12. März 1904: 120. Geburtstag des Politikers und Juristen Karl Otto Adolf Arndt (SPD)
Adolf Arndt gilt als „Kronjurist“ der bundesdeutschen SPD der 1950er- und 1960er-Jahre. In seiner bewegten Biografie spiegelt sich ein halbes Jahrhundert deutsche Geschichte wider: Von den Nationalsozialisten als „Halbjude“ eingestuft, musste der Rechtsanwalt ab 1943 Zwangsarbeit leisten. Die Gründungsphase der Bundesrepublik prägte Arndt als Abgeordneter des Frankfurter Wirtschaftsparlaments der vereinten Bizone, von 1949 bis 1969 vertrat er die SPD im Deutschen Bundestag. Im Rahmen der ersten Debatte um die Verjährung von Morden des nationalsozialistischen Regimes setzte er sich 1965 für die Rehabilitierung der NS-Opfer ein und bekannte sich sogar selbst zu einer moralischen Mitverantwortung an den Verbrechen.
Jugend, Ausbildung und Leben bis 1945
Karl Otto Adolf Arndt kam am 12. März 1904 als Sohn des Juraprofessors und Rektors der dortigen Universität, Gustav Adolf Arndt, und dessen Frau Caroline in Königsberg (heute Kaliningrad) in Ostpreußen zur Welt. Im Kindesalter zogen die Eltern mit ihren beiden Söhnen Adolf und Helmut zunächst nach Berlin und 1920 schließlich nach Marburg, wo Arndt 1922 am Gymnasium Philippinum sein Abitur absolvierte. Anschließend studierte Arndt in Marburg und Berlin Rechtswissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Philosophie und promovierte zum Dr. jur. 1929 trat er eine Anstellung in der preußischen Justiz an. Im Prozess gegen den Berliner Gauleiter und späteren NS-Propagandaminister Joseph Goebbels, der als Organisator der antisemitischen „Kurfürstendamm-Krawalle“ vom 12. September 1931 (dem Tag des jüdischen Neujahrsfests) vor dem Berliner Landgericht angeklagt wurde, fungierte Arndt als beisitzender Richter.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 ließ Arndt das Richteramt ruhen und engagierte sich in einer Berliner Anwaltskanzlei, wo er unter anderem von den Nationalsozialisten Verfolgte wie den sozialdemokratischen Gewerkschaftler Wilhelm Leuschner vertrat. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde er aufgrund der jüdischen Herkunft seines Vaters aus der Anwaltskammer ausgeschlossen. Als sogenannter „Halbjude“ musste er ab 1943 im Rahmen der paramilitärischen Bauorganisation des Reichsministers für Bewaffnung und Munition, Fritz Todt, Zwangsarbeit leisten, bevor er im Sommer 1944 inhaftiert wurde. Unter falschem Namen gelang ihm 1945 die Flucht nach Schlesien, von wo aus er auf der Flucht vor der Roten Armee gemeinsam mit seiner Familie den Weg nach Westen antrat.
Politisches Engagement in der jungen Bundesrepublik
Im August 1945 erhielt Arndt seine Anwaltszulassung von der US-Besatzungsmacht wieder. Ab November 1945 arbeitete er im Hessischen Justizministerium, wo er unter Georg August Zinn (SPD) bis zum Leiter der Strafrechtsabteilung aufstieg, und gehörte zwischen 1948 und 1950 außerdem dem Hessischen Staatsgerichtshof an. Nachdem er 1946 der wiedererstandenen SPD beigetreten war, wurde er 1948 von den Länderparlamenten der amerikanischen und britischen Zone zum Abgeordneten des im Mai 1947 als eine Art Wirtschaftsparlament des Vereinigten Wirtschaftsgebiets der Bizone konzipierten „Frankfurter Wirtschaftsrats“ gewählt. Dort fungierte er als Vorsitzender des Rechtsausschusses und war an der Lösung rechtlicher Fragen rund um die westzonale Währungsreform vom 20. Juni 1948 beteiligt.
Bei der ersten Bundestagswahl im August 1949 gelang Arndt als Direktkandidat des hessischen Wahlkreises Hersfeld der Einzug in den Bundestag, dem er bis 1969 angehörte. Dort wirkte er als Justitiar und Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion. 1952 und 1958 zog der „SPD-Kronjurist“ in Debatten um die deutsche Wiederbewaffnung sowie die staatliche Parteienfinanzierung gegen die Politik von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) vor das Bundesverfassungsgericht. 1961 kippte seine gemeinsam mit den SPD-geführten Ländern Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Hessen vorgebrachte Klage gegen das von Adenauer erdachte, staatliche „Deutschland-Fernsehen“ die Umsetzung des Kanzlerprojekts. 1963 übernahm der anerkannte Architekturkritiker Arndt über sein Bundestagsmandat hinaus das neu geschaffene Amt des Senators für Wissenschaft und Kunst in West-Berlin.
Debatte um die Verjährung von NS-Verbrechen
In den 1960er-Jahren erlebte die Beschäftigung mit der kollektiven und individuellen Vergangenheit der Deutschen im Nationalsozialismus auf besonderes Betreiben der heranwachsenden, unbelasteten Generation eine Hochzeit. In der Bundestagsdebatte vom 10. März 1965 positionierte sich der selbst vom nationalsozialistischen Regime verfolgte Politiker klar gegen die Verjährung von Morden, die das Unrechtsregime zwischen 1933 und 1945 straffrei begangen hatte. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass Arndt trotz seiner eigenen Verfolgung durch die Nationalsozialisten mit den folgenden Worten eine Mitverantwortung für deren Verbrechen übernahm: „Ich weiß mich mit in der Schuld. Denn ich bin nicht auf die Straße gegangen und habe geschrien, als ich sah, dass die Juden aus unserer Mitte lastkraftwagenweise abtransportiert wurden. Ich habe mir nicht den Gelben Stern umgemacht und gesagt: ‚Ich auch!‘ Ich kann nicht sagen, dass ich genug getan hätte!“ In einer Zeit, in der einige ehemalige Nationalsozialisten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Karriere machten und die Forderung nach einem „Schlussstrich“ unter der Vergangenheit sich großer Beliebtheit erfreute, scheinen diese Worte ebenso aktuell, wie sie das angesichts von Arndts Schlussappell heute tun: „Man kann doch nicht sagen: ‚Ich war noch nicht geboren, dieses Erbe geht mich nichts an!‘“
Für seine Verdienste ermatte die nordrhein-westfälische Landesregierung Adolf Arndt 1969 zum Ehrenprofessor. Nachdem er ein Jahr lang gemeinsam mit seinem Sohn Claus als Abgeordneter im Bundestag vertreten war, schied Arndt 1969 aus dem Bundestag aus. Seine Mitwirkung am „Godesberger Programm“ hatte den Grundstein für die erste SPD-Kanzlerschaft Willy Brandts (1969-1974) in der Bundesrepublik gelegt. Am 13. Februar 1974 verstarb Arndt in Kassel.