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30. August 1923: 100. Jahrestag der Einweihung des Fliegerdenkmals auf der Wasserkuppe

Die Wasserkuppe in der osthessischen Rhön ist als höchster Berg Hessens überregional von hoher Anziehungskraft für Besucherinnen und Besucher. Darüber hinaus ist der sogenannte „Berg der Flieger“ auch aus der Sicht der historisch-politischen Bildung interessant: In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts diente die beeindruckende Landschaft sowohl als Kulisse technischer Innovationen in der Fliegerei als auch als Schauplatz eines komplexen Ausbildungssystems, das die Nationalsozialisten nach 1933 zur Gewinnung jugendlichen Nachwuchses für die Luftwaffe etablierten. Ein Monument aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ist noch heute auf dem geschichtsträchtigen „Berg der Flieger“ erhalten: das Fliegerdenkmal am Westhang der Wasserkuppe. Dieses wurde am 30. August 1923 als Gedenkstätte an im Ersten Weltkrieg gefallene Flieger eingeweiht und gilt noch heute als Erkennungsmerkmal sowie Landmarke der Wasserkuppe und der gesamten Rhönregion.

Fliegerei vor, im und nach dem Ersten Weltkrieg

Aufbauend auf den theoretischen Berechnungen und praktischen Erkenntnissen des deutschen Flugpioniers Otto Lilienthal (1848-1896) im Gleit- und Segelflug entwickelte sich im Deutschen Reich bereits vor dem Ersten Weltkrieg eine Luftfahrtszene. Die Wasserkuppe in der Rhön wurde 1911 von flugbegeisterten Studentinnen und Studenten im Jahr 1911 als wegen ihrer hindernisfreien Flach- und Steilhänge für den Segelflug geeignetes Gelände entdeckt. Obwohl die Piloten im Ersten Weltkrieg primär für Aufklärung und Artilleriebeobachtung verantwortlich waren und nur sporadisch als bewaffnete Unterstützung der Infanterie fungierten, standen die deutschen Jagdflieger während und nach dem Ersten Weltkrieg im Zentrum eines Heldenkultes. Infolge der Kriegsniederlage des Deutschen Reiches schrieben die westalliierten Siegermächte im fünften Teil des Friedensvertrags von Versailles von 1919 die militärischen Bestimmungen über Deutschlands Land-, See- und Luftstreitkräfte nieder. Demzufolge waren die noch vorhandenen Kampfflugzeuge oder -teile auszuliefern oder zu zerstören, der Wiederaufbau der Luftwaffe wurde wie die Einfuhr jeglicher Flugzeugteile verboten. Im gesellschaftlichen Klima der Ablehnung der als „Schmach“ empfundenen Vertragsbestimmungen von Versailles entstand in den Kreisen der ehemaligen Weltkriegspiloten die Idee einer Fliegergedenkstätte für ihre gefallenen Kameraden. Die Wasserkuppe als aufstrebender Sammlungsort für nun wieder segelfliegende Flugbegeisterte bot sich als Standort für eine solche an.

Urheber und bauliche Umsetzung des Fliegerdenkmals

Bereits seit 1920 gedachten verschiedene nach dem Krieg entstandene „kameradschaftliche Vereinigungen“ ehemaliger deutscher Frontflieger anlässlich des Todestages von Oswald Boelcke am 28. Oktober ihrer gefallenen Kameraden. Boelcke, 1916 an der Westfront als Träger des Tapferkeitsordens „Pour le Mérite“ verstorben, legte mit der „Dicta Boelcke“ erste Grundlagen einer Luftkampftaktik. Die zahlreichen „kameradschaftlichen Vereinigungen“ schlossen sich bis 1923 zum sogenannten „Ring der Flieger e.V.“ zusammen, der 1924 mit dem „Ringhaus“ ein eigenes Gebäude innerhalb des stetig wachsenden Fliegerkomplexes erhielt. In Person ihres Geschäftsführers Oberleutnant der Reichwehr Ottfried Fuchs führte der „Ring der Flieger“ die Verhandlungen um einen Bauantrag für das geplante Fliegerdenkmal am Westhang der Wasserkuppe. Für die bauliche Umsetzung des Denkmals – ein Bronzeadler auf einer Basaltsäule – war der ehemalige Frontpilot Johannes Moßner verantwortlich. Auf der ovalen Tafel auf der Vorderseite des Denkmals ist zu lesen: „Wir toten Flieger bleiben Sieger durch uns allein. Volk, flieg du wieder und du wirst Sieger durch dich allein.“ Eine zweite, kleine rechteckige Tafel auf der Rückseite trägt die Inschrift „Errichtet vom Ring Deutscher Flieger e.V. 1923“. Aus der Architektur und den Inschriften des Fliegerdenkmals spricht der Wunsch, nach dem Ersten Weltkrieg trotz der Bestimmungen von Versailles wieder eine deutsche Luftwaffe zu etablieren, den die ehemaligen Kriegspiloten mit führenden Funktionsträgern der Reichswehr teilten.

Einweihungsfeierlichkeiten am 30. August 1923

Der Einweihung des Fliegerdenkmals wohnten am 30. August 1923 schätzungsweise 30.000 Menschen bei, unter anderem der Bruder des ehemaligen Kaisers Wilhelm II., der flugbegeisterte Prinz Heinrich von Preußen, General Ludendorff, Hauptmann Wilberg, Organisator der neuen Fliegertruppe in der Reichswehr, die Mutter der gefallenen Brüder Manfred und Lothar von Richthofen und insgesamt 34 mit dem höchsten preußischen Tapferkeitsorden „Pour le Mérite“ ausgezeichnete Flieger. Seit 1920 fand in den Sommermonaten jährlich ein national und international anerkannter Wettbewerb talentierter Gleit- und Segelflieger, später auch von Motorfliegern, auf der Wasserkuppe statt, die sich zum nationalen Zentrum des Flugsports entwickelte. Da die Feierlichkeiten rund um die Einweihung der Fliegergedenkstätte während des dritten Rhönwettbewerbs stattfanden, rundeten die Wettbewerbsteilnehmerinnen und -teilnehmer – angeleitet durch ehemalige und aktive Militärs – den 30. August 1923 durch Ehrenrunden in der Luft ab.

Das Fliegerdenkmal in der Rhön verfügt über eine vielschichtige Bedeutungs- und Interpretationsgeschichte. Geboren aus dem revisionistisch-militärischen Geist der Nachkriegsjahre erinnert es Wissende heute auch an die Geschichte des nationalsozialistischen Täterorts Wasserkuppe als Ausbildungsstätte fliegerisch-militärischen Nachwuchses. Darüber hinaus galt und gilt das Denkmal mit hohem Wiedererkennungswert auch als Landmarke der Wasserkuppe und der gesamten Rhönregion, als Symbol des „Landes der offenen Fernen“, wie die Rhön in der Tourismusbranche beworben wird.

Bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung sind u.a. folgende Publikationen zum Thema erhältlich: