20. November 1945: 75. Jahrestag Beginn der Nürnberger Prozesse
Mit dem Londoner Abkommen vom 8. August 1945 schufen Großbritannien, die Sowjetunion und die USA unter Einbeziehung Frankreichs den Internationalen Militärgerichtshof (IMG; engl.: International Military Tribunal – IMT). Zielsetzung war, ein Militärgericht einzuberufen, das die Kriegsverbrecher des nationalsozialistischen Deutschlands aburteilen sollte.
Damit hatte zum ersten Mal in der Geschichte ein internationales Gericht die Vollmacht, führende Vertreter eines Staates persönlich für Verletzungen des Völkerrechts anzuklagen. Die im Statut des Abkommens festgelegten Rechtsgrundsätze gelten als ein Meilenstein für die Entwicklung des Völkerrechts, die schließlich zur Einrichtung von Strafgerichtshöfen und zur dauerhaften Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag seit 1998 führte.
Die Nürnberger Prozesse waren aus völkerrechtlicher Perspektive nicht gänzlich unkritisch, denn der Straftatbestand des Verbrechens gegen den Frieden war völlig neu. Auch die Beteiligung an einer „Verschwörung“ oder an einem gemeinsamen Plan zu dessen Durchführung wurde darin für strafbar erklärt. Kritiker bezeichneten das als „Siegerjustiz“, zumal für begangene Kriegsverbrechen der Alliierten – wie etwa für Katyn – keine solche Prozesse nach 1945 angestrengt wurden.
Am 11. Dezember 1946, also noch vor dem Ende der Nürnberger Prozesse, verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution, die die Strafbarkeit von Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterstrich. Im Juli 1950 legte eine „International Law Commission“ der UNO einen Kodifikationsentwurf vor und versuchte damit, die „Nürnberger Prinzipien“ stärker im Völkerrecht festzuschreiben. Infolge des Ost-West-Konfliktes hatte die Phase des Kalten Krieges eingesetzt, sodass fast allen damaligen Mitgliedsstaaten der UNO jedoch der politische Wille zuzustimmen fehlte. Erst zu Beginn der 1990er Jahre wurde der Entwurf schließlich angenommen. Die Nürnberger Prozesse werden heute als Wegbereiter für die UN-Kriegsverbrechertribunale Jugoslawien, Ruanda und Sierra Leone sowie für das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs betrachtet.
Die Nürnberger Prozesse umfassen den Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof und 12 weitere sogenannte Nürnberger Nachfolgeprozesse vor einem US-amerikanischen Militärtribunal nach Kontrollratsgesetz Nr. 10. Diese Prozesse fanden im Justizpalast Nürnberg zwischen dem 20. November 1945 und dem 14. April 1949 gegen führende Nationalsozialisten und Repräsentanten des Deutschen Reichs statt.
Im Hauptkriegsverbrecherprozess, der vom 20. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946 andauerte, vertrat Robert H. Jackson die USA als Hauptankläger. Die Grundsätze, die ihn dabei leiteten, legte er am 21. November 1945 in seiner Einführungsrede dar: „Die Untaten, die wir zu beurteilen und zu bestrafen suchen, waren so ausgeklügelt, so böse und von so verwüstender Wirkung, dass die menschliche Zivilisation es nicht dulden kann, sie unbeachtet zu lassen, sie würde sonst eine Wiederholung solchen Unheils nicht überleben.“
Weitere Hauptankläger waren Roman Rudenko (Sowjetunion), Sir Hartley Shawcross (Großbritannien) und François de Menthon bzw. nach seinem Rücktritt Auguste Champetier de Ribes (Frankreich).
Auf der Anklagebank des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher saßen 21 der ursprünglich 24 angeklagten Vertreter des NS-Regimes. Gegen Martin Bormann wurde in Abwesenheit verhandelt (er galt zu diesem Zeitpunkt als verschollen und es wurde erst viel später nachgewiesen, dass er Anfang Mai 1945 Selbstmord begangen hatte), das Verfahren gegen Gustav Krupp von Bohlen und Halbach wurde wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt und Robert Ley hatte bereits vor Prozessbeginn (Ende Oktober 1945) Selbstmord begangen. Adolf Hitler, Joseph Goebbels oder Heinrich Himmler hatten sich im April/Mai 1945 durch Selbstmord einer Bestrafung entzogen. Weitere Kriegsverbrecher, wie Adolf Eichmann beispielsweise, waren geflohen und untergetaucht. „Reichsmarschall“ Hermann Göring, prominentester Angeklagter, entzog sich der Verurteilung ebenfalls durch Selbstmord. Rüstungsminister Albert Speer avancierte nicht zuletzt durch seine Publikationstätigkeit nach der Freilassung 1966 zum bekanntesten Nürnberg-Verurteilten, währenddessen der „Führer-Stellvertreter“ Rudolf Heß als einziger der Verurteilten im Gefängnis in Berlin-Spandau lebenslang bis zu seinem Selbstmord 93jährig verblieb.
Die Kriegsverbrecher wurden nach vier hauptsächlichen Punkten aus dem Statut der IMT-Charta angeklagt:
- Gemeinsamer Plan oder Verschwörung
- Verbrechen gegen den Frieden
- Kriegsverbrechen
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Nach neunmonatigem Prozess wurden am 30. September und am 1. Oktober 1946 die Urteile verlesen: 12 Angeklagte wurden zum Tode verurteilt, drei zu lebenslanger Haft und vier zu langjährigen Haftstrafen. Drei Angeklagte sprach das Gericht frei.
Als verbrecherische Organisationen wurden im Urteil das Führerkorps der NSDAP, die Geheime Staatspolizei (Gestapo), der Sicherheitsdienst (SD) und die Schutzstaffel (SS) eingestuft. Nicht dazu gezählt wurden das Reichskabinett, der Generalstab sowie das Oberkommando der Wehrmacht (OKW). Die Sturmabteilung (SA) wurde nicht als verbrecherische Organisation eingestuft, da ihre Mitglieder nach 1939 „im Allgemeinen“ nicht an verbrecherischen Handlungen beteiligt gewesen seien.
Im Anschluss an den Hauptprozess fanden von Oktober 1946 bis April 1949 insgesamt 12 Nachfolgeprozesse vor amerikanischen Militärgerichten in Nürnberg statt. Die amerikanische Anklagebehörde, die Telford Taylor leitete, zog in diesen Verfahren 185 Personen zur Verantwortung. Angeklagt wurden schließlich 177 hochrangige Mediziner, Juristen, Industrielle, SS- und Polizeiführer, Militär, Beamte und Diplomaten. Zu den Prozessen zählten folgende: Ärzteprozess, Prozess gegen Erhard Milch, Juristen-Prozess, Prozess gegen das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, Flick-Prozess, IG-Farben-Prozess, Prozess gegen Süd-Ost-Generäle, Prozess gegen das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt, Einsatzgruppenprozess, Krupp-Prozess, Wilhelmstraßenprozess und OKW-Prozess.
Von den 177 Angeklagten wurden 24 zum Tode verurteilt, 20 zu lebenslanger Haft und 98 zu teilweise langjährigen Freiheitsstrafen. 35 Angeklagte wurden freigesprochen. Durch Begnadigungen in den 1950er Jahren wurden viele der verurteilten NS-Verbrecher vorzeitig aus der Haft entlassen. Von den 24 Todesurteilen wurden 12 vollstreckt.