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Prof. Dr. Dietmar Rothermund: Gandhi

Reihe Literatur und Politik

Wiesbaden, 21. November 2019 – Dietmar Rothermund, emeritierter Professor für die Geschichte Südasiens an der Universität Heidelberg, stellte an diesem Abend in der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung in der Reihe „Literatur und Politik“ sein Buch „Gandhi. Der gewaltlose Revolutionär“ vor. Die Moderation übernahm Stefan Schröder, Chefredakteur des Wiesbadener Kuriers, die Begrüßung Jürgen Kerwer, der die Vortragsreihe bei der HLZ verantwortet.

Prof. Dr. Dietmar Rothermund sei „der beste Kenner Indiens“, so Stefan Schröder in seinen einleitenden Worten. Er selbst sei, wie Prof. Rothermund anfügte, schon sehr früh mit Indien in Berührung gekommen. Nach einem Forschungsstipendium in Indien arbeitete er am neu gegründeten Südasien-Institut in Heidelberg, wo er 1968 mit dem Werk „Die politische Willensbildung in Indien 1900 bis 1960“ habilitierte. 1979 erschien bereits seine erste Biographie über Gandhi. Seit 1986 war er geschäftsführender Direktor des Südasien-Instituts. 1991 gründete er die Südasiengespräche in Heidelberg, die ihn in Deutschland und auch international bekannt machten.

Auf die Frage von Stefan Schröder, was ihn an Gandhi so fasziniert habe, antwortete Prof. Rothermund, dass ihn seine Ehrlichkeit und seine Beharrlichkeit, die Wahrheit zu finden, beeindruckt habe. Die Suche nach der Wahrheit (Satya) sei für Gandhi ganz wesentlich gewesen. Dies verband er auch mit dem Ablegen von Gelübden, denn aus Sicht Gandhis sei „die Wahrheit der Inbegriff des Gelübdes“, womit er an die alte indische Vorstellung von satyakriya (wahrmachen) anknüpfte. Hierzu las Prof. Rothermund die ersten Zeilen der Gandhi-Biographie vor.

1906 durchlebte Gandhi eine grundlegende Identitätskrise, in dessen Folge er ein Keuschheitsgelübde ablegte und seinen Anwaltsberuf in Südafrika aufgab. Auslöser war vor allem auch der von den Engländern brutal niedergeschlagene Zulu-Aufstand. Er machte sich selbst Vorwürfe, diese Taten nicht verhindert zu haben und suchte infolgedessen nach Wegen, solcher Gewalt zukünftig Einhalt zu gebieten.

Gefragt nach den Zielen Gandhis, erläuterte Prof. Rothermund diese auch anschaulich anhand von Beispielen. Als oberstes Ziel verfolgte Gandhi die Befreiung Indiens von der britischen Kolonialherrschaft. Gandhi übertrat gezielt Gesetze (z.B. dem Salzsteuergesetz, worauf er mit einem Salzmarsch reagierte, eine symbolische Revolution, die schließlich zur Zurücknahme der Steuer führte), um die Briten mit gewaltlosen Aktionen zu provozieren und gleichzeitig seine Unterstützer/seine Gefolgschaft als Gemeinschaft zu stärken. Die Kongresspartei, als Honoratiorenverein gegründet, wurde dabei durch Gandhi schließlich zur nationalen Versammlungsbewegung mit dem Ziel, Indien zu befreien. Weitere Ziele, die Gandhi verfolgte waren sein Einsatz für soziale Gerechtigkeit und für Religionsfreiheit.

Die Haltung Gandhis zur Atombombe, die Stefan Schröder ansprach, war zunächst neutral, wie Prof. Rothermund aus seinem Buch zitierte. Gandhi wollte sich zunächst nicht dazu äußern, auch aus Angst vor den großen Drei (USA, Russland und Großbritannien), weil er befürchtete, mit einer Kritik an der Atombombe, die angestrebte Freiheit Indiens zu gefährden. Schließlich positionierte er sich dann doch mit den Worten: „Die Gewaltfreiheit ist das einzige, was die Atombombe nicht zerstören kann.“

Nach seiner Ermordung durch einen fanatischen Hindu am 30. Januar 1948 begann eine „Glorifizierung“ Gandhis in Indien. Gandhi wurde von vielen Indern (nicht von allen) als Vater der Nation angesehen. Allerdings setzten die verantwortlichen indischen Politiker nicht all das um, was Gandhi gefordert und gewollt hatte. Oft blieb es bei „Lippenbekenntnissen“ wie Prof. Rothermund betonte. Gandhi hatte beispielsweise bis zu seinem Tod gegen die Aufteilung in zwei Nationen (Hindus und Muslime getrennt in zweiStaaten) gekämpft. Nach seinem Tod wurde die Teilung in Indien und Pakistan fest zementiert. Mehrere Kriege folgten. Der Konflikt zwischen Hindus und Muslimen in und zwischen beiden Ländern blieb bestehen und verhärtete sich weiter im Laufe der Zeit. Gandhi wollte und konnte zwar nicht das Kastensystem ändern, doch setzte er sich für einen anderen Status der Unberührbaren ein, so Prof. Rothermund weiter. In der indischen Verfassung von 1949 wurde zwar jegliche Diskriminierung aufgrund einer ​Kastenzugehörigkeit verboten, doch in der Praxis führte dies nur zu unwesentlichen Verbesserungen.

Bei den Fragen aus dem Publikum wurde u.a. danach gefragt, ob in der dritten Auflage des vorliegenden Bandes auch neue Erkenntnisse über Gandhi (z.B. seine Ansichten zu Frauen, sein Wirken insgesamt zu seinen Lebzeiten und heute) berücksichtigt wurden. Prof. Rothermund antwortete darauf, dass er die neuen Einschätzungen und Bewertungen kenne, aber nicht den Eindruck gewann, an dem von ihm entworfenen Bild von Gandhi etwas zu ändern. 

Zum Abschluss wies Prof. Rothermund noch auf zwei Veröffentlichungen hin, die demnächst erscheinen werden. Und zwar zum einen auf den Titel „Meine Begegnung mit Indien“, bei dem mehr als 130 indische Persönlichkeiten zu Wort kommen und dokumentiert sind. Und zum anderen auf einen Band zur Industrialisierung Indiens. 

Prof. Rothermund und der Moderator wurden mit großem Applaus vom Publikum verabschiedet. Die Gäste konnten sich danach die vorgestellte Publikation „Gandhi“ mitnehmen und vom Autor signieren lassen. 

Der vorgestellte Band „Gandhi“ von Prof. Rothermund war vorübergehend bei der HLZ erhältlich.