Winfried Nerdinger: Das Bauhaus
Reihe Literatur und Politik
Wiesbaden, 21. März 2019 – Winfried Nerdinger, Autor und früher Professor für Architekturgeschichte und Direktor des Architekturmuseums der TU München sowie Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums München, war an diesem Abend zu Gast in der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung und stand vor rund 120 Gästen Rede und Antwort zu seinem 2018 erschienenen Buch „Das Bauhaus“. Moderiert wurde das Gespräch im Rahmen der Reihe „Literatur und Politik“ von Dr. Paul-Hermann Gruner, Autor, Journalist und bildender Künstler aus Darmstadt.
Nach einer kurzen Begrüßung durch Jürgen Kerwer, der für die Reihe „Literatur und Politik“ verantwortlich zeichnet, stieg der Moderator mit einer kleinen Zahlenreihung zum Bauhaus ein: 14 Jahre von 1919 bis 1933, 1250 Schüler, 3 Direktoren und 3 Standorte. Erstaunlich, dass das Bauhaus so eine große Wirkung und Bedeutung im Nachgang erzielte, obwohl es ja nur eine kleine Schule mit wenigen Absolventen gewesen sei und im Jubiläumsjahr nun zahlreiche Veranstaltungen in ganz Deutschland stattfinden würden, wie Gruner dazu anmerkte.
Zunächst wollte Paul-Hermann Gruner von Winfried Nerdinger wissen, wer denn die Vorläufer des Bauhauses waren. Der Deutsche Werkbund, der 1907 gegründet worden war, habe, so Nerdinger in seiner Antwort, die wesentlichen Grundlagen für Das Bauhaus gelegt. Der Deutsche Werkbund hatte sich zum Ziel gesetzt, sich mit den Industrieprodukten auseinanderzusetzen und ihnen einen geistigen Gehalt zu geben. Das Kunstwerk sollte wieder als Einheit gesehen werden. Mehrere Schulen in Deutschland verfolgten diese Zielsetzung, das Bauhaus war letztendlich die einzige Schule, die dies dann auch tatsächlich umsetzte. Die späteren Direktoren des Bauhauses waren im Übrigen alle Mitglieder des Deutschen Werkbundes, sodass auch personell eine Kontinuität erfolgte. Der Begriff „Einheit“ wurde dann später zum Schlüsselbegriff in Walter Gropius Wirken und in seinen Äußerungen zum Bauhaus.
Mit der Gründung des Bauhauses im April 1919 in Weimar formulierte der erste Direktor, Walter Gropius, die Zielsetzung, das Handwerk mit der hohen und angewandten Kunst zu verbinden und alle Kunstgattungen miteinander zu vereinen. Das Handwerk sollte wieder eine wesentliche Grundlage für die Kunst werden, wie im Mittelalter beim Bau von Kathedralen. Die Schüler sollten in ihren Fächern jeweils Unterricht von einem Künstler und einem Handwerker erhalten. In seinen Vorstellungen ging es Gropius dabei auch um eine Einheit von Kunst und Volk.
Von 1919 bis 1921 schwang der expressionistische Pathos im Bauhaus mit, als man ausrief, am Aufbau einer neuen Welt mit modernen Menschen mitwirken zu wollen. Ab 1921/22 setzte sich das Bauhaus, so Nerdinger in seinen Ausführungen weiter, mit der Industrieproduktion auseinander, um Kunst und Technik zu einer Einheit zusammenzuführen. Dies blieb auch bis 1928 die Leitlinie am Bauhaus. In dieser Zeit entwickelte sich ein Internationaler Stil (in den USA seit 1932 als International Style in Anlehnung an das Bauhaus bezeichnet), der später für die ganze Welt prägend wurde. Man suchte in Farbe und Form nach Wiedererkennbarkeit.
Auf die drei Direktoren von Paul-Hermann Gruner angesprochen ging der Autor kurz auf Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe ein. Gropius wirkte von 1919 bis 1928 (Weimar und Dessau) und hinterließ die nachhaltigsten Spuren, trat dann aber aufgrund von zahlreichen organisatorischen und personellen Kämpfen sowie wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Bauhauses im Februar 1928 zurück. Sein Nachfolger, Hannes Meyer, wendete sich in seiner Zeit als Direktor in Dessau gegen den bisherigen Bauhausstil von Gropius und vertrat einen strengen funktionalistischen Volksstil weg vom luxusorientierten Stil. Meyer galt als Kommunist und wurde vor allem von den Nationalsozialisten unter Beschuss genommen. Später wanderte er nach Russland aus, danach nach Mexiko, wo er 1955 starb. Eines seiner wenigen Bauten war die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau bei Berlin (1928-1930), das als Lernfabrik mit drei Fabrikschloten im Eingangsbereich gebaut wurde und mittlerweile zum Weltkulturerbe gehört. Ludwig Mies van der Rohe kehrte dann als letzter Direktor (1930 bis 1933 in Weimar und Berlin) wieder zurück zu Stil und Formbewusstsein unter Gropius. Er arbeitete unter den Nationalsozialisten nach der Schließung des Bauhauses im Frühjahr 1933 weiter und erhielt z.B. auch einen Auftrag von Goebbels zur Weltausstellung 1935 für den Deutschen Pavillon. Schließlich verließ er 1937 Deutschland.
Zuletzt kam der Moderator darauf zu sprechen, ob es eine Bauhausarchitektur gäbe. Winfried Nerdinger antwortete darauf mit einem eindeutigen NEIN. Architektur sei erst ab 1927/28 am Bauhaus unterrichtet worden und wurde also nur kurze Zeit gelehrt. Das, was man heutzutage üblicherweise mit Bauhaus verbindet – klare geometrische funktionale Formen, weißer Anstrich – wurde vor allem durch Walter Gropius und auch durch Ludwig Mies van der Rohe und ihr Wirken in den USA stilbildend.
Der Autor stellte in diesem Kontext fest, dass es aus seiner Sicht vier Bauhausstile gäbe:
- Frühe Bauhausstil mit expressionistischen Zügen (Johannes Itten z.B.)
- Unter Gropius Kunst und Technik in Einklang zu bringen (z.B. Teekanne von Marianne Brandt oder Wassily-Sessel von Marcel Breuer).
- Der funktionalistische alltagstaugliche Stil unter Meyer.
- Ein ästhetisierender Stil unter Mies van der Rohe.
Auf die Nachfrage von Paul-Hermann Gruner, ob wir eine Entmystifizierung des Bauhauses bräuchten, meinte der Autor, dass Aufklärungsarbeit in diesem Punkt notwendig wäre. Bei den ganzen Jubiläumsfeierlichkeiten würde zu viel geglättet und poliert und zu wenig nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Bauhauses an den Standorten Weimar, Dessau und Berlin geschaut.
Wer eine typische Bauhausarchitektur erleben wolle, solle ins südniedersächsische Alsfeld an der Leine reisen und dort das Fagus-Werk von Walter Gropius und seinem Mitarbeiter Adolf Meyer anschauen.
Nach dem Gespräch kamen aus dem Publikum u.a. Fragen zur Weißenhofsiedlung in Stuttgart, zum Gropiusviertel in Berlin, das Musterhaus „Am Horn“ in Weimar, zu Hannes Meyer und seine Architektur oder Walter Gropius und sein Wirken. Der Tenor in den Antworten von Winfried Nerdinger war immer derselbe. Das Bauhaus sei keine große deutsche Kulturinstitution in den 20er Jahren gewesen. Der Glanz des Bauhauses sei erst nach 1945 durch Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe verbreitet worden und entstanden.
Nach den Fragen aus dem Publikum konnten sich die Gäste das Buch von Winfried Nerdinger „Das Bauhaus“ signieren lassen.