzvorträgen in Turnierform) zieht auch die Sternwarte jährlich mehrere Tausend Besucherinnen und Besucher an. Im Jubiläumsjahr 2024 führt der Verein zahlreiche analoge, digitale und interaktive Sonderveranstaltungen durch, die für ein breites Publikum interessant sind.

Bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung sind unter anderem folgende Publikationen zum Thema erhältlich: