24. Mai 1972: 50. Jahrestag des Anschlages auf das Hauptquartier der US-Armee in Europa in Heidelberg
Zwischen dem ersten RAF-Anschlag im Kontext der „Mai-Offensive“ auf das I.G.-Farben-Haus in Frankfurt am Main und dem damit zusammenhängenden Gebäudekomplex des US-Militärs am 11. Mai und dem letzten Anschlag der Serie auf Hauptquartier der US-Armee in Europa in Heidelberg am 24. Mai 1972 vergingen nur 13 Tage. 13 Tage, die die Bundesrepublik Deutschland veränderten und nachhaltig beeinflussten. Die bis dato größte Gewaltwelle seit dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik führte zu einer deutlichen Verschärfung der inneren Sicherheitspolitik, löste bei Teilen der Bevölkerung Angst und Schrecken aus und hatte große Auswirkungen auf die Polarisierung der politischen Debattenkultur in Westdeutschland. Insgesamt wurden durch die RAF-Anschläge während der „Mai-Offensive“ vier Menschen getötet und mindestens 74 Personen zum Teil schwer verletzt. Was aber waren die Anschlagsziele und wer waren die Opfer der RAF?
12.05.1972: Anschläge auf die Polizeidirektion Augsburg und das Landeskriminalamt München
Am 12. Mai 1972, einen Tag nach dem Anschlag auf das US-amerikanische Hauptquartier in Frankfurt am Main, brachten RAF-Mitglieder gegen 11 Uhr drei selbstgebaute Sprengkörper in das Gebäude der Polizeidirektion am Prinzregentenplatz in Augsburg. Die Polizeidirektion Augsburg wurde aus Rache für die Tötung des RAF-Mitgliedes Thomas Weisbecker ausgewählt. Weisbecker war am 2. März 1972 in Augsburg durch einen Polizeischuss getötet worden. Die erste Bombe explodierte im vierten Stockwerk der Polizeidirektion und nur durch einen Zufall wurden drei in der Nähe stehende Polizeibeamte durch die Wucht der Explosion weder verletzt noch getötet. Drei Minuten später explodiert die zweite Bombe im dritten Stockwerk und verletzte mehrere Polizisten, Angestellte und einen Arbeiter zum Teil schwer.
Noch perfider war der RAF-Anschlag auf das Landeskriminalamt in München zwei Stunden später. Ein weibliches RAF-Mitglied rief im Gebäude in der Maillingerstraße an und erklärte der Telefonistin, dass in ca. 7 Minuten eine Bombe im Gebäude explodieren würde. Das Gebäude wurde umgehend geräumt. Während der Räumung zündete die RAF eine Autobombe, um die flüchtenden Menschen gezielt zu treffen. Jedoch traf die Bombe nicht, wie geplant, Polizeibeamte, sondern Angehörige von Polizisten und Bedienstete der angrenzenden Landesbesoldungsstelle. Anhand der Platzierung der Bomben wird deutlich, dass die RAF zivile Opfer beim Anschlag auf das Landeskriminalamt als „Kollateralschäden“ in Kauf nahmen. Ein Kind wurde durch die Explosion verwundet. Insgesamt wurden in München zehn Personen verletzt, viele weitere stark traumatisiert. Die Anschläge in Augsburg und München hatten aus Sicht der RAF das Ziel, Rache an der Tötung von Gruppenmitgliedern zu nehmen und innerhalb der Polizei, die als wichtige Ermittlungsbehörde gegen die RAF fungierte, Angst und Schrecken auszulösen.
15.05.1972: Anschlag auf das Auto des Richters Wolfgang Buddenberg in Karlsruhe
Am 14. Mai 1972 hatte Wolfgang Buddenberg, der zuständige Ermittlungsrichter gegen die RAF am Bundesgerichtshof, sein Auto gegen 18 Uhr in der Klosestraße 38 in Karlsruhe abgestellt. Während der folgenden Nacht brachten RAF-Mitglieder unter dem Bodenblech des Fahrzeugs in Höhe des hinteren Teils des Beifahrersitzes eine Haftbombe an. Wolfgang Buddenberg entschied sich am Morgen des 15. Mai 1972 nicht, wie sonst üblich, das Auto zur Arbeit zu nehmen, sondern ging zu Fuß. Als Gerta Buddenberg, die Ehefrau des Richters, am 15. Mai 1972 gegen 12.35 Uhr den Anlasser des Wagens betätigte, wurde die Sprengladung gezündet. Greta Buddenberg, die noch während des Explosionsvorganges das Fahrzeug fluchtartig verlassen konnte, wurde am rechten Schultergelenk und an beiden Beinen von Splittern getroffen. Die Verletzungen waren so schlimm, dass sie zeitlebens mit ihnen zu kämpfen hatte. Begründet wurde der Anschlag auf das Auto von Wolfgang Buddenberg mit dessen Involvierung in die Ermittlungsarbeit gegen die RAF und dessen Anordnungen gegenüber inhaftierten RAF-Mitgliedern, die die Grenzen rechtsstaatlichen Vorgehens zum Teil überschritten.
19.05.1972: Anschläge auf das Springer-Hochhaus in Hamburg
Am 19. Mai 1972 verübte die RAF ihren nächsten Anschlag. Ziel war das Verlagsgebäude von Axel Springer in Hamburg, wo vier von dessen Zeitungen gedruckt wurden. Häufig wird in der aktuellen Forschungsliteratur geschrieben, dass 17 Personen bei den Detonationen in Hamburg verletzt worden sein sollen. Tatsächlich waren es aber 28 Angestellte. Nur durch viele Zufälle wurden nicht hunderte oder tausende Menschen an diesem Tag verletzt oder getötet. Zum Zeitpunkt der Explosion befanden sich ca. 3000 Menschen im Gebäude. Insgesamt wurden fünf selbstgebaute Bomben im Gebäude durch RAF-Mitglieder deponiert: eine im zweiten, eine im dritten, eine im sechsten und zwei im zwölften Stockwerk des Hochhauses. Um 15:35 warnte eine Anruferin vor dem Anschlag. Die erste Bombe detonierte sechs Minuten später. Es gab keine Möglichkeit, das Gebäude in dieser Zeit zu räumen. Als erstes detonierte um 15:41 die Bombe im dritten Stockwerk. Zehn Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Die Sprengkraft der Bombe war enorm. Die zweite Bombe detonierte um 15:45 im sechsten Stockwerk. Nur durch Zufall hielten sich keine Personen in der direkten Umgebung der Detonation auf. Dennoch wurden durch umherfliegende Trümmerteile und die Explosion neun Menschen teils schwer verletzt. Weitere acht Personen wurden durch Trümmerteile etc. leicht verletzt. Drei Bomben explodierten nicht. Nur durch Baufehler der RAF-Mitglieder gab es keine weiteren Verletzten oder Todesopfer. Als am nächsten Tag eine Raumpflegerin eine nicht detonierte Bombe fand, erlitt diese einen Schock und verletzte sich beim Fluchtversuch. Das Springer-Hochhaus in Hamburg wurde zum Ziel der RAF, weil der Springer-Konzern bereits Ende der 1960er Jahre eines der Hauptfeindbilder der Studierendenbewegung aufgrund der hetzerischen Berichterstattungen und Vorverurteilungen einzelner Gruppen und Personen geworden war.
24.05.2022: Anschlag auf das Hauptquartier der US-Armee in Europa in Heidelberg
Am späten Nachmittag des 24. Mai 1972 brachten Mitglieder der RAF zwei selbsthergestellte Sprengkörper in zwei zuvor gestohlenen Personenwagen auf das Gelände des US-amerikanischen Hauptquartiers in Heidelberg. Eine von der RAF beauftragte Beobachterin hatte festgestellt, dass Autos mit Kennzeichen aus den USA bei der Einfahrt auf das Gelände des Hauptquartiers der 7. US-Armee in Heidelberg regelmäßig nicht kontrolliert wurden. Diese Informationen deckten sich mit Informationen aus dem linksradikalen Heidelberger Milieus, die ähnliches von desertierten US-Soldaten gehört hatten. Daher rüstete die RAF zwei gestohlene Autos mit gestohlenen US-Kennzeichen aus. Ein präpariertes Auto stellten die RAF-Mitglieder vor dem Gebäude des Secret Intelligence Service ab, das andere bei einem Funkleitmast. Um 18:10 Uhr explodierten die Bomben im Abstand von zehn Sekunden. Sie zerrissen den Körper von Captain Clyde R. Bonner und zertrümmerten den Schädel von Specialist Charles Peck, die sofort tot waren. Specialist Ronald A. Woodward starb auf dem Weg ins Krankenhaus an seinen schweren Verletzungen. Fünf weitere Personen wurden verletzt. Die RAF wollte auf der einen Seite den Krieg des Vietcong in Nordvietnam unterstützen und auf der anderen Seite aufgrund der Kriegsverbrechen der USA in Vietnam Rache nehmen. Der Versuch, kritische Infrastruktur der US-Armee in Westdeutschland im Krieg gegen Nordvietnam mit dem Anschlag zu zerstören, gelang zum Teil, wie nachträglich ein CIA-Agent im Prozess gegen die RAF-Mitglieder in Stammheim einräumte. Im zerstörten Gebäude des Secret Service befand sich die Computer-Anlage, mit der die US-Armee den Nachschub für die Flächenbombardierungen in beiden Teilen Vietnams berechnete.
Nach dem Anschlag in Heidelberg glich das Areal einem Trümmerfeld. Den Krieg, den die RAF gegen die USA und die Bundesrepublik begonnen hatte, wurde für alle Welt auch in ihren Handlungen sichtbar. Zivile Opfer, auch wenn die RAF immer wieder in öffentlichen Verlautbarungen das Gegenteil behauptete, waren in der Gewaltstrategie im Mai 1972 einkalkuliert. Die eigenen Ziele konnte die RAF, wenn überhaupt, nur kurzzeitig erreichen. Die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik reagierten auf die Kriegserklärung der RAF und setzten alle Hebel in Bewegung, um die verantwortlichen RAF-Mitglieder festzunehmen.