12. September 1949: 75. Jahrestag der Wahl Theodor Heuss‘ (FDP) zum Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung
Die Diskussion um die Ausgestaltung des Amtes des Staatsoberhaupts des zu gründenden westdeutschen Nachkriegsstaates zählte zu den heftigsten im Parlamentarischen Rat geführten Debatten. Trotz der Überzeugung, mit der Bundesrepublik Deutschland lediglich ein Provisorium bis zur angestrebten deutschen Wiedervereinigung zu schaffen, votierten die Abgeordneten in Bonn 1948/1949 mehrheitlich für die Einrichtung des Bundespräsidentenamts als repräsentative Institution. In den Debatten spielte die Vergleichsfolie des Reichspräsidenten der Weimarer Republik eine bedeutende Rolle. Am 12. September 1949 wählte die Bundesversammlung – das dafür vom Parlamentarischen Rat geschaffene Gremium – Theodor Heuss (FDP) zum ersten Präsidenten der BRD. Heuss war bereits in der Weimarer Republik politisch aktiv gewesen (DDP) und bekämpfte die aufstrebende NSDAP zu Beginn der 1930er-Jahre. Als Reichstagsabgeordneter stimmte er am 23. März 1933 unter dem Eindruck der anwesenden NS-Schlägertrupps für das „Ermächtigungsgesetz“ der Nationalsozialisten, die damit Legislative und Exekutive in ihren Händen vereinigten. Nach 1945 prägte Heuss die junge Bundesrepublik bis 1959 als Staatsoberhaupt, dem qua Verfassung eine integrative, über den Parteien stehende Stellung zugedacht wurde.
Debatte um die Gestaltung des Amtes des Staatsoberhauptes in Herrenchiemsee und Bonn
Nachdem die westalliierten Militärgouverneure den westdeutschen Ministerpräsidenten am 1. Juli 1948 im Frankfurter I.G.-Farben-Haus den Gründungsauftrag für den westdeutschen Nachkriegsstaat übergeben hatten („Frankfurter Dokumente“), beriefen die Ministerpräsidenten Mitte August ein Sachverständigengremium auf der Herreninsel im Chiemsee zusammen, das einen Verfassungsentwurf ausarbeiten sollte. Unter anderem debattierten die anwesenden Staatsrechtler, darunter als hessischer Vertreter Hermann Louis Brill (SPD), dort auch über die Frage der Gestaltung des Staatsoberhaupts. Die Anwesenden stimmten darin überein, dass das künftige Staatsoberhaupt keinesfalls die starke Stellung haben dürfte, die der direkt vom Volk gewählte Reichspräsident in der Weimarer Republik gehabt hatte – schließlich war es Paul von Hindenburg in dieser Funktion möglich gewesen, zwischen 1930 und 1933 von seiner Gunst abhängige Präsidialkabinette ohne Mehrheit im Reichstag zu installieren. Der Abschlussbericht des Verfassungskonvents bildete die verfassungsrechtliche Arbeitsgrundlage für die Abgeordneten des Parlamentarischen Rats, die am 1. September zusammentraten. Wie bereits auf Herrenchiemsee sprach sich auch hier ein Teil der Abgeordneten dafür aus, dem zu schaffenden provisorischen „Staatsfragment“ vor dem Hintergrund der Besatzungsherrschaft und der fehlenden Zugehörigkeit der sowjetischen Besatzungszone zunächst kein Staatsoberhaupt zuzusprechen. Im Laufe der Beratungen votierten die Abgeordneten aber mehrheitlich für die Schaffung des Bundespräsidentenamts. Das Staatsoberhaupt sollte als neutrale Gewalt ausgleichend zwischen den übrigen Verfassungsorganen stehen und nach außen repräsentativ sowie nach innen integrierend wirken. Hinsichtlich des Wahlverfahrens erzielten die Abgeordneten einem FDP-Vorstoß folgend einen Kompromiss: Der Bundespräsident sollte nicht wie noch in Weimar direkt per Volkswahl, sondern durch ein eigens dafür geschaffenes Gremium – die Bundesversammlung – gewählt werden. Sie besteht noch heute aus den Abgeordneten des Bundestags und einer gleichen Anzahl an von den Länderparlamenten gewählten Mitgliedern. Die Amtszeit des Bundespräsidenten beträgt fünf Jahre. Zu seinen Aufgaben zählen die völkerrechtliche Vertretung, die Bekanntgabe von Gesetzen und die formelle Ernennung von Bundeskanzlerin bzw. Bundeskanzler sowie Bundesministerinnen und -ministern, nachdem diese zuvor vom Bundestag gewählt bzw. von Kanzler bzw. Kanzlerin vorgeschlagen wurden.
Biografie Theodor Heuss‘
Theodor Heuss kam am 31. Januar 1884 als dritter Sohn des Regierungsbaumeisters Ludwig Heuss und dessen Frau Elisabeth (geborene Gümbel) in Brackenheim bei Heilbronn zur Welt. Während seines Studiums von (unter anderem) Nationalökonomie, Geschichte und Staatswissenschaften in München und Berlin intensivierte er seine Beziehung zu dem liberalen Politiker Friedrich Naumann und arbeitete nach Ende seines Studiums als politischer Journalist im Kaiserreich. Wegen einer Schulterverletzung musste Heuss im Ersten Weltkrieg keinen Kriegsdienst leisten. Als Gründungsmitglied der „Deutschen Demokratischen Partei“ (DDP) befürwortete der Liberale die Gründung der Weimarer Demokratie und gehörte darüber hinaus dem republiktreuen Wehrverband „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ an. 1924 errang er schließlich ein Reichstagsmandat, das er bis 1933 innehatte. In seiner 1932 erschienenen Studie „Hitlers Weg“ setzte Heuss sich kritisch mit der aufstrebenden nationalsozialistischen Bewegung auseinander. Nichtsdestotrotz stimmte er am 23. März 1933 – nur wenige Wochen nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler – für das sogenannte „Ermächtigungsgesetz“, das die demokratische Ordnung von Weimarer endgültig ausschaltete. Die Zustimmung erfolgte allerdings unter dem direkten Bedrohungsszenario anwesender SA-Männer sowie unter dem indirekten Bedrohungsszenario eines möglichen Bürgerkriegs. In den Folgemonaten verlor Heuss seine öffentlichen Ämter, die Zeit des Nationalsozialismus erlebte er als mehr oder minder aktiver Journalist, wobei das NS-Regime ihn als Regimegegner überwachte.
Heuss in den Nachkriegsjahren und als Bundespräsident
Die US-Militärregierung betraute Heuss bereits wenige Wochen nach Kriegsende mit einer Herausgabegenehmigung für eine Zeitung in Württemberg-Baden, während er sich gleichzeitig 1945/1946 als Bildungs- und Kulturminister des Landes für Reeducation einsetzte. Noch 1945 trat er der liberalen Demokratischen Volkspartei (DVP) bei, bevor die 1948 im südhessischen Heppenheim neugegründete FDP ihn zu ihrem Vorsitzenden wählte. Heuss gehörte des Weiteren dem Parlamentarischen Rat an, wo er sich unter anderem für die Schaffung eines vollständigen, teilsouveränen Staates und gegen die Aufnahme sozialer Grundrechte und des „Elternrechts“ ins Grundgesetz einsetzte. Noch während der Verfassungsberatungen brachten verschiedene Abgeordnete ihn als möglichen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt ins Spiel. Nachdem die CDU bei der ersten Bundestagswahl im August 1949 einen knappen Sieg gegenüber der SPD errungen hatte, einigten sich CDU und FDP auf Heuss als Kandidaten. Er setzte sich am 12. September im zweiten Wahlgang gegen Kurt Schumacher als Gegenkandidaten durch. Heuss interpretierte das Amt weitestgehend so, wie der Parlamentarische Rat es staatsrechtlich konzipiert hatte: Als überparteilich repräsentatives Organ, mit dem Ziel, demokratische Prinzipien in der Gesellschaft zu verankern. Im Gegensatz zum gesellschaftlichen Klima des Verdrängens setzte er sich außerdem schon früh für eine umfassende Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen ein. Heuss prägte im Amt des ersten Bundespräsidenten die Verfassungsrealität in der jungen Bundesrepublik wie kaum ein anderer Politiker. Er verstarb am 12. Dezember 1963 in Stuttgart.
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