16. August 1824: 200. Jahrestag der Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse durch den Bundestag in Frankfurt am Main
Die Karlsbader Beschlüsse, die die Ministerialkonferenz einflussreicher Staaten des 1815 geschaffenen Deutschen Bundes im August 1819 verabschiedeten, stehen aus heutiger Perspektive synonym für Restauration, Stagnation und Rückständigkeit in Mitteleuropa nach dem Ende der napoleonischen Hegemonie. Sie umfassten die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, ein Verbot der nach nationaler Einheit strebenden Burschenschaften, die Unterstellung von Universitäten unter staatliche Aufsicht und ermöglichten es sogar, national oder liberal gesinnte Professoren mit einem Berufsverbot zu belegen. Im Großherzogtum Hessen nahm die „Demagogenverfolgung“ besonders große Ausmaße an: So gehörte etwa auch der Schriftsteller Georg Büchner, der sich im „Hessischen Landboten“ zum Credo „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ bekannte, zu den Opfern des repressiven Prototyps eines vormodernen Überwachungsstaates. Die Karlsbader Beschlüsse wurden zweifach, 1824 und infolge des Hambacher Festes 1832, verlängert, bevor der Bundestag sie am 2. April 1848 im Rahmen der Deutschen Revolution aufhob.
Vorgeschichte: Von französischer Hegemonie in Europa bis zur Ermordung Kotzebues 1819
Die Niederlage der napoleonischen Armee in den Befreiungskriegen machte eine politische und territoriale Neuordnung des Kontinents nötig. Die gekrönten Häupter Europas und ihre Diplomaten kamen zu diesem Zweck von September 1814 bis Juni 1815 in Wien zusammen. Dass die vormoderne Kabinettsdiplomatie (noch) weitestgehend frei von nationalistischen Ressentiments blieb, zeigt etwa, das französische Vertreter mehr oder minder gleichberechtigt an den Verhandlungen teilnehmen durften. Zentrales Ergebnis des Wiener Kongresses war indes die Schaffung eines Mächtegleichgewichts in Europa, das zugleich den Frieden sichern und revolutionsfördernde Dauerkonflikte verhindern sollte – die sogenannte Pentarchie, bestehend aus Frankreich, England, Preußen, Russland und Österreich. Auf dem Gebiet des 1806 infolge von Säkularisation und Mediatisierung durch den Reichsdeputationshauptschluss und Gründung des Rheinbund 1806, einer Konföderation deutscher Staaten in Militärallianz mit Frankreich, aufgelösten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation entstand der sogenannte „Deutsche Bund“.
Dabei handelte es sich um einen losen Fürstenbund aus 35 Fürstentümern und vier freien Städten, darunter auch Frankfurt. Hinter der Ausrichtung des Deutschen Bunds am monarchischen Prinzip stand das Kalkül der Großmächte – allen voran Österreichs und Preußens, das infolge des Wiener Kongresses als vormals osteuropäische Macht ins Kernland des ehemaligen Reiches hineinwuchs – die nationalen und konstitutionellen Forderungen in der Bevölkerung zum Verstummen zu bringen. Ihr Ursprung lag in der Ambivalenz der napoleonischen Besatzung: Unter dem Druck der vielerorts als Besatzung empfundenen Fremdherrschaft entwickelte sich einerseits ein deutsches Nationalbewusstsein. Andererseits verbreitete die napoleonische Hegemonie jedoch auch Ideale der französischen Revolution wie Volkssouveränität, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit – nicht zuletzt durch den Code Civil. Der Gegensatz zwischen der restaurativen Politik der Großmächte und der Enttäuschung der national bzw. konstitutionell-liberal Gesinnten kumulierte gewissermaßen in der Ermordung des konservativen Schriftstellers und russischen Generalkonsuls August von Kotzebue durch den Jenaer Buschenschaftler Karl Ludwig Sand am 23. März 1819. Diesen Mord stilisierten Österreich und Preußen, allen voran der österreichische Staatskanzler Klemens von Metternich, zum legitimen Anlass für die Verabschiedung der Karlsbader Beschlüsse.
Verabschiedung und Folgen der Karlsbader Beschlüsse
Die Verhandlungen, die im August 1819 im böhmischen Karlsbad stattfanden, waren darüber hinaus geprägt vom Eindruck der sogenannten „Hep-Hep-Krawallen“, antijüdischen Ausschreitungen, die in mehreren Dutzend Städten im Deutschen Bund stattfanden. In Karlsbad deuteten de Verantwortlichen die Gewaltexzesse als weitere Indizien revolutionärer Gärung in der Bevölkerung und sahen sich dementsprechend in ihrem Vorgehen bestärkt. Ende August verabschiedete die Ministerialkonferenz, an der mit Preußen und Österreich die beiden entscheidenden politischen Kräfte im Deutschen Bund teilnahmen, die Karlsbader Beschlüsse. Die durch die „Hep-Hep-Unruhen“ hervorgerufene Revolutionsfurcht stellte letztlich die Folie dar, vor deren Hintergrund die Parlamentarier im Bundestag in Frankfurt die Beschlüsse am 20. September 1819 bestätigten. Bei dem Bundestag handelte es sich um einen ständigen Kongress an aus den Mitgliedsstaaten entsandten Vertretern, der im Frankfurter Palais Thurn und Taxis tagte. Infolge der Auflösung des preußisch-österreichischen Dualismus zugunsten Preußens im preußisch-österreichischen Krieg 1866 wurde der Bundestag schließlich als gemeinsames exekutives und legislatives Organ aufgelöst.
Zur Überwachung der Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse – allen voran Kontrolle von Universitäten und Burschenschaften – wurde in den Monaten nach der Verabschiedung der Karlsbader Beschlüsse eine Zentraluntersuchungskommission in Mainz eingesetzt, die bis 1828 arbeitete. Mit Maßnahmen wie diesen wurde ein umfassender Überwachungs- und Spitzelstaat etabliert, der die Epoche des Biedermeier entscheidend prägte. Viele Menschen wichen der repressiven Politik der Obrigkeit aus, indem sie sich ins Private zurückzogen. Vor diesem Hintergrund fand auch die Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse 1824 statt. Erst die französische Julirevolution von 1830 veränderte das politische Klima in Europa entscheidend: Sie diente als Initialzündung für Aufstände und Umsturzversuche nationaler Bewegungen, etwa in Polen und Italien. Im Herbst 1830 erreichte die belgische Autonomiebewegung die Unabhängigkeit vom Königreich Niederlande. Im Deutschen Bund fand nicht zuletzt in Reaktion auf die Julirevolution, die in der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen einen Vorboten des Endes der repressiven Ära in Europa darstellte, 1832 das Hambacher Fest bei Neustadt an der Weinstraße statt. Ursprünglich als Fest zu Ehren der bayerischen Verfassung erdacht, kann es in der Retrospektive als Auftakt der vorrevolutionären Stimmung im Vormärz gelten. Erst als sich diese revolutionäre Gärung – erneut in Reaktion auf die Initialzündung aus Frankreich in Form der Februarrevolution 1848 – in der Deutschen Revolution von 1848/49 Bahn brach, fand auch die Geltungszeit der Karlsbader Beschlüsse ein Ende. Bis zu ihrer Aufhebung am 2. April 1848 durch den Bundestag hatten sie für eine Dauer von knapp dreißig Jahren das politische Klima im deutschsprachigen Raum entscheidend geprägt.
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