24. Mai 1849: Revolutionsnachspiele: 175. Jahrestag des Ober-Laudenbacher Gefechts
Die europäische Revolution von 1848/1849 ist – mit Ausnahme der Schweiz – gescheitert. König Friedrich Wilhelm IV. lehnte die ihm von Volkesgnaden angetragene Kaiserwürde im April 1849 als „imaginären Reif aus Dreck und Lettern“ ab, die Reaktion unter Führung des preußischen und österreichischen Militärs brachte die revolutionären Brandherde im Laufe des Jahres 1849 wieder unter aristokratische Kontrolle. Weit weniger bekannt als das Narrativ von der „gescheiterten Revolution“ ist, dass der bewaffnete Kampf einiger überzeugter Revolutionäre für die Umsetzung der Paulskirchenverfassung noch bis in den Juli 1849 andauerte. In diesem politischen Klima trafen Revolutionäre am 24. Mai 1849 in Ober-Laudenbach bei Heppenheim mit hessischem Militär zusammen – unweit des Gasthofs „Zum halben Mond“, wo 18 führende Liberale sich am Vorabend der Revolution im Oktober 1847 über die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Deutschen Bund beraten hatten. Mutige Männer und Frauen gaben in späten Gefechten der Deutschen Revolution, wie dem in Ober-Laudenbach, ihr Leben für Verfassungsstaatlichkeit, Menschen- und Bürgerrechte. Im Jahr 2024, in dem unser Grundgesetz, das Verfassungsnormen von 1848/1849 teils wortgleich für alle Bundesbürgerinnen und -bürger Realität werden ließ, 75 Jahre alt wird, darf ihr mutiger Kampf nicht vergessen werden.
Scheitern der Kaiserdeputation und Folgen für die Revolution
Mit dem Scheitern der Kaiserdeputation im April 1849 erstarkte die Konterrevolution sowohl militärisch als auch politisch. Aus der Weigerung Friedrich Wilhelms IV., „König der Deutschen“ zu werden, folgte die Auflösung der Frankfurter Nationalversammlung, die übrigen Revolutionäre wichen in den liberalen Süden und bildeten in Stuttgart ein sogenanntes „Rumpfparlament“. Nachdem führende Liberale wie Georg Friedrich Kolb und Heinrich Arminius Riemann zum bewaffneten Kampf für die Paulskirchenverfassung in der „Reichsverfassungskampagne“ aufgerufen hatten, kam es im Mai 1849 vielerorts zu gewaltsamen Aufständen. Zu nennen sind hier etwa der Dresdner Maiaufstand mit dem Ziel der Errichtung einer sächsischen Republik, der Pfälzer Aufstand infolge eines Treffens demokratischer Volksvereine in Kaiserslautern sowie der Prümer Zeughaussturm im Rheinland. Besonders im liberalen Großherzogtum Baden, wo noch der Zeitgeist der Reformen des napoleonischen Frankreichs nachklang, fand das revolutionäre Aufbäumen gegen die Konterrevolution auch in der Bevölkerung großen Widerhall. Am 9. Mai verbrüderten sich badische Soldaten auf der Festung Rastatt mit den Revolutionären, woraufhin die Aufständischen die Bildung einer Regierung unter Lorenz Brentano und die Inkraftsetzung der Paulskirchenverfassung ankündigten und Großherzog Leopold von Baden ins Koblenzer Exil floh.
Vorgeschichte und Ablauf des Ober-Laudenbacher Gefechts
Am 23. Mai formulierten Liberale und Revolutionäre in Erbach unter der Führung des Arztes und demokratischen Publizisten Ferdinand von Loehr, des Pfarrassesors Karl Ohly (im Übrigen Bruder des späteren Darmstädter Bürgermeisters Albrecht Ohly) und des Politikers Ludwig Bogen, der selbst als Abgeordneter in der Paulskirche gewirkt hatte, einen liberal geprägten Forderungskatalog an die Regierung des Großherzogtums Hessen. Eine Delegation sollte die Forderungen an den Großherzog überreichen und am nächsten Tag von einer bewaffneten Volksversammlung im badischen Unterlaudenbach zurückempfangen werden. Im Falle der Ablehnung des Maßnahmenkatalogs war das Vorrücken Richtung Darmstadt geplant. Wegen der Weigerung des Unterlaudenbacher Bürgermeisters, revolutionäre Ziele zu unterstützen, zog die mehrere Tausend Menschen umfassende Versammlung – darunter in erster Linie Handwerker und Tagelöhner unter der Führung einiger Intellektueller – tags darauf, am 24. Mai, ins hessische Ober-Laudenbach weiter. Unter ihnen befand sich auch Franz Sigel, der als Absolvent der Karlsruher Kadettenschule 1848 ein Freikorps zur Durchsetzung revolutionärer Ziele aufgestellt hatte und in der provisorischen badischen Regierung unter Lorenz Brentano als Kriegsminister diente. Am frühen Abend des 24. Mai trafen die von Oberst Georg Dingeldey und dem Dirigenten der Regierungs-Kommission des Regierungsbezirks Heppenheim, Christian Prinz, geführten Truppen des hessischen Militärs ebenfalls in Ober-Laudenbach ein, um die Ablehnung der Forderungen durch den hessischen Großherzog zu überbringen. Die Geschehnisse der folgenden Minuten lassen sich nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren. Verschiedenen Darstellungen zufolge versuchte Prinz die Aufständischen mit Worten von der Sinnlosigkeit ihres Unterfanges zu überzeugen, woraufhin die Revolutionäre ihn gewaltsam angriffen und er durch einen oder mehrere Schüsse starb. Prinz‘ Tod führte zu einem Schusswechsel zwischen Dingeldeys Truppen und den Revolutionären, die Richtung badische Grenze zu fliehen versuchten. 13 Personen kamen im Ober-Laudenbacher Gefecht ums Leben, Dutzende weitere wurden verletzt oder gerieten in Gefangenschaft.
Folgen des Ober-Laudenbacher Gefechts
Trotz der Fürstentreue der hessischen Soldaten und dem Erschrecken über die in Ober-Laudenbach erlebte Gewalt beteiligten sich einige Überlebende des Ober-Laudenbacher Gefechts nur wenige Tage später aufseiten der badisch-pfälzischen Revolutionsarmee am Heppenheimer Gefecht vom 30. Mai 1849. Im Gasthof „Zum halben Mond“ – der Kulisse der „Heppenheimer Versammlung“ vom Oktober 1847 – hatten nun die großherzoglichen Truppen ihr Hauptquartier eingerichtet. Im Irrglauben, zu ihrer Unterstützung befänden sich badische Truppen auf dem Weg nach Heppenheim, ließen die Revolutionäre sich erneut auf ein Gefecht mit den Männern des Großherzogs ein. Die Niederlage der Revolutionäre im Gefecht von Heppenheim und Hemsbach am 30. Mai markierte einen entscheidenden Wendepunkt für die badische Revolution als letzte Bastion der Reichsverfassungskampagne. Zum Symbol des endgültigen Scheiterns der Revolution stieg schließlich die Einnahme der Festung Rastatt nach dreiwöchiger Belagerung durch preußische Truppen am 23. Juli 1849.
Knapp 100 der Ober-Laudenbacher Versammlungsteilnehmer wurde im August 1852 vor dem Hofgericht Darmstadt der Prozess gemacht – unter anderem wegen Hochverrat, Totschlag und Landfriedensbruch. Loehr und Ohly wurden zu lebenslänglichen Zuchthausstrafen verurteilt. Ersterer entzog sich der Haftstrafe durch Flucht nach Amerika. Franz Sigel floh zunächst ins Schweizer Exil und emigrierte nach seiner Verurteilung zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe durch ein Karlsruher Gericht 1851 ebenfalls in die USA, wo er im Amerikanischen Bürgerkrieg als Generalmajor aufseiten Abraham Lincolns kämpfte. Bereits 1851 errichtete die Obrigkeit am Ort des Gefechts einen Gedenkstein für den gefallenen Christian Prinz. Erst 1974 wurde ein solcher für die umgekommenen Freiheitskämpfer hinzugefügt, die als „im Kampf gescheiterte Verkünder einer neuen Zeit“ geehrt wurden.
Weitere Informationen zur Revolution von 1848/1849 finden Sie hier. Zum (Video-) Podcasts zu den Themen Demokratiegeschichte, Heppenheimer Versammlung und Revolution von 1848/1849 gelangen sie hier. Hören Sie außerdem gerne rein in Folge 26 „Revolution 1848/1849 in Hessen“ unseres Podcasts „Literatur und Politik“.