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07. Juni 1973: 50. Jahrestag des Besuchs von Willy Brandt als erstem Bundeskanzler in Israel

Der Gast, der am 7. Juni 1973 auf dem Lod International Airport östlich von Tel Aviv landete, war kein gewöhnlicher. Als erster deutscher Bundeskanzler besuchte Willy Brandt 28 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs Israel und wurde mit militärischem Zeremoniell von seiner Amtskollegin Golda Meir empfangen. Es regte sich allerdings auch Protest gegen seinen Besuch, wenn auch weniger, als erwartet.

Vorgeschichte: Das Luxemburger Abkommen

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts, in dem 6 Millionen Jüdinnen und Juden in der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie ermordet wurden, schien es unvorstellbar, dass die Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches, die Bundesrepublik Deutschland, und der 1948 gegründete jüdische Staat Israel diplomatische Beziehungen aufnehmen würden.

Doch bereits in den frühen 1950er Jahren begannen Verhandlungen zwischen dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer, seinem israelischen Amtskollegen David Ben Gurion und Nahum Goldmann, dem Vorsitzenden der Jewish Claims Conference, einer Dachorganisation, die bis heute Entschädigungsansprüche von Opfern des Holocaust vertritt. Diese Verhandlungen mündeten 1952 im Luxemburger Abkommen, in Deutschland auch häufig, und fälschlicherweise, „Wiedergutmachungsabkommen“ genannt. Das Abkommen umfasste Zahlungen, Exportgüter und Dienstleistungen im Gesamtwert von 3,5 Milliarden D-Mark, die die Bundesrepublik als Reparationsleistung für das jüdische Volk zu leisten erklärte. Darüber hinaus verpflichtete sich die Bundesrepublik Deutschland, unter den Nationalsozialisten geraubte Vermögenswerte zu erstatten. Das Abkommen wurde sowohl vom deutschen als auch vom israelischen Parlament ratifiziert – gegen starken Widerspruch: Konrad Adenauer konnte das Abkommen nur mit den Stimmen der oppositionellen SPD durchsetzen, weil Teile seiner Koalition dagegen stimmten. In Israel regten sich massive Proteste gegen das sogenannte „Blutgeld“ verbunden mit dem Vorwurf, die Regierung würde die Würde der Opfer missachten und es den Täterinnen und Tätern erlauben, sich freizukaufen. Doch das junge Land war dringend auf finanzielle Unterstützung angewiesen, sodass Ministerpräsident Ben Gurion sich schließlich durchsetzen konnte. Da die Zahlungen mehrheitlich in Form von Waren und Rohstoffen geleistet wurden, förderten sie den Absatz deutscher Produkte und trugen somit ihren Teil zum „Wirtschaftswunder“ Nachkriegsdeutschlands bei.

Annäherungen auf zivilgesellschaftlicher Ebene und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen

Das Luxemburger Abkommen war nicht verbunden mit einer „Normalisierung“ und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Vertragsstaaten. Annäherungsbestrebungen gab es gleichwohl auf zivilgesellschaftlicher Ebene, in der Frühphase häufig durch kirchliche Initiativen. Der evangelische Theologe Hermann Maas wurde als erster Deutscher offiziell nach Israel eingeladen. Zehn Jahre später, im März 1960, begannen Verhandlungen zwischen der deutschen und der israelischen Regierung, die schließlich am 12. Mai 1965 zur Aufnahme offizieller diplomatischer Beziehungen führten. Zwar hatte es schon vorher Kontakte und Austausch auf politischer Ebene gegeben. 1957 trafen sich Schimon Peres, damals Generaldirektor im israelischen Verteidigungsministerium, und Bundesverteidigungsminister Franz-Josef-Strauß – allerdings noch im Geheimen. Vor der ersten Reise eines Bundeskanzlers besuchte die Fußballmannschaft von Borussia Mönchengladbach im Februar 1970 Israel und spielte in Tel Aviv gegen die israelische Nationalmannschaft.

Der Besuch des Kanzlers

Acht Jahre hatte es nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen gedauert, bis der erste Staatsbesuch eines Bundeskanzlers in Israel stattfand. Zwar war es der erste Aufenthalt eines amtierenden Bundeskanzlers, aber nicht der erste von Willy Brandt – er war bereits 1960, damals Regierender Bürgermeister West-Berlins, nach Israel gereist. Auch wenn es eine historische Reise war, unterschied sich der Ablauf kaum von Besuchen anderer Regierungschefs. Das Besuchsprogramm umfasste u.a. die Klagemauer, den Felsendom, die Erlöserkirche und die nationale Holocaustgedenkstätte Yad VaShem, wo Brandt bei der Kranzniederlegung aus Psalm 103 zitierte: „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.“ Willy Brandt hatte während des Zweiten Weltkriegs in Opposition zum nationalsozialistischem Deutschland gestanden und Zuflucht in Skandinavien gefunden. Daher konnte sein Gedenken in Yad VaShem in Israel als authentische Geste wahrgenommen werden.

Inhaltlich standen vor allem sicherheits- und außenpolitische Themen auf der Agenda des viertätigen Besuchs. Der Schwerpunkt lag vor allem auf der latenten Kriegsgefahr und den Beziehungen Israels zu den arabischen Nachbarländern. Während Golda Meir ihre Hoffnungen auf Willy Brandt als Vermittler, besonders mit Ägypten, gesetzt hatte, lehnte er eine aktive Rolle ab. Er befürchtete, eine solche könnte die Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland übersteigen, versicherte aber seine Bereitschaft, zur Konfliktlösung beitragen zu wollen. Wie weit der Frieden damals noch entfernt war, sollte kurz darauf der Jom Kippur-Krieg zeigen, der am 6. Oktober 1973 ausbrach. Ein weiterer Punkt, in dem Meir und Brandt unterschiedliche Ansichten vertraten, war die Frage nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den arabischen Staaten.

Auch wenn Differenzen deutlich wurden, hat die Reise die deutsch-israelischen Beziehungen vertieft. Willy Brandt fasste das Verhältnis in einer Rede zusammen: „Die deutsch-israelischen Beziehungen – ich sage das auch jetzt mit der gebührenden Unterstreichung – müssen vor dem düsteren Hintergrund der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft gesehen werden, und genau dies meinen wir, wenn wir sagen: Unsere normalen Beziehungen haben den Charakter der Besonderheit.“

Nach dem Jom Kippur-Krieg trat Golda Meir zurück, da sie den Angriff der arabischen Staaten nicht vorhergesehen hatte. Sie konnte daher den angekündigten Gegenbesuch nicht mehr in die Tat umsetzen. Ihr Nachfolger Yitzhak Rabin besuchte 1975 als erster israelischer Ministerpräsident die Bundesrepublik Deutschland.

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