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23. August 1939: 85. Jahrestag des Abschlusses des Hitler-Stalin-Pakts

In der Nacht vom 23. auf den 24. August 1939 unterzeichneten Joachim von Ribbentrop, Außenminister der Deutschen Reichs, und Wjatscheslaw Molotow, Außenkommissar der stalinistischen Sowjetunion, in Moskau offiziell einen „Nichtangriffsvertrag zwischen Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ genannten Neutralitätsvertrag. Der aus reinem politisch-militärischem Kalkül geschlossene Hitler-Stalin-Pakt stellte eine vielerorts als unnatürlich rezipierte Annäherung zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der bolschewistischen Sowjetunion dar, die in der NS-Propaganda seit 1933 zum ideologischen Hauptgegner stilisiert worden war. Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt bildete die letzte Station der ab 1935 teilweise offen betriebenen Kriegsvorbereitung der Nationalsozialisten. Neun Tage später, am 1. September 1939, entfesselten sie in Gestalt des Überfalls auf Polen in der Gewissheit der sowjetischen Neutralität den Zweiten Weltkrieg, der weltweit schätzungsweise 75 Millionen Menschen das Leben kostete. Den zweiten Aggressor gegen Polen stellte die Sowjetunion dar, die am 17. September 1939 Polen überfiel und sich gemäß des Geheimen Zusatzprotokolls des deutsch-sowjetischen Vertrags ostpolnisches Staatsgebiet einverleibte. So wurde etwa Lemberg (Lwiw) in die Ukrainische Sowjetrepublik eingegliedert. Am 22. Juni 1941 brachen die Nationalsozialisten mit dem Überfall auf den vormaligen Bündnispartner im „Unternehmen Barbarossa“ das Abkommen mit der Sowjetunion – und führten einen entscheidenden Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg so selbst herbei.

Vorgeschichte – Doppelstrategie der nationalsozialistischen Außenpolitik

Die ersten Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten waren geprägt von der raschen Ausschaltung der demokratischen Ordnung der Weimarer Republik (obwohl die Weimarer Verfassung formell ihre Geltung behielt) und der Etablierung der Diktatur in Form der schrittweisen Usurpation aller drei Staatsgewalten. Mit dem Tod des greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg Anfang August 1934 war diese Etappe – geprägt von Gleichschaltungsmaßnahmen und der Ermordung der SA-Führung um Ernst Röhm (Sommer 1934) – abgeschlossen. Nach der innenpolitischen Stabilisierung widmeten sich die Nationalsozialisten zwischen Sommer 1934 und Frühjahr 1938 vermehrt außenpolitischen Zielen – stets in einem Wechselspiel zwischen offen zur Schau gestellter Aggression und Rüstung und dem Anschein einer auf Frieden und Ausgleich bedachten Politik: Einerseits verfolgten die Nationalsozialisten ihre beiden beständigen außenpolitischen Ziele, die Eroberung von Lebensraum im Osten und die Umsetzung des Rassegedankens, durchaus vor den Augen der Weltöffentlichkeit, indem sie 1935 die Wehrpflicht wiedereinführten, mit dem Vierjahresplan (1936) kriegsvorbereitende Rüstung vorantrieben und 1936 ins entmilitarisierte Rheinland einmarschierten. Auf der anderen Seite integrierten die Nationalsozialisten auch vermeintlich friedenssichernde Maßnahmen in ihre außenpolitische Agenda, etwa den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt von 1934, das deutsch-britische Flottenabkommen von 1935 und die als „Friedensspiele“ inszenierten Olympischen Spiele 1936. Diese Doppelstrategie gaben die Nationalsozialisten im Laufe des Jahres 1938 schließlich auf, als sie im März 1938 Österreich dem Deutschen reich „anschlossen“ und im Oktober im Sudetenland einmarschierten. Einen letzten Versuch des „Appeasement“ (Politik der Beschwichtigung und der Zugeständnisse) unternahmen der europäischen Machthaber auf der Münchner Konferenz, wo die Abtretung des Sudetengebiets an Deutschland völkerrechtlich legitimiert wurde. Mit dem Einmarsch in der Rest-Tschechei und der Errichtung des „Reichsprotektorats Böhmen und Mähren“ im März 1939 wurde das nationalsozialistische Expansionsstreben der passiven Weltöffentlichkeit schließlich so unübersehbar vor Augen geführt, dass die Beschwichtigungspolitik endgültig aufgegeben wurde.

Sowjetische Außenpolitik und Bedeutung des „Hitler-Stalin-Pakts“

Im Rahmen der „Appeasement-Politik“ hatten England und Frankreich sich in den Jahren vor 1939 vergebens um ein Bündnis mit der Sowjetunion gegen das nationalsozialistische Deutschland bemüht. Sie waren nicht bereit, Stalin im Kriegsfall das geforderte Durchmarschrecht durch Polen zu gewähren. Spätestens die Ernennung Molotows zum sowjetischen Außenkommissar im Mai 1939 markierte die endgültige außenpolitische Abwendung der Sowjetunion von den Westmächten. Molotow bot dem Deutschen Reich auf dessen Offerten hin am 17. August 1939 ein Bündnis an. Schon zwei Tage später schlossen die ungleichen Bündnispartner den bereits vorverhandelten „Deutsch-Sowjetischen Wirtschaftsvertrag“, der dem Deutschen Reich sowjetische Rohstofflieferungen garantierte. Am 23. August 1939 reiste Ribbentrop auf Drängen Hitlers nach Moskau, um letzte Details des Nichtangriffspakts auszuverhandeln. Im Zentrum stand hierbei das Geheime Zusatzprotokoll, in dem die beiden Diktatoren ihre Interessenssphären in Polen, Bessarabien und auf dem Baltikum absteckten. Der noch in der Nacht unterzeichnete, auf zehn Jahre befristete Neutralitätsvertrag gab dem Deutschen Reich vor dem Hintergrund der garantierten sowjetischen Neutralität Handlungsfreiheit gegenüber Polen. Damit gilt der „Hitler-Stalin-Pakt“ rückblickend als eine entscheidende Voraussetzung für den Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939.

Verlauf des Zweiten Weltkriegs und Rezeption des „Hitler-Stalin-Pakts“ in der Sowjetunion nach 1945

Nach der für das Deutsche Reich überaus erfolgreichen Phase der „Blitzkriege“ gegen Polen, Dänemark, Norwegen, Frankreich und die Benelux-Staaten überfiel es am 21. Juni 1941 die Sowjetunion, die sowohl aus rassistischen Gründen als auch vor dem Hintergrund der Lebensraumpolitik der eigentliche Hauptkriegsgegner der Nationalsozialisten war. Das Narrativ des vermeintlichen „jüdischen Bolschewismus“ war das Kernstück der NS-Rassenpolitik. Die Nationalsozialisten entfesselten einen brutalen Ausbeutungs- und Vernichtungskrieg im Osten, der etwa in Form des „Kommissarbefehls“ von Brüchen des Kriegsvölkerrechts geprägt war und schätzungsweise 25 Millionen sowjetische Soldaten und Zivilistinnen und Zivilisten das Leben kostete. Gleichzeitig bildeten der Hitler-Stalin-Pakt und seine Folgen auch den Auftakt großer Bevölkerungsverschiebungen in Osteuropa. Der Angriffskrieg auf die Sowjetunion war aufs Engste mit dem Holocaust verbunden: So ermordeten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD im Rücken der Front gezielt und systematisch Jüdinnen und Juden, andere aus rassistischen Motiven Verfolgte und Kommunisten. Der deutsche Überfall markierte nicht nur für die Sowjetunion, sondern auch für den Aggressor selbst eine bedeutende Zäsur im Verlauf des Zweiten Weltkriegs: In der Schlacht bei Stalingrad musste die sechste deutsche Armee am 2. Februar 1943 kapitulieren, die Sowjetunion hatte sich bereits im Dezember 1941 der „Anti-Hitler-Koalition“ der Westmächte angeschlossen. Bereits durch die Einkesselung weiter Truppenteile um Stalingrad ab Herbst 1942 hatte sich die deutsche Niederlage im Ostfeldzug angebahnt.

Nach Kriegsende leugnete die Sowjetunion bis in die 1980er-Jahre hinein die Existenz des Geheimen Zusatzprotokolls, obwohl es bereits während der Nürnberger Prozesse bekannt wurde. Auf Druck der baltischen Sowjetrepubliken druckten mehrere sowjetische Zeitungen den Originaltext 1989 ab. Weil Michail Gorbatschow, seit 1985 Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, seine Existenz weiterhin negierte, bedeutete die Veröffentlichung eine Verschärfung des Legitimitätsverlustes der Kommunistischen Partei, der bereits im Zusammenhang mit der Reformpolitik Gorbatschows, der damit wiederum eigentlich die Überwindung der Krise des sowjetischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems erreichen wollte, begonnen hatte.

Bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung sind unter anderem folgende Publikationen zum Thema erhältlich: