Projekt Europa. Eine kritische Geschichte
Reihe Literatur und Politik
Wiesbaden, 16. Mai 2019 – Der deutsch-britische Historiker Kiran Klaus Patel stellte an diesem Abend im Gespräch mit Peter Theisen, Autor von Dokumentationen und Reportagen für das ZDF, sein Buch „Projekt Europa. Eine kritische Geschichte“ in der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung (HLZ) vor. Die Begrüßung übernahm wie gewohnt Jürgen Kerwer, der die Vortragsreihe bei der HLZ verantwortet.
Peter Theisen leitete das Gespräch mit der Feststellung ein, dass er durch die Lektüre des Buches „Projekt Europa“ neue Erkenntnisse über Europa gewonnen habe. Auf die Einstiegsfrage des Moderators wie der Autor zum Thema Europa gekommen sei, erläuterte dieser, dass er sich nicht erst seit 2011 durch seine Professur für Europäische und Globale Geschichte an der Universität Maastricht damit beschäftige, sondern schon lange vorher. Mit seinem vorliegenden Buch wolle er Europa neu erzählen, weg von den klischeebehafteten Positiv-Negativ-Vor-Urteilen.
Auf die nachfolgende Frage des Moderators, wann sich denn der Europagedanke durchgesetzt habe, antwortete Kiran Klaus Patel, dass sich dies in der Nachkriegszeit bereits abzeichnete. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges entwickelte sich die Idee eines europäischen Staatenverbundes als Alternative zum Nationalstaat immer stärker heraus. Viele unterschiedliche Interessenslagen ließen sich für die beteiligten Staaten in einer europäischen Integration innerhalb Westeuropas miteinander verbinden, auf politischer, besonders auch auf wirtschaftlicher Ebene. Zudem stärkte eine europäische Integration die Souveränität der einzelnen Länder.
Die USA, die gegenwärtig unter der Präsidentschaft von Trump die Europäische Union (EU) wenig unterstütze und eher attackiere, seien in der Nachkriegszeit zum Geburtshelfer des europäischen Prozesses geworden – dies vor allem auch aus weltpolitischen und geostrategischen Gründen. Der Marshallplan von 1947 stärkte Westeuropa in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht und die Gründung der NATO 1949 unter der Federführung der USA sorgte für mehr Sicherheit und Stabilität. Die Montanunion 1950, die Pariser und die Römischen Verträge von 1954 bzw. 1957 wurden ausdrücklich von den USA unterstützt.
Entscheidend für den Weg zur EU waren aus Sicht des Autors die 70er und 80er Jahre. In dieser Zeit seien zwar keine wichtigen Beschlüsse oder Verträge abgeschlossen worden, allerdings hätte es viele kleine Schritte, viele informelle Treffen gegeben, wie z.B. der Außenminister über Sicherheitsfragen oder Gespräche zu Währungs- oder Umweltthemen.
Deutschland und Frankreich seien innerhalb dieser Entwicklung oft die Lokomotiven gewesen, aber nicht immer. Beispielsweise hätten die Beneluxländer Mitte der 50er Jahre das Europaprojekt maßgeblich vorangetrieben.
Ob die EU den Friedensnobelpreis 2012 verdient habe, wollte Peter Theisen wissen. Die Antwort des Autors war eindeutig: Ja, aber aus seiner Sicht sei die Europäische Union zu spät entstanden.
Die europäische Integration habe in den 50er Jahren wesentlich zur Versöhnung zumindest in Westeuropa beigetragen, auch wenn der Ost-West-Konflikt dadurch noch verschärft wurde und die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) und die Europäische Gemeinschaft (EG) in Konkurrenz zueinanderstanden. Durch die Abgrenzung zu Osteuropa und den diktatorischen Regimen in Spanien, Portugal oder Griechenland sei auch eine Wertegemeinschaft entstanden, die eine immer stärkere Anziehungskraft entwickelte. Die Schritte hin zur Europäischen Union mit verschiedenen Abschlüssen und Verträgen in den 50er und 60er Jahren hätten eine Kultur des Kompromisses etabliert, was unmittelbar den Frieden gesichert habe. Ein wesentlicher Faktor zur Sicherung des sozialen Friedens sei dabei auch die Agrarpolitik gewesen. Durch die Aufnahme von Griechenland 1981, Spanien und Portugal 1986 wurden junge Demokratien gestützt und integriert. Dies wiederholte sich durch die Osterweiterung ab 2004.
Auf den Kern der Europäischen Union angesprochen meinte Kiran Klaus Patel, dass die Grundmotive der Europäischen Union eher politischer und geostrategischer, die Umsetzung aber eher ökonomischer Natur sei. Die wirtschaftliche Ebene wurde und werde dabei als politisches Mittel genutzt, ebenso auch beispielsweise ökologische oder kulturelle Themen, was manchmal doch problematisch sei.
Auf die Frage nach der Rolle Großbritanniens in der EU und dem Brexit gäbe es keine einfache Antwort. Für Großbritannien sei die EU vor allem aus wirtschaftlicher Hinsicht interessant und wichtig. Und die britische Regierung unter David Cameron hätte mit dem Referendum im Sommer 2016 eigentlich nicht die Absicht gehabt, aus der EU auszutreten.
Die abschließende Frage des Moderators zielte auf die Bedeutung der EU-Wahl im Mai 2019. Seit den ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament 1979 habe dieses kontinuierlich seine Kompetenzen und Rechte ausgeweitet, auch wenn es nicht die Rechte eines nationalen Parlaments hätte. Wichtig sei es, dass die nationalen Parlamente sich noch stärker in die EU einbringen müssten und umgekehrt die EU die einzelnen Länder in ihre Politik stärker als bisher einbinden sollte, so Patel dazu.
Jedenfalls, meinte der Autor abschließend, lohne es sich, an den Wahlen teilzunehmen!
Aus dem Publikum kamen an diesem Abend zahlreiche Fragen, die sich auf die angerissenen Themenfelder, wie z.B. Wertegemeinschaft, Menschenrechte, Sicherheitspolitik oder Umwelt bezogen und die der Autor ausführlich beantwortete.
Nach der Fragerunde wurden Kiran Klaus Patel und Peter Theisen mit großem Applaus verabschiedet.
Zum Abschluss konnten sich die Gäste jeweils einen Band des vorgestellten Buches sowie Materialien zur Europawahl mitnehmen.
Der Band „Projekt Europa“ kann bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung hier bestellt werden.