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26. Mai 1824: 200. Jahrestag der Ernennung Justus Liebigs zum außerordentlichen Professor für Chemie an der Ludwigs-Universität Gießen

Justus Liebig gilt als Vater der modernen Chemie. Bereits im jugendlichen Alter von 21 Jahren wurde er auf Empfehlung von Alexander von Humboldt an die Ludwigs-Universität Gießen berufen, wo er 28 Jahre lang wirkte und der Universität nach 1945 post mortem seinen Namen lieh. Als Kind des von Industrialisierung und Verwissenschaftlichung geprägten 19. Jahrhunderts legte Liebig mit dem Mineraldünger eine entscheidende Grundlage, die zum heimlichen Motor der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der Moderne wurde. Mit Ausnahme seiner unvollendeten Schulausbildung scheint Liebigs Biografie idealtypisch für Wissenschaftskarrieren des 19. Jahrhunderts und lässt spannende Rückschlüsse auf die gesellschaftspolitischen Bedingungen im Deutschen Bund zu.

Kindheit, Jugend und Ausbildung

Justus Liebig kam am 12. Mai 1803 als Sohn des Drogeristen und Farbenhändlers Johann Georg Liebig und dessen Frau Maria Caroline Liebig (geborene Fuchs) in Darmstadt zur Welt. Er besuchte das Darmstädter Pädagogium und nutzte bereits in jungen Jahren den väterlichen Arbeitsplatz für Experimente mit Farben und Firnissen. Im Alter von 15 Jahren endete seine schulische Laufbahn nach der 10. Klasse, nachdem ein Lehrer ihn als „Schafskopf“ bezeichnet und somit Unfähigkeit zu höheren akademischen Tätigkeiten attestiert hatte. Liebig begann anschließend eine Apothekerlehre in Heppenheim. Nach selbstständigen Experimenten mit der hochexplosiven chemischen Verbindung „Knallsäure“, die einen Dachstuhlbrand im Ausbildungsbetrieb verursacht hatten, kehrte er ohne Abschluss in die Heimatstadt zurück und unterstützte die Arbeit des Vaters in der Farbwerkstatt. Die väterlichen Kontakte ermöglichten es dem Autodidakten Liebig trotz des fehlenden Schulabschlusses, 1819 ein Studium der Chemie in Bonn bei Karl Wilhelm Gottlob Kastner aufzunehmen. Aufgrund der politischen Verhältnisse und der repressiven Universitätsgesetzgebung im restaurativen Deutschen Bund übersiedelten sowohl Kastner als auch sein Schüler Liebig 1821 an die Universität Erlangen. Sowohl in Bonn als auch in Erlangen trat Liebig den hiesigen Burschenschaften bei, die im 1815 geschaffenen Deutschen Bund ein Sammelbecken für nationalstaatliche Ideen und konstitutionelles Gedankengut darstellten, das die Souveräne der Restauration zu bekämpfen versuchten. Nach mehrmaliger Teilnahme an Demonstrationen der Burschenschaften wurde Liebig polizeilich gesucht und floh nach Darmstadt. 1823 wurde der junge Naturwissenschaftler mit seiner Schrift „Über das Verhältnis von Mineralchemie zur Pflanzenchemie“ in Abwesenheit zum Doktor der Philosophie promoviert, da er sich gerade am damals führenden chemischen Zentrum an der Pariser Sorbonne aufhielt. Auf Empfehlung Kastners finanzierte Großherzog Ludwig I. von Hessen und bei Rhein, der während der Zugehörigkeit von Hessen-Darmstadt zum französisch geprägten Rheinbund mit liberalem Gedankengut in Berührung gekommen war, diesen Auslandsaufenthalt mit einem zweijährigen Stipendium.

Wirken als Professor in Gießen

Liebig profilierte sich in der Pariser Zeit mit eigenständigen Arbeiten über Knallquecksilber. Der ebenfalls in Paris wirkende Naturwissenschaftler Alexander von Humboldt empfahl ihn daraufhin für eine außerordentliche Professur für Chemie an der Ludwigs-Universität Gießen, die damals in der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt gelegen war, an den hessischen Großherzog. Nach etwa 18 Monaten als außerordentlicher Professor stieg er im Dezember 1825 zum ordentlichen Professor für Chemie und Pharmazie in Gießen auf. Aufgrund des geringen Gehalts wirkte Liebig zwischen 1827 und 1833 nebenberuflich in seinem „Institut für Pharmazie“, das die Grundlage für seine ab 1832 herausgegebene Zeitschrift „Annalen der Pharmazie“ darstellte. Das Zusammenspiel aus Liebigs bahnbrechender Forschung (insbesondere im Bereich der organischen Chemie), seiner Lehrmethode (die Angliederung praktischer Übungen an die theoretischen Vorlesungen) sowie seinem Charakter machten Liebig rasch über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt und als Professor beliebt. Auch der Schriftsteller Georg Büchner studierte unter ihm in Gießen und soll den experimentierenden Doktor in seinem sozialrevolutionären Dramenfragment „Woyzeck“ an die Person Liebigs angelehnt haben. 1845 verlieh Großherzog Ludwig II. dem inzwischen in international geschätzten Chemiker den Titel „Freiherr von Liebig“.

Professur in München und wissenschaftliches Erbe

Nachdem Liebig zuvor unzählige Rufe an anderen Universitäten abgelehnt hatte, wechselte er 1852 schließlich an die Universität München, wo ihm König Maximilian II. von Bayern ein modernes Chemisches Institut mit angegliederter Wohneinheit bauen ließ. In den folgenden Jahren gelang ihm mit der Erfindung des Phosphatdüngers, der bis heute als Düngemittel verwendet wird, eine Neuerung von für die Menschheitsgeschichte kaum zu überschätzendem Wert. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte die Industrialisierung auch in den Ländern des Deutschen Bundes zu großem Wirtschaftswachstum, allerdings litten weite Bevölkerungsteile unter Hunger und sozialer Not. Liebigs Erfindung trug maßgeblich zur Verbesserung der Ernährungslage auf der einen sowie zur Effizienzsteigerung in der Landwirtschaft auf der anderen Seite bei, die eine Freisetzung überflüssig gewordener Arbeitskraft zugunsten des boomenden zweiten, industriellen Sektors nach sich zog. Von 1859 an bekleidete Liebig das Amt des Präsidenten der Bayerischen Akademie der Wissenschaft und wurde in den folgenden Jahren darüber hinaus in deren russisches, preußisches, französisches, britisches und sogar US-amerikanisches Pendant aufgenommen. 1862 ging das von ihm entwickelte „Fleischextrakt“ zur Ernährung von Personen mit schweren Magen- und Darmerkrankungen dank einer Kooperation mit Produktionsstätten in Uruguay in Massenproduktion. Darauf aufbauend schützte Liebig mit seiner „Suppe für Säuglinge“ zahlreiche Kinder im 19. Jahrhundert vor dem Hungertod und legte gleichzeitig den Grundstein für heutige Babynahrung. Am 18. April 1873 erlag der hochangesehene Naturwissenschaftler den Folgen einer Lungenentzündung. Er liegt auf dem Alten Südlichen Friedhof in München begraben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde seine ehemalige Gießener Wirkungsstätte in „Justus-Liebig-Universität“ umbenannt.

Sammelleidenschaft mit Liebigbildern

Liebig erlangte so großes nationales und internationales Ansehen, dass den Produktverpackungen seines Fleischextrakts nach seinem Tod Sammelbilder mit seinem Konterfei, sogenannte „Liebigbilder“, beigefügt wurden. Sie erschienen erstmals 1875 in Paris und gingen aus dem Vorbild bunt bedruckter Kärtchen hervor, die in den Parkanlagen der pulsierenden Großstadt die Nutzung eines gepachteten Stuhles oder einer Bank dokumentierten. Ab 1880 wurden ganze Serien von „Liebigbildern“ gedruckt und bis zum Ersten Weltkrieg mit großer Begeisterung in Sammelalben eingeklebt.

Bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung sind unter anderem folgende Publikationen zum Thema erhältlich: