20. August 1952: 70. Todestag Kurt Schumacher
Besonders zwei Politiker prägten den demokratischen Aufbau der jungen Bundesrepublik und beeinflussten mit ihrer Arbeit die beiden größten Parteien der damaligen Zeit wie keine Anderen: Konrad Adenauer (CDU) und Kurt Schumacher (SPD). Kurt Schumacher zählte zu den prägendsten Politikern der SPD und war die unumstrittene Führungsfigur der Nachkriegs-SPD. Er galt als überragender Intellektueller und erfuhr aufgrund seiner Lebensgeschichte eine hohe Wertschätzung über alle Parteigrenzen hinweg.
Kindheit, Jugend und Studium
Curt Ernst Carl Schumacher wurde als viertes Kind und einziger Sohn des evangelischen Kaufmanns Carl Schumacher und seiner Frau Gertrud am 13. Oktober 1895 im westpreußischen Culm geboren. Bereits in der Schule galt er aufgrund seines Elternhauses als überzeugter Sozialdemokrat.
Kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs und noch als Schüler meldete sich Schumacher 2. August 1914 als Kriegsfreiwilliger. Am 2. Dezember 1914 wurde Schumacher bei Bielawy westlich von Łowicz in Polen schwer verwundet, ihm musste der rechte Arm amputiert werden. 1915 begann er ein Studium der Rechtswissenschaft und der Nationalökonomie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, studierte anschließend in Leipzig und seit 1917 in Berlin. Schumacher beendete sein Studium 1919 mit dem juristischen Staatsexamen und wurde Mitarbeiter im Reichsarbeitsministerium. 1926 promovierte er dann an der Universität Münster zum Dr. jur.
Politiker in der Weimarer Republik
1917 trat er in den SPD-nahen „Friedensbund der Kriegsteilnehmer“. Im Zuge der Novemberrevolution 1918-1919 und der Umwandlung des Kaiserreiches in eine parlamentarische Demokratie war Schumacher Mitglied des Berliner Arbeiter- und Soldatenrates.
1920 wurde Schumacher politischer Redakteur der sozialdemokratischen Stuttgarter Zeitung „Schwäbische Tagwacht“. In Stuttgart begann Schumacher, ein klares politisches Profil zu entwickeln: er trat als leidenschaftlicher Redner auf, beeindruckte bei Debatten die Zuhörerinnen und Zuhörer und positionierte sich bereits früh gegen die Nationalsozialisten. 1924 wurde er Stuttgarter Vorsitzender des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, einem demokratischen Wehrverband bestehend aus ehemaligen Soldaten des Ersten Weltkrieges. 1930 wurde er Vorsitzender der SPD in Stuttgart, dem mitgliederstärksten Kreisverband der württembergischen SPD.
Schumacher erkannte früh die Gefahren für die noch junge Weimarer Republik, die von den militanten kommunistischen, rechtsradikalen und nationalsozialistischen Gruppen und Netzwerken ausgingen. Er beschäftigte sich intensiv mit den verschiedenen Strömungen und lehnte sowohl den Kommunismus als auch den Nationalsozialismus entschieden ab. Die KPD hielt Schumacher für undemokratisch und durch Moskau gelenkt. Ab 1923 setzte er sich intensiv mit der NSDAP auseinander. 1924 wurde er Mitglied des Landtages von Württemberg. Hier war er seit 1928 Mitglied im Vorstand der SPD-Fraktion. 1931 schied er aus dem Landtag aus.
Schumachers politische Sozialisation in der Sozialdemokratie fand in der Weimarer Republik und nicht im Kaiserreich statt. Schumacher bezog sich in seiner Beurteilung der Situation deutlich weniger auf die Parallelen zum Kaiserreich, sondern konnte die Probleme, Entwicklungen und Dysfunktionalitäten im System der Weimarer Republik in der damaligen Gegenwart verorten.
Bei der Wahl am 14. September 1930 wurde er zum ersten Mal in den Deutschen Reichstag gewählt. Seit 1932 war er Mitglied des SPD-Fraktionsvorstands. Er hielt im Reichstag nur eine Rede, am 23. Februar 1932. Darin griff er vor allem die NSDAP an und warf der Partei vor, dass deren Agitation „ein dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen“ gewesen sei und dass es der NSDAP mit dieser Strategie zum ersten Mal in der deutschen Geschichte gelungen sei, die „restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit“ zu erreichen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sah sich Schumacher in unbedingter Opposition zur fortschreitenden politischen Entwicklung und setzte sich zunehmend dafür ein, wehrhaft die Demokratie zu verteidigen.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten und die Inhaftierungen in Konzentrationslagern
Schumacher gehörte auch nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 weiterhin dem Reichstag an. Am 10. Juni plädierte er auf einer Sitzung der SPD-Reichstagsfraktion für die illegale Arbeit der Partei, ebenso am 19. Juni auf einer SPD-Reichskonferenz.
Am 6. Juli 1933, gut zwei Wochen nach dem Verbot der SPD, wurde Schumacher in Berlin verhaftet. Schumacher bekam die Chance, eine Verzichtserklärung auf politische Betätigung zu unterschreiben und damit seine Freiheit zu erreichen. Im Gegensatz zu Fritz Bauer und sieben anderen politischen Gefangenen weigerte er sich, sie zu unterschreiben. Daraufhin wurde er über einen Zeitraum von neun Jahren, neun Monaten und neun Tagen in verschiedenen Konzentrationslagern gefangen gehalten, zunächst bis Dezember 1933 im KZ Heuberg, danach bis Juli 1935 im KZ Oberer Kuhberg in Ulm, anschließend im KZ Dachau und zeitweilig im KZ Flossenbürg. Als Weltkriegsveteran hätte er eine leicht bevorzugte Behandlung bekommen können. Er blieb aber auch in den verschiedenen KZs in militanter Opposition zur NS-Diktatur und riskierte durch mehrfachen Widerspruch und sogar einen Hungerstreik mehrmals sein Leben. Er lehnte im Konzentrationslager jeglichen Kontakt zu kommunistischen Gefangenen ab, da er sie für mitschuldig an der Machtübernahme der Nationalsozialisten hielt. Am 16. März 1943 wurde er als schwerkranker Mann nach Hannover entlassen, wo eine seiner Schwestern lebte und er sich zwangsweise aufhalten musste. Er wurde vom Arbeitsamt den Sichel-Werken in Hannover als Buchhalter für die Lagerverwaltung zugewiesen. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde Schumacher vom 24. August bis 20. September 1944 erneut inhaftiert, zunächst im Gestapo-Gefängnis in der früheren Israelitischen Gartenbauschule Ahlem, später im KZ Neuengamme. Danach arbeitete Schumacher weiterhin in den Sichel-Werken in Hannover, bis die Stadt am 10. April 1945 durch alliierte Truppen befreit wurde.
Nachkriegszeit, Wiederaufbau SPD und erster Oppositionsführer der Bundesrepublik
Nach Kriegsende, der Befreiung Westdeutschlands und dem Sturz des Nationalsozialismus begann Kurt Schumacher unmittelbar mit dem Wiederaufbau der SPD. Schumacher bewies im Nachkriegschaos großes organisatorisches Geschick und stieg in kurzer Zeit zur unangefochtenen Führungsfigur der Sozialdemokratie in den westlichen Besatzungszonen auf. Schon früh zeigte sich erneut Schumachers starker Antikommunismus. Er agitierte ohne Rücksichtnahme gegen die KPD, stellte sie als durch Russland gelenkt an den Pranger und wandte sich vehement gegen Versuche, in den Westzonen eine Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten zu initiieren. Auf der Wennigser Konferenz vom 5. bis 7. Oktober 1945 wurde die SPD wiedergegründet. Am 10. Mai 1946, vier Wochen nach der von ihm heftig bekämpften Beseitigung der Sozialdemokratie in der Sowjetischen Besatzungszone durch die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED, wurde Schumacher mit 244 von 245 Stimmen zum Parteivorsitzenden der SPD gewählt. Schumacher wollte die Fehler der Weimarer Republik vermeiden. Er griff in seinen inhaltlichen Konzepten auf Überlegungen aus der Weimarer Zeit und auf die der Sozialdemokraten im Exil zurück. Sein Ziel war es, die SPD weg von einer marxistisch geprägten Klassenpartei und hin zu einer pluralistischen linken Volkspartei zu entwickeln.
Die Einheit der SPD als Partei war für ihn das wichtigste Ziel. Er verlangte von den Mitgliedern der SPD eine eiserne Parteidisziplin und war Verfechter des Fraktionszwangs. Ein Angebot der Alliierten, Ministerpräsident Württemberg-Badens zu werden, lehnte Schumacher ab, da er nicht nur regional agieren wollte. Die erste Bundestagswahl 1949 verlor die SPD, Konrad Adenauer wurde erster Bundeskanzler und Kurt Schumacher als erster Oppositionsführer sein härtester Gegenspieler im Bundestag. Am 20. August 1952 starb der schwerkranke, von den jahrelangen Misshandlungen durch die Nationalsozialisten gezeichnete Kurt Schumacher in Bonn.