10. August 1989: 35. Jahrestag der Einrichtung der ersten deutsch-deutschen Fluglinie zwischen Frankfurt am Main und Leipzig
Am 10. August 1989 absolvierte die Lufthansa-Boeing 737-300 „Reutlingen“ einen Linienflug vom Flughafen Frankfurt am Main zum Flughafen Schkeuditz Leipzig/Halle. Was aus heutiger Perspektive wie kaum erwähnenswerter Alltag an zahllosen nationalen und internationalen Flughäfen klingt, markierte im Sommer 1989 – drei Monaten vor dem Fall der Berliner Mauer – ein symbolisch bedeutsames Ereignis des Wiederzusammenwachsens der seit vier Jahrzehnten bestehenden deutschen Teilstaaten. So kam es infolge des ersten deutsch-deutschen Linienflugs zur Einrichtung der ersten ständigen Fluglinie von der Bundesrepublik in die Deutsche Demokratische Republik. Zwar überflogen die Flugzeuge die mit einer den Luftkorridor umfassenden militärischen Kontrollzone ausgestattete innerdeutsche Grenze nicht direkt, sondern nutzten eine mehr als doppelt so lange Route über Bayern und die Tschechoslowakei, um von Osten in die DDR einzufliegen. Nichtsdestotrotz kommentierten Zeitzeuginnen und -zeugen das symbolträchtige Ereignis treffend als „erstes Loch in der Mauer am Himmel“. Die politische Führung des ostdeutschen Teilstaats, aus dem allein im August 1989 mehrere zehntausend Bürgerinnen und Bürger illegal oder mit Genehmigung ausreisten, war hingegen um eine betont pragmatische Berichterstattung bemüht. Die Ereignisse des 10. August 1989 können rückblickend jedoch durchaus als symptomatische Vorboten des Zusammenbruchs des „real existierenden Sozialismus“ im November 1989 gedeutet werden.
Vorgeschichte: Deutsche Teilung und Mauerbau
Nach dem Zweiten Weltkrieg teilten die vier Hauptsiegermächte USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion das Gebiet des besiegten Deutschlands in vier Besatzungszonen und das Stadtgebiet Großberlins in vier Sektoren. Im machtpolitischen Ringen um Einflusssphären in Europa und vor dem Hintergrund ihrer konträren deutschlandpolitischen Perspektiven scheiterte die gemeinsame Deutschlandpolitik aller vier Alliierten im Laufe der Jahre 1946/1947, sodass 1949 mit der Bundesrepublik Deutschland im Westen und der Deutschen Demokratischen Republik im Osten zwei separate deutsche Teilstaaten entstanden, die in die jeweiligen Bündnissysteme des amerikanisch geführten Westens bzw. des sowjetisch geführten Ostens integriert wurden. Im August 1961 zementierte die politische Führung der DDR um den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht die deutsche Teilung auch physisch durch den Bau einer Mauer zwischen Ost- und West-Berlin, das als bundesrepublikanische Exklave inmitten der DDR gelegen war, sowie zwischen West-Berlin und dem Staatsgebiet der DDR selbst. Grund hierfür war die Sorge führender SED-Politiker, angesichts der zahlreichen über West-Berlin ausreisenden DDR-Bürgerinnen und -Bürger, die vor dem Hintergrund von Unfreiheit und mangelnder wirtschaftlicher Zukunftsperspektive in den Westen flohen, die „Abstimmung mit den Füßen“ gegenüber der Bundesrepublik zu verlieren. Mindestens 140 Menschen starben nach 1961 im sogenannten „Todesstreifen“ rund um die Mauer oder durch Schüsse der Grenzposten rund um die Berliner Grenzanlagen.
Verlauf der innerdeutschen Grenze in der Luft
Die Grenzanlagen reichten zumindest auf dem Papier bis mehrere Kilometer in den Luftraum hinein: So verlief auf westlicher Seite die etwa 50 Kilometer breite „Air Defence Identification Zone“, in die lediglich einfliegen durfte, wer über eine Sondergenehmigung verfügte. Sowohl westlich als auch östlich der Grenze harrten Kampfflugzeuge möglichen Angreifern aus dem jeweils anderen Teilstaat. Schließlich markierte die deutsch-deutsche Grenze, an der auch Hessen lag, zwischen 1949 und 1989 den Frontverlauf des Kalten Kriegs. Einzig drei unter Viermächte-Verwaltung stehende Luftkorridore, die bereits während der fast einjährigen Blockade West-Berlins durch die Sowjetische Besatzungsmacht 1948/1949 zur Versorgung von mehr als 2 Millionen Menschen über die sogenannte Luftbrücke genutzt worden waren, verbanden den Luftraum von BRD und DDR. Sie durften jedoch lediglich von in Großbritannien, Frankreich oder den USA registrierten Flugzeugen beflogen werden.
Flugverkehr zwischen Bundesrepublik und DDR
Im Zusammenhang mit der Neuen Ostpolitik der von Willy Brandt (SPD) und Walter Scheel (FDP) geführten sozialliberalen Koalition (1969-1974), unter der es 1970 zum ersten deutsch-deutschen Gipfeltreffen mit DDR-Ministerpräsident Willi Stoph (SED) kam, begann auch eine Phase wirtschaftlicher Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Teilstaaten. Um dem Interesse westdeutscher Geschäftsleute an der Leipziger Messe gerecht zu werden, organisierten westdeutsche Reisebüros bereits im September 1972 einzelne Flüge aus Frankfurt und München in die DDR. Im Gegenzug absolvierte die staatliche DDR-Fluggesellschaft „Interflug“ 1973 einige Flüge zur Messe nach Stuttgart. 1984 unternahmen der damalige Lufthansa-Chef Heinz Ruhnau und sein Pendant bei Interflug, Klaus Henkes – zeitgleich stellvertretender DDR-Verkehrsminister –, einen gemeinsamen Vorstoß zur Ausweitung des stark begrenzten Messeflugverkehrs, der jedoch am US-amerikanischen Veto scheiterte.
Einrichtung der ersten deutsch-deutschen Fluglinie und Rezeption
Fünf Jahre später genehmigten die Alliierten schließlich die Aufnahme des ständigen Flugverkehrs zwischen Bundesrepublik und DDR, allerdings musste der Pilot die mit 110 Passagieren besetzte Boeing 737 am 10. August immer noch über den mehr als doppelt so langen Umweg über die Tschechoslowakei fliegen. Zwei mal wöchentlich, montags und donnerstags, flog fortan eine Lufthansa-Maschine zwischen Frankfurt und Leipzig, während Maschinen aus der DDR, darunter auch Flugzeuge aus russischer Produktion, von Leipzig nach Düsseldorf flogen und dabei ebenfalls einer Route über Prag folgten. Auch Flughäfen in Ost-Berlin wurden nach dem 9. November 1989 wieder aus Westdeutschland angeflogen, die erste Landung auf dem westberliner Flughafen Tegel erfolgte erst am 2. Oktober 1990, einen Tag vor der Wiedervereinigung des über 40 Jahre geteilten Deutschlands. Während die Einrichtung einer ständigen deutsch-deutschen Flugverbindung im Westen als bedeutender Schritt der Annäherung beider deutscher Staaten gefeiert wurde, fielen die Reaktionen in der politisch kontrollierten ostdeutschen Presse eher verhalten aus. Klaus Henkes, stellvertretender DDR-Verkehrsminister, kommentierte das Ereignis etwa als „Ausdruck des Bemühens der DDR um gutnachbarliche Beziehungen“ mit der BRD. Die DDR stand bereits zu diesem Zeitpunkt angesichts einer massenhaften Ausreisewelle über Ungarn und Österreich unter enormem politischen Druck. Auch wenn ausreisewillige DDR-Bürgerinnen und -Bürger den neu eingerichteten Linienflugverkehr nicht zur Flucht nutzen konnten, da hierfür eine staatliche Erlaubnis nötig gewesen wäre, dürften die Ereignisse des 10. August 1989 die durch die Mauer getrennten Menschen in Ost und West einander dennoch ein wenig nähergebracht haben. Am 9. November 1989 erzwang die ostdeutsche Bevölkerung durch ihren friedlichen Protest schließlich die Öffnung der Grenzbefestigung und leitete somit den Prozess der Wiedervereinigung des über 40 Jahre geteilten Deutschlands ein.