Sebastian Sons: Auf Sand gebaut. Saudi-Arabien – Ein problematischer Verbündeter
Reihe Literatur und Politik
Wiesbaden, 18. Mai 2017 – Sebastian Sons, Saudi-Arabien-Experte, Islamwissenschaftler und Politologe, gab an diesem Abend im Rahmen der Veranstaltungsreihe Literatur und Politik in der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung einen vielschichtigen Einblick in das Land Saudi-Arabien mit dem Ziel, „den Schleier ein bisschen zu lüften“. Moderiert wurde das Gespräch vor rund 90 Zuhörern von Claus-Jürgen Göpfert von der Frankfurter Rundschau.
Auf die Einstiegsfrage von Claus-Jürgen Göpfert, wie er auf das Thema Saudi-Arabien kam, antwortete Sebastian Sons, dass das „eher zufällig“ durch Forschungsprojekte, die ihn dabei auch nach Saudi-Arabien führten, erfolgte. Seine Sprachkenntnisse (arabisch, türkisch) und seine regelmäßigen Reisen nach Saudi-Arabien seit 2009 erleichterten ihm, wie Sebastian Sons ergänzend erläuterte, sich einen Bekannten- und Freundeskreis aufzubauen, der ihm einen Zugang zu den verschiedenen Facetten der Kultur und Gesellschaft Saudi-Arabiens erst ermöglichte. Das Land fasziniere ihn vor allem aus „wissenschaftlicher Perspektive“ und aufgrund der „krassen Gegensätze“, die ihm „immer wieder neue Blickwinkel eröffnen“ würden.
Warum Saudi-Arabien in geographischer Hinsicht so interessant sei, wurde dem Publikum mit einem Blick auf eine projizierte Karte verdeutlicht. Saudi-Arabien grenzt an Syrien, Jemen und dem Iran und ist damit von Konfliktfeldern umgeben, mit dem sich das Königshaus auseinandersetzen muss. Trotz der hohen Rüstungsausgaben sei Saudi-Arabien aber, wie Sebastian Sons im Laufe des Gesprächs ausführte, „nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen“. Deswegen seien auch die militärischen Basen und Stützpunkte der USA im Land erwünscht und notwendig. Für die USA selbst sei Saudi-Arabien der wichtigste Verbündete in der Region.
Claus-Jürgen Göpfert kam mehrmals auf die Widersprüchlichkeiten innerhalb der Gesellschaft im Land zu sprechen. Einerseits würden beispielsweise junge Frauen von der Religionspolizei auf offener Straße ausgepeitscht, wenn der Schleier verrutscht sei. Andererseits würden moderne Kunstausstellungen gezeigt. Die Geschlechtertrennung sei überall greif- und sichtbar. Sebastian Sons erklärte diese Gegensätzlichkeiten durch die enge Verzahnung des herrschenden Königshauses mit der religiösen Oberschicht, die seit Mitte des 18. Jahrhunderts (Abd al-Wahhab und Ibn Saud) bestünde. Sie diene „als Inspirationsquelle und ideologisches Fundament“ und gelte „bis heute als wichtigste Überlebensgarantie des saudischen Staates“.
Dieses Bündnis zwischen „wahhabitischer Gelehrsamkeit und der politischen Macht des saudischen Königshauses“ würde aber auch immer wieder auf seine Haltbarkeit geprüft wie im Falle der Stationierung von US-Soldaten. Letztendlich setze sich jedoch das Königshaus „mit seinen realpolitischen Interessen“ durch.
Das Königshaus habe dabei erkannt, auch aufgrund der zunehmend schwierigeren wirtschaftlichen Situation, wie wichtig es sei, Frauen stärker in das Wirtschaftsleben und in die Zivilgesellschaft einzubinden. Deswegen setze das Herrscherhaus auf eine Reformierung der Gesellschaft, die aber nur schrittweise erfolge. Saudi-Arabien sei „allerdings nicht auf dem Weg zu einer Demokratie“. Denn letztendlich höre „der Spaß beim Königshaus auf“.
Auf die Frage von Claus-Jürgen Göpfert, warum der Arabische Frühling in Saudi-Arabien nicht oder kaum angekommen sei, meinte Sebastian Sons, dass das Königshaus alles dafür tat, diese Strömungen nicht ins Land zu lassen und sie zu unterstützen. Vor allem erkaufte sich die politische Führung durch Geschenke und Privilegien den Rückhalt in der Bevölkerung. Und schließlich seien die Saudis keine Revolutionäre.
Ob denn die wirtschaftliche Situation, die Veränderung der Gesellschaft, das saudische Königshaus in seiner Existenz bedrohe, wollte Claus-Jürgen Göpfert weiter wissen.
Der Islamexperte antwortete dazu, dass die Sozialordnung hier neu justiert, die Jugend (70% der Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt) Perspektiven brauche und vor allem die jungen Menschen aktiv in die Gesellschaft eingebunden werden müsse. Dazu müsste auch die Zweiteilung des Lebens in öffentlich und privat, die die Doppelbödigkeit und Doppelmoral des Landes zeige, aufgeweicht werden.
Muhammad bin Salman (MbS), der Königsohn Salmans, gelte dabei als Hoffnungsträger im Königshaus, der die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen des Landes meistern wolle. Mit seiner „Vision 2030“ verfolge er das Ziel, die grundlegenden Strukturprobleme anzugehen, die saudische Wirtschaft vom Öl unabhängig und den Staat zu einer produktiven und kreativen Industrienation zu machen. Ausländische Investoren sollen dabei gewonnen, die Arbeitsquote der Frauen erhöht und das Problem der Wasserversorgung und der Nahrungsmittel verstärkt angegangen werden.
Beim Stichwort finanzielle Unterstützung von al-Qaida oder des islamischen Staates, betonte Sebastian Sons, dass eine Unterstützung von Seiten des Königshauses eher unwahrscheinlich sei und verwies auf das Anti-Terrorgesetz von 2014. Außerdem sei der saudische Staat in den letzten Jahren mehrfach von Terroranschlägen heimgesucht worden. Allerdings gäbe es im Land verschiedene Kanäle und Ebenen, die über Stiftungen und Organisationen auch im Ausland (z.B. Balkan, Deutschland, Pakistan, Afrika) Gelder in diese Richtung transportieren würden.
Fragen aus dem Publikum bezogen sich u.a. auf den Syrien- und Jemenkonflikt. Beim Syrienkonflikt widersprach Sebastian Sons der Einschätzung, dass es sich hier um einen Stellvertreterkrieg handele. Ziel Saudi-Arabiens sei es von Anfang an gewesen, Assad zu stürzen. Dieses Ziel sei jedoch durch die militärische Unterstützung Assads vonseiten Russlands und des Irans in weite Ferne gerückt. Allerdings erhoffe sich Saudi-Arabien durch den neuen US-Präsidenten Trump und seine Anti-Iran-Haltung eine neue Wendung und im Jemenkrieg zusätzliche Hilfe. Denn der Krieg im Jemen habe den Staat bereits rund 100 Mrd. Euro gekostet und sei „eine einzige Katastrophe für Saudi-Arabien“.
Bei der Frage von Claus-Jürgen Göpfert zum Umgang mit Flüchtlingen aus Syrien verwies Sebastian Sons darauf, dass Saudi-Arabien seit 2011 rund 2,5 Mio. Syrer aufgenommen hätten, wobei die Zahlen nicht gesichert seien. Saudi-Arabien hätte dabei vor allem „selektiv aus wirtschaftlichem Interesse heraus“ Syrer aufgenommen, aber keine Oppositionellen. Da Saudi-Arabien kein Flüchtlingsabkommen unterzeichnet habe (Flüchtlinge heißen im Land „Brüder und Schwestern“), würden bei den offiziellen Statistiken keine Flüchtlingszahlen von Saudi-Arabien aufgeführt werden.
Zudem würde Saudi-Arabien seit den 1970er Jahren viel Geld für humanitäre Projekte im Rahmen der UNO (Flüchtlingsprogramme) weltweit bereitstellen.
Schließlich kam Claus-Jürgen Göpfert auf das Thema Rüstungsexporte von Deutschland nach Saudi-Arabien und die deutsche Haltung und Politik gegenüber Saudi-Arabien zu sprechen.
Sebastian Sons bezog dazu klar Position und appelliert an die Bundesregierung, keine Waffenexporte mehr aus Deutschland nach Saudi-Arabien zu erlauben, nachdem es klare Hinweise gebe, dass deutsche Waffen beispielsweise im Inland gegen Schiiten oder im Jemenkrieg eingesetzt wurden und werden.
Weiterhin machte er darauf aufmerksam, dass Deutschland in den letzten Jahren keine klare Strategie im Umgang mit Saudi-Arabien verfolgt habe. Hier sei es nun dringend notwendig auf verschiedenen Ebenen, militärisch, wirtschaftlich, sicherheitspolitisch, aber auch kulturell, mit Saudi-Arabien in einen ständigen Austausch und Dialog zu treten.