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Aufarbeitung, Gedenken und Entschädigungen – Was bedeutet(e) es, in Deutschland Opfer politischer Gewalt zu werden?

Nach 50 Jahren haben Ankie Spitzer, Ilana Romano und die weiteren noch lebenden Hinterbliebenen der am 5. September 1972 durch ein palästinensisches Entführungskommando ermordeten israelischen Sportler ihren Kampf um Aufarbeitung, Entschädigung und die Anerkennung von Fehlern gewonnen. Die Hinterbliebenen kämpften seit 50 Jahren um drei Punkte:

  1. Sie forderten eine umfassende Aufklärung der Hintergründe, der Vor- und Nachgeschichte der Geiselnahme und die Fehler der deutschen Polizei während der Olympischen Sommerspiele in München 1972 sowie die Offenlegung aller Akten, um endlich auf alle ihre Antworten zu erlangen.
  2. Sie forderten, dass sich das Bundesland Bayern und die Bundesrepublik für das Verhalten in den letzten 50 Jahren entschuldigt und die Fehler, die während der Geiselnahme durch den kurzfristig einberufenen Krisenstab und der Polizei gemacht wurden, öffentlich entschuldigen.
  3. Sie forderten eine finanzielle Entschädigung für sich und die Kinder der getöteten israelischen Väter und Ehemänner in einer Höhe, wie sie in vergleichbaren Fällen gezahlt wurden.

Am 31. August 2022 erreichten sie aufgrund massiven internationalen Drucks und unter Boykottandrohungen der zentralen Gedenkfeier am 5. September in Fürstenfeldbruck – an jenem Ort, an dem die Geiselbefreiung der Polizei in einem noch heute unfassbaren Fiasko endete – ihr Ziel: alle Forderungen wurden erfüllt. Nach 50 Jahren Kampf bedeutete diese Verhandlungslösung endlich eine Art der Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen, wenn auch eine verspätete mit bitterem Beigeschmack.

Geschichte politischer Gewalt in der Bundesrepublik

In der Geschichte der Bundesrepublik gab es hunderte Anschläge, Attentate und politische Morde. Allein die Rote Armee Fraktion (RAF) tötete mehr als 34 Menschen. Militante rechte Einzelpersonen, Gruppen und Netzwerke töteten immer wieder Menschen mit internationaler Geschichte, Jüdinnen und Juden, US-Soldaten und zufällige Menschen aus Hass, die sie als fremd wahrnahmen. Selbsternannte Gotteskrieger verschiedener Religionen versuchen ebenfalls seit Jahrzehnten Angst und Schrecken zu verbreiten und ermorden immer wieder durch medial inszenierte Anschläge und Attentate Menschen. Der Fall der Hinterbliebenen der Olympia-Geiselnahme und deren Kampf zeigt jedoch eines deutlich: die Bundesrepublik hat ein enormes Problem bei der lückenlosen Aufarbeitung der Hintergründe von politisch motivierten Anschlägen und Attentaten, tut sich schwer damit, der Opfer politischer Gewalt zu gedenken und zahlt im internationalen Vergleich geringe Entschädigungssummen an die Hinterbliebenen und Geschädigten. Besonders dramatisch für die Angehörigen von verwundete und ermordeten Menschen, die durch politische Gewalt aus dem Leben gerissen wurden, ist es, dass in vielen Fällen die Täterinnen und Täter nie ermittelt und rechtskräftig verurteilt werden konnten. Auch in Hessen gibt es viele Fälle politischer Attentate und Morde, die nie restlos aufgeklärt wurden: erinnert sei an Heinz-Herbert Karry, an Halit Yozgat, an Alfred Herrhausen und viele weitere mehr.

Erster „nationaler Gedenktag an die Opfer terroristischer Gewalt“ im Jahr 2022

Die Bundesregierung hat erst im Februar 2022 einen „nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt“ beschlossen, der am 11. März 2022  zum ersten Mal stattfand. Der Termin knüpft an den „europäischen Gedenktag für die Opfer des Terrorismus“ an, der nach den Bombenanschlägen in Madrid vom 11. März 2004 eingeführt wurde. Die Europäische Union gedenkt seit 2005 jährlich den weltweiten Opfern terroristischer Gewalt.

Beauftragter der Bundesregierung für die Anliegen von Betroffenen von terroristischen und extremistischen Anschlägen im Inland

Bereits am 12. Januar 2022 hat die Bundesregierung Pascal Kober (FDP) zum Beauftragten der Bundesregierung für die Anliegen von Betroffenen von terroristischen und extremistischen Anschlägen im Inland ernannt. Der Bundesopferbeauftragte soll als zentraler Ansprechpartner für alle Betroffenen von extremistischen oder terroristischen Anschlägen im Inland fungieren. Zu den Betroffenen zählen Hinterbliebene, Verletzte, Tatzeuginnen und -zeugen, Ersthelferinnen und Ersthelfern und auch Besitzerinnen und Besitzer von Geschäften oder Einrichtungen, die durch das Anschlagsgeschehen zu Tatorten wurden. Aufgabe des Bundesbeauftragten ist es, sich um die Anliegen der Betroffenen zu kümmern und in Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen und Einrichtungen praktische, finanzielle und psychosoziale Hilfe zu vermitteln. Der Bundesopferbeauftragte unterstützt Betroffene im Umgang mit Behörden bei der Klärung ihrer anschlagsbezogenen Anliegen. Zudem soll er „politische Stimme“ der Betroffenen fungieren und soll sich in Politik und Öffentlichkeit für ihre Interessen und Bedürfnisse ein.

Die Kontaktaufnahme zum Beauftragten der Bundesregierung für die Anliegen von Betroffenen von terroristischen und extremistischen Anschlägen im Inland ist jederzeit telefonisch oder per E-Mail möglich.

Beauftragte der Hessischen Landesregierung für die Opfer von Terroranschlägen und schweren Gewalttaten

Im April 2022 wurde Prof. Dr. Daniela Birkenfeld zur Beauftragten der Hessischen Landesregierung für die Opfer von Terroranschlägen und schweren Gewalttaten ernannt. Zum Stellenantritt erklärte sie:

„Ich fühle mich sehr geehrt, dass die Hessische Landesregierung mich mit der wichtigen und verantwortungsvollen Aufgabe der Landesopferbeauftragten betraut hat. Aus meiner früheren, langjährigen Tätigkeit als Sozialdezernentin weiß ich um die Notwendigkeit die Opfer von Gewalttaten in den gesellschaftspolitischen Mittelpunkt zu stellen und Unterstützungs- und Hilfeleistungen aufeinander abzustimmen und zu koordinieren. Leider ist das in den Verfahren unseres Rechtssystems auch heute noch nicht selbstverständlich. Mein vordringlichstes Anliegen ist es daher, so schnell wie möglich auf die bisherigen Opfer zuzugehen, ihre aktuellen Sorgen und Probleme zu besprechen und hierfür Lösungen zu finden.“

Die Kontaktaufnahme zur Beauftragten der Hessischen Landesregierung für die Opfer von Terroranschlägen und schweren Gewalttaten ist jederzeit telefonisch oder per E-Mail möglich.