13. Oktober 1821: 200. Geburtstag des Universalgelehrten Rudolf Virchow – Ein Goethe der anderen Art
Als er am 5. September 1902 in der Reichshauptstadt Berlin stirbt, galt er als ein Wissenschaftler von Weltruf. Er begründete mit der Zellularpathologie und seinen Forschungen zur Thrombose die moderne Pathologie und vertrat eine sowohl naturwissenschaftlich als auch sozial orientierte Medizin. Er gilt als Begründer der modernen Sozialhygiene.
„Die Biografie von Rudolf Virchow ist spannender als ein Krimi. Sie liest sich wie der typische Lebenslauf eines genialen Alleskönners des 19. Jahrhunderts: Virchow war Mediziner, Anthropologe, Ethnologe und Archäologe und Politiker, dazu obendrein noch Familienvater. Er zählt zwar nicht zu den Säulenheiligen des deutschen Liberalismus, aber in der Ahnenkette bedeutender Liberaler sticht er hervor“, so HLZ-Direktor Dr. Alexander Jehn.
Rudolf Virchow wurde am 13. Oktober 1821 in Schivelbein, dem heutigen Swidwin in Pommern als Kind des Landwirts und Stadtkämmerers Carl Virchow und seiner Frau Johanna geboren. 1839 begann er ein Medizinstudium an der militärärztlichen Akademie in Berlin, die auf Staatskosten begabten Studenten ein Stipendium anbot. 1843 promovierte Virchow zum Doktor der Medizin für Pathologie. 1846 folgte das medizinische Staatsexamen und 1847 die Habilitation. Parallel startete er seine berufliche Karriere an der Berliner Charité.
Im Auftrag der preußischen Regierung reiste Virchow im Revolutionsjahr 1848 nach Oberschlesien, um eine grassierende Hungertyphus-Epidemie zu untersuchen. Er erkannte deren Ursachen in sozialen Missständen, u.a. der Armut und der Bildungsferne der Bevölkerung. Als Konsequenz forderte er grundlegende soziale Reformen. 1848/49 gab er mit Rudolf Leubuscher die Wochenzeitschrift „Medizinische Reform“ heraus. Wie Virchow stand auch der in Breslau gebürtige Arzt Rudolf Leubuscher im Jahr der gescheiterten Märzrevolution 1848 auf der Seite der Linksliberalen. Um in Berlin Repressalien infolge seines politischen Engagements auszuweichen, nahm er Ende 1849 einen Ruf auf den Lehrstuhl für Pathologische Anatomie an der Universität Würzburg an.
1856 kehrte er an die Charité zurück. 1858 veröffentlichte er die Schrift „Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre“, die eine neue naturwissenschaftliche Krankheitslehre begründete. Der Kern der Lehre ist, dass der menschliche Körper aus kleinen Zellen besteht. Treten Störungen oder Fehlfunktionen der Zellen auf, entstehen Krankheiten. Weiß man, welche Zellen bei bestimmten Krankheiten falsch arbeiten, können Ursachen und Verlauf der Krankheit gezielter erforscht und therapiert werden. Virchows Theorie gilt bis heute und legte den Grundstein für die moderne Medizin.
Virchow war aber nicht nur ein wegweisender Arzt und Forscher, sondern gleichzeitig auch ein engagierter Sozialpolitiker und Kommunalhygieniker.
Als Stadtverordneter in der Reichshauptstadt prägte er 1859–1902 die Stadt mit kommunalpolitischen und -hygienischen Initiativen. So regte er den Bau der großen städtischen Krankenhäuser, Markthallen sowie eines zentralen Vieh- und Schlachthofs an. 1877 wurde auf seine Initiative die allgemeine Fleischbeschau (Trichinenschau) in ganz Preußen eingeführt. Gemeinsam mit James Hobrecht konzipierte er die moderne Kanalisation und Trinkwasserversorgung der Stadt.
Mit Max von Forckenbeck, Werner von Siemens, Theodor Mommsen und anderen gründete er 1861 die linksliberale Deutsche Fortschrittspartei, mit der er 1862 erstmals in das Preußische Abgeordnetenhaus einzog. Er blieb bis 1902 Abgeordneter, initiierte durch Ablehnung der von Otto von Bismarck geplanten steigenden Militärausgaben im Budgetausschuss den Verfassungskonflikt Mitte der 1860er Jahre, forderte internationale Konfliktbewältigung, richtete im Deutsch-Französischen 1870/71 Lazarettzüge aus und machte den Begriff „Kulturkampf“ publik. Von 1880 bis 1893 war er Mitglied des Deutschen Reichstags und setzte sich u. a. für die Schaffung einer staatlichen medizinischen Grundversorgung ein.
„Virchow war kein Arzt, der in die Politik wechselte, um dort Gesundheitspolitik zu machen. Und er war kein Gesundheitspolitiker, der sich als Wissenschaftler zu profilieren suchte. Virchow war echt, war als Person mit Ecken und Kanten authentisch. Das macht ihn auch für die politische Bildung interessant“, so Dr. Jehn abschließend.