13. Januar 1898: 125. Jahrestag der Erscheinung von "J’accuse …!" von Émile Zola
„J’accuse“ (dt.: „ich klage an“) ist zu einem geflügelten Wort geworden, mit dem eine mutige Äußerung gegen Machtmissbrauch gemeint ist. Der historische Hintergrund dieser Anklage reicht zurück in das späte 19. Jahrhundert.
Der französische Schriftsteller Émile Zola veröffentlichte am 13. Januar 1898 den Brief „J’accuse“ in der Zeitung L’Aurore, um gegen die unrechtmäßige Verurteilung des französischen Artillerie-Hauptmanns Alfred Dreyfuß in die Verbannung zu protestieren. In seiner Ausführung listete er Justizirrtümer, Rechtsbeugung und Falschaussagen auf, die zur Verurteilung Dreßfuß´ geführt hatten und nannte vor allem antisemitische und nationalistische Motive als Ursache. Der Vorwurf gegen Dreyfuß lautete auf Spionage für das Deutsche Reich. Auf Grund von zweifelhaften Beweisen und Gutachten wurde er am 22. Dezember 1894 wegen Landesverrat zu lebenslanger Haft und Verbannung verurteilt. In einer erniedrigenden Zeremonie wurde er militärisch degradiert. Da Alfred Dreyfuß Jude war, spielte Antisemitismus sowohl im Prozess als auch in der öffentlichen Wahrnehmung eine wichtige Rolle. Antisemitische Karikaturen, Schriften und eine begeisterte Menge bei der Degradierung zeigten die tief verwurzelten antisemitischen Einstellungen in der Dritten Republik. Der Wiener Journalist Theodor Herzl, ein Visionär des Staates Israel, erlebte als Korrespondent die von antisemitischen Ausschreitungen begleitete Degradierung Dreyfuß´. Diese Erfahrung wird häufig mit seinem späteren Buch „Der Judenstaat“ und der Idee einer unabhängigen Heimstatt für das jüdische Volk in Verbindung gebracht.
Nach der Verbannung setzte sich Dreyfuß´ Familie für eine Begnadigung ein. Der Kreis der Unterstützer war zunächst gering, die Militärs hatten kein Interesse, den wahren Schuldigen, Major Ferdinand Walsin-Esterházy, zu überführen und zu verurteilen. Der Prominente Émile Zola hatte zunächst auf Unterstützungsbitten ablehnend reagiert, da er sich nicht in politische Fragen einmischen wollte, begann dann aber doch publizistisch tätig zu werden. Zunächst ging er in seinen Veröffentlichungen nicht explizit auf Dreyfuß ein, sondern verurteilte antijüdische Verschwörungsmythen und forderte ein Ende antisemitischer Berichterstattung und Ausschreitungen. Auf Druck von extrem nationalistischen Kreisen waren Zeitungen nicht mehr bereit, seine Artikel abzudrucken. Nur das neu gegründete Blatt L’Aurore setzte seinen Artikel „J’accuse“ am 13. Januar 1898 auf die Titelseite. In dem Text nahm Zola rhetorisch die Rolle des Staatsanwalts ein und klagte die Personen, die für die fälschliche Verurteilung Dreyfuß´ verantwortlich waren, die antisemitische Berichterstattung und den wahren Täter Walsin-Esterházy an. Von der Auflage wurden 200.000 Exemplaren verkauft und es kam am Tag der Veröffentlichung zu Ausschreitungen, unter anderem auch gegen die Familie Dreyfuß. Die französische Gesellschaft war tief gespalten in Befürworter und Gegner des Urteils, worin sich auch eine Spaltung in ein klerikal-nationalistisches und ein liberal-säkulares Lager zeigte. Zola wurde wegen Verleumdung angeklagt und floh nach der Urteilsverkündung nach London.
Der Einfluss, den „J’accuse“ auf die Dreyfuß-Affäre hatte, ist nicht zu unterschätzen. Es schlossen sich andere prominente Unterstützer an und forderten eine Revision des Prozesses, zu der es dann im Jahr 1899 auch kam. In einem neuen Prozess wurde Dreyfuß wieder schuldig gesprochen, da er aber auf eine Revision verzichtete, wurde er begnadigt. Erst 1906 wurde das Urteil aufgehoben, Dreyfuß vollständig rehabilitiert und zum Major befördert. Im Ersten Weltkrieg diente Alfred Dreyfuß als Oberstleutnant an der Front. Er starb 1935 an einem Herzinfarkt in Paris.
Émile Zola hat sich mit seinem Artikel nicht nur für Alfred Dreyfuß´ Unschuld eingesetzt, sondern auch auf gesellschaftliche Missstände hingewiesen und die Frage gestellt, wie die Dritte Republik ausgestaltet sein soll. Die Dreyfuß-Affäre hatte die Gesellschaft tief gespalten und über Jahre geprägt. Zolas mutiger Einsatz hat gezeigt, welch wichtige Rolle Journalismus für eine freie und demokratische Gesellschaftsordnung spielt.