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12. August 1970: 50. Jahrestag Moskauer Vertrag

Das nationalsozialistische Deutschland hatte den Zweiten Weltkrieg entfacht und verloren. Wie mit dem besiegten Deutschland umzugehen war, regelte 1945 die Potsdamer Konferenz der drei Siegermächte Sowjetunion, USA und Großbritannien. Doch die Vorläufigkeit der Regelungen wandelte sich vor dem Hintergrund des Kalten Krieges in einen Bestand, der die politische Wirklichkeit samt der Existenz des Eisernen Vorhangs in Europa abbildete. An eine Rückkehr der heimatvertriebenen Deutschen in das deutsche Staatsgebiet in den Grenzen von 1937 bzw. in die angestammten Siedlungsgebiete in Ost- und Ostmitteleuropa war realistisch nicht mehr zu denken.

Der Moskauer Vertrag legte den Grundstein für die neue Ostpolitik der SPD/FDP-Regierung unter Führung von Bundeskanzler Willy Brandt. Innenpolitisch lösten die Sondierungsgespräche mit Moskau und schließlich die Unterzeichnung des Vertrags z.T. heftige Reaktionen aus. Die Opposition sprach von „Verzichtspolitik“ oder dem „Ausverkauf deutscher Interessen“. Befürworter sahen darin hingegen die Anerkennung der politischen Realitäten in Europa.

Die ersten Sondierungsgespräche begannen bereits kurz nach Amtsantritt der sozialliberalen Koalition im Dezember 1969. Nach monatelangen Vorgesprächen reiste im Juli 1970 Außenminister Walter Scheel zu den Abschlussverhandlungen nach Moskau. Mit dabei hatte er u.a. den „Brief zur deutschen Einheit“, in dem die Bundesregierung deutlich zum Ausdruck brachte, dass die deutsche Frage weiterhin offen sei. Am 12. August 1970 unterzeichneten Bundeskanzler Willy Brandt und der sowjetische Ministerpräsident Alexej Nikolajewitsch Kossygin den Moskauer Vertrag. Im Mittelpunkt des Vertrags standen der Verzicht auf Gewaltanwendungen bei Konflikten und die Anerkennung der bestehenden Grenzen, um die Sicherheit in Europa zu garantieren. In Artikel 3 heißt es:

„Die Bundesrepublik Deutschland und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken… verpflichten sich, die territoriale Integrität aller Staaten in Europa in ihren heutigen Grenzen uneingeschränkt zu achten; sie erklären, dass sie keine Gebietsansprüche gegen irgendjemand haben und solche in Zukunft auch nicht erheben werden; sie betrachten heute und künftig die Grenzen aller Staaten in Europa als unverletzlich, wie sie am Tage der Unterzeichnung dieses Vertrags verlaufen, einschließlich der Oder-Neiße-Linie, die die Westgrenze der Volksrepublik Polen bildet, und der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik.“

Die Sowjetunion wollte mit dem Vertrag den Status Quo in Europa und damit die Westverschiebung ihres Staatsgebietes sichern und gleichzeitig aber auch eine Öffnung der Ostblockstaaten einleiten. Zudem suchte die Sowjetunion auf westdeutscher Seite wirtschaftliche Unterstützung u.a. zur Erschließung von Öl- und Gasfeldern in Westsibirien

Der Moskauer Vertrag war das erste sichtbare Ergebnis der neuen Ostpolitik unter Brandt. Im Dezember 1970 folgte bereits ein weiterer Vertrag mit Polen (Warschauer Vertrag). Diese Verträge sowie der Grundlagenvertrag mit der DDR 1972 und der Prager Vertrag 1973 führten letztendlich zu einer spürbaren Entspannung zwischen Ost und West und schuf die Voraussetzungen für eine Normalisierung der Beziehungen zu den anderen kommunistischen Staaten Osteuropas. Willy Brandt, der 1974 aufgrund der Enttarnung seines persönlichen Referenten Günter Guillaume als Agent der DDR zurücktrat, erhielt 1971 für seine Entspannungspolitik den Friedensnobelpreis.

Die CDU/CSU-Fraktion versuchte die Ratifizierung des Moskauer und des Warschauer Vertrags im April 1972 durch ein konstruktives Misstrauensvotum zu verhindern, scheiterte aber infolge der sogenannten Steiner-Wienand-Affäre um angebliche Geldzahlungen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Am 17. Mai 1972 wurden beide Verträge schließlich im Bundestag ratifiziert.