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20. April 1998: 25. Jahrestag der RAF-Auflösung

Am Montag, den 20. April 1998, verbreitete sich eine Pressemeldung wie ein Lauffeuer durch die Bundesrepublik Deutschland: Die Rote Armee Fraktion (RAF) hat sich aufgelöst. In der achtseitigen Auflösungserklärung schrieben die bis heute unbekannten Verfasserinnen und Verfasser: „Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF. Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.“ Mit einer Selbstauflösungserklärung der RAF, die auf März 1998 datiert war, hatte zu diesem Zeitpunkt niemand gerechnet. Die letzten verbliebenen RAF-Mitglieder beendeten mit diesem Schreiben nach langanhaltenden internen Konflikten ein blutiges Kapitel der (west-)deutschen Geschichte. Als Teil der „Weltrevolution“ und mit dem Anspruch, die Forderungen und Hoffnungen der zerfallenen „68er-Bewegung“ durch militärische Gewalt in den Metropolen durchzusetzen, hatte sich die RAF immer als Avantgarde der Revolution in Europa verstanden. Die Selbstauflösung war das Eingeständnis, dass das Projekt Rote Armee Fraktion gescheitert war.

Der Inhalt der Selbstauflösungserklärung

Eine der Selbstauflösungserklärungen ging im Kölner Büro der Nachrichtenagentur Reuters ein. Es konnte festgestellt werden, dass das achtseitige, von Expertinnen und Experten als authentisch eingeschätzte Schreiben in Chemnitz aufgegeben wurde. Die unbekannten Verfasserinnen und Verfasser bauten die Auflösungserklärung mehrstufig auf. Zunächst wurde festgestellt, dass die die Entscheidung, die RAF aufzulösen, einstimmig beschlossen wurde. Anschließend folgt die Feststellung, dass der „revolutionäre Versuch“ der RAF gescheitert war. Die zu diesem Zeitpunkt noch verbliebenen RAF-Mitglieder schrieben:

"Die RAF entstand als Konsequenz aus den Diskussionen Tausender, die sich in der BRD am Ende der sechziger und den beginnenden siebziger Jahren mit dem bewaffneten Kampf als Weg zur Befreiung auseinandersetzten. Die RAF nahm den Kampf gegen einen Staat auf, der nach der Befreiung vom Nazi-Faschismus mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit nicht gebrochen hatte."

Nach einer Zusammenfassung der Geschichte der RAF, in der die Opfer und Geschädigten der RAF-Gewaltstrategie mit keinem Wort erwähnt werden, folgten leise Töne der Selbstkritik. Die unbekannten Autorinnen und Autoren stellten fest, dass es ein Fehler gewesen sei, „neben der illegalen, bewaffneten keine politisch-soziale Organisation“ aufgebaut zu haben. Die bewaffnete Strategie der RAF, das Verletzen und Töten von Menschen, wurde aber generell nicht in Frage gestellt oder entschuldigt. Fast wehmütig stellte die RAF im Verlauf ihrer Selbstauflösung fest: „Die Realität der Welt zeigt heute, dass es besser gewesen wäre, der weltweite Aufbruch, aus dem auch die RAF kam, wäre durchgekommen.“ Eine wirklich kritische Einordnung der eigenen Taten und Handlungen blieb aus.

"Noch im Eingeständnis ihres Scheiterns schrieben die bis heute unbekannten Verfasser die zentralen Mythen fort, die die Selbstdarstellung der RAF von Anfang an bestimmt hatten. Nach wie vor wurde die Gewalt, die mehr als 20 Jahre lang von ihr ausgegangen war, als antifaschistischer Widerstand ausgegeben."

Petra Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion. Eine Geschichte terroristischer Gewalt, 2. Auflage, München 2022, S. 107.

Anschließend würdigten die Verfasserinnen und Verfasser die „GenossInnen“ der Volksfront zur Befreiung Palästinas für deren Unterstützung beim Versuch im sogenannten „Deutschen Herbst“ 1977, mittels der Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ die führenden RAF-Mitglieder aus der Haft in Stuttgart-Stammheim freizupressen. Am Ende des Schreibens folgt eine Auflistung aller Personen, die aus Sicht der Autorinnen und Autoren für die gemeinsamen Ziele „alles gegeben“ hatten und im „bewaffneten Kampf“ gestorben waren. Mit keinem Wort werden in der Auflösungserklärung die Opfer der RAF, die Hinterbliebenen und Geschädigten erwähnt.

Eine Bilanz des Schreckens

Mehr als 27 Jahre agierten verschiedene, immer wieder neu rekrutierte RAF-Mitglieder im Untergrund. Die militärische Logistik der RAF konnte durch die Ermittlungsbehörden bei keiner der vielen Verhaftungen endgültig zerschlagen werden, sodass sich immer wieder neue RAF-Gruppen gründen konnten. Bis zu Auflösung der RAF töteten die Mitglieder auch in Hessen mehr als 30 Menschen und verletzten mehr als 230 Menschen zum Teil so schwer, dass diese ihr ganzen Leben an den Folgen litten. Familien wurden durch die Taten der RAF zerrissen, hunderte, wenn nicht tausende Menschen schwer traumatisiert. Bis heute haben viele Hinterbliebene und Geschädigte mit den Folgen des „bewaffneten Kampfes“ der RAF zu kämpfen und trauern um ihre Liebsten. Oft auch ohne zu wissen, welches RAF-Mitglied verantwortlich für ihr Leid ist, weil die Aufklärung der RAF-Taten häufig ausgeblieben ist. Bis heute gibt es in der Bundesrepublik keinen Gedenkort an die Opfer der RAF oder einen Lernort, der die RAF-Geschichte und die staatliche „Terrorismusbekämpfung“ mit all ihren Fehlern und Grenzüberschreitungen kritisch aufarbeitet. Die Opferfamilien, Hinterbliebenen und Geschädigten werden häufig mit ihren Fragen und dem Leid allein gelassen.

Die RAF ist seit 25 Jahren Geschichte. Durch die fehlende Aufarbeitung ranken sich jedoch bis heute Mythen und Legenden um die RAF und ihre Mitglieder, sodass das "Phänomen RAF“ mittlerweile Teil der deutschen Popkultur geworden ist. Eine kritische Aufarbeitung der Geschichte der RAF und das Gedenken an die Opfer der RAF muss auch deshalb weiterhin Teil der politischen Bildung in Hessen bleiben.

Bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung können u. a. folgende Publikationen zum Thema bestellt werden: