17. Juni 1953: 70. Jahrestag des Volksaufstandes in Ost-Berlin und der DDR
Am 11. Juni 1963 erklärte Bundespräsident Heinrich Lübcke durch Proklamation – eine öffentliche und feierliche Verkündigung – den „17. Juni“ zum nationalen Gedenktag. Zehn Jahre zuvor waren die Juniaufstände in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nach Verhängung des Ausnahmezustandes in Ost-Berlin und in Teilen der DDR mit Hilfe des sowjetischen Militärs brutal zerschlagen worden. Mehrere dutzend Menschen starben in Folge der Niederschlagung der Aufstände oder wurden nachträglich von der DDR-Justiz zum Tode verurteilt. Bei den Juniaufständen handelte es sich um die erste Massenerhebung im Herrschaftsbereich der Sowjetunion nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Bereits am 4. August 1953 wurde der „17. Juni“ zum gesetzlichen Feiertag in der Bundesrepublik Deutschland erklärt. Besonders durch die Proklamation des Bundespräsidenten Heinrich Lübcke zum „nationalen Gedenktag des deutschen Volkes“ nahm der „17. Juni“ bis zur Wiedervereinigung Deutschlands eine wichtige Funktion westdeutscher Staatssymbolik ein.
Gründe und Vorgeschichte des Volksaufstandes in der DDR 1953
Die DDR wurde am 7. Oktober 1949 gegründet und versuchte in Folge, sich als sozialistischer Staat zu etablieren. Unter der Kontrolle und dem Einfluss der Sowjetunion und dort ausgebildeten Politikerinnen und Politiker, sogenannte „Kader“, wurde die DDR jedoch zunehmend in ein autoritäres Regime transformiert. Die politische Unterdrückung, wirtschaftliche Probleme und die Einschränkung persönlicher Freiheiten führten zu wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Im Jahr 1953 führte die Regierung der DDR im Rahmen des verkündeten „Aufbau des Sozialismus“ eine drastische Erhöhung der Arbeitsnormen ein, was zu längeren Arbeitszeiten und niedrigeren Löhnen führte. Diese Maßnahme traf vor allem die Arbeiterklasse und führte zu Protesten und Streiks in vielen Teilen Ostdeutschlands. Ausgehend von ersten Arbeitsniederlegungen, u.a. im ländlichen Raum und in den Stadt- und Landkreisen, entwickelten sich in kürzester Zeit Aufstände in der ganzen DDR. In über 600 Betrieben und an mehr als 400 Orten kam es zu Protesten.
Der Höhepunkt der Aufstände am 16. und 17. Juni und die Niederschlagung
Die Demonstrationen entwickelten sich schnell zu einem flächendeckenden Aufstand, bei dem auch politische Forderungen nach einer freien Presse, Meinungsfreiheit und dem Rücktritt der Regierung erhoben wurden. Am 16. und 17. Juni 1953 erreichte der Unmut der Bevölkerung seinen Höhepunkt. Tausende von Arbeiterinnen und Arbeitern sowie Demonstrierende versammelten sich in Ost-Berlin, in anderen Städten, Landkreisen und Dörfern, um gegen die Arbeitsnormerhöhungen, die mangelnde Freiheit und die autoritäre Regierung zu protestieren. Die Regierung der DDR reagierte mit brutaler Gewalt, um den Aufstand niederzuschlagen. Sowjetische Truppen mit Panzern wurden mobilisiert, um die Proteste zu unterdrücken. Es kam zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Demonstrierenden und den Sicherheitskräften.
Bis heute konnte nicht abschließend geklärt werden, wie viele Menschen während und nach der Niederschlagung der Aufstände getötet wurden. Tausende Menschen wurden verhaftet, gefoltert, inhaftiert, deportiert und zum Teil zum Tode verurteilt.
„Der Schock über die Rebellion der Arbeiter saß tief. Doch während man sich mit der Mär von den faschistischen, aus Westdeutschland ferngesteuerten Provokateuren über die Realität rasch hinwegtäuschen konnte, ließ sich das Versagen der Parteimitgliedschaft in dieser Staatskrise nicht negieren.“
Ulrich Mählert: Kleine Geschichte der DDR, 6. Auflage, München 2009, S. 76.
Die Westalliierten schlossen ein Eingreifen und eine Unterstützung der Zivilbevölkerung in Ost-Berlin aus, da die Angst vor einer Eskalation der Krise am Schmelztiegel des Kalten Krieges befürchtet wurde. In West-Berlin und bald in der gesamten Bundesrepublik herrschte hilflose Wut.
Eine öffentliche Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Hintergründen und Ereignissen rund um den Volksaufstand gab es in der DDR nicht und der „17. Juni“ wurde zu einem Tabu. Der „17. Juni“ entlarvte wie kein anderes Ereignis in der frühen Geschichte der DDR die staatliche Erzählung vom „Arbeiter- und Bauernstaat“.
Der 17. Juni als wichtiger Gedenktag der deutschen Geschichte
Der Volksaufstand des „17. Juni“ markierte einen entscheidenden Moment und wird zu Recht als einer der großen revolutionären Momente der deutschen Geschichte bezeichnet. Als Ausdruck des Unmuts und der Unzufriedenheit der ostdeutschen Bevölkerung gegenüber dem sozialistischen Regime der DDR war dieser Aufstand ein, wenn auch nicht direkt, wirkmächtiger Wendepunkt von großer Bedeutung. Der „17. Juni“ war der Ausgangs- und Referenzpunkt von Erhebungen und Aufständen (Ungarn und Polen 1956, Tschechoslowakei 1968, Polen 1980) im kommunistischen Herrschaftsbereich der Nachkriegszeit und ebnete auf lange Sicht den Weg zum Sturz der kommunistischen Herrschaftssysteme in Europa 1989/90.
Bis zur deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 war der „17. Juni“ 36 Jahre lang der Nationalfeiertag der Bundesrepublik Deutschland. Mit dem Einigungsvertrag und dem Ende der deutschen Teilung verlor der „17. Juni“ seinen Status als gesetzlicher Feiertag und geriet seit dem immer weiter in Vergessenheit.
„Als problematisch erweist sich die Einordnung des ‚17. Juni‘ in die deutsche Geschichte auch deshalb, weil sie als bloßer Teil der DDR-Geschichte wahrgenommen wird. Es bleibt eine Herausforderung, die DDR-Geschichte so in die deutsche Geschichte zu integrieren, dass sie Eingang ins historische Gedächtnis und in die historische Erinnerung findet.“
Ilko-Sascha Kowalczuk: 17. Juni 1953, München 2013, S. 121.
Das mutige Aufbegehren der Demonstrierenden für Freiheit und Selbstbestimmung am „17. Juni“ gegen das DDR-Regime sollte stärker in das kulturelle Gedächtnis der bundesdeutschen Geschichte als Moment progressiver Selbstermächtigung mit zum Teil tödlichen Folgen gerückt werden.
Die Erinnerung und das Gedenken an die Opfer des Volksaufstandes, die für demokratische Ideale getötet wurden, sind heute, im Angesicht einer Zunahme globaler totalitärer Machtsysteme und Kriege auch in Europa, wichtiger denn je. Auch in Westdeutschland, wo das Gedenken an den Volksaufstand und den damit verbundenen Opfern in heutiger Zeit noch geringer ausgeprägt ist als auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, wäre eine umfangreichere Würdigung des „17. Juni“ in der politischen Bildung und besonders auch im schulischen Kontext wünschenswert. Zum heutigen 70. Jahrestag wird deutschlandweit mit verschiedenen Veranstaltungen an die Opfer des Volksaufstandes erinnert.