13. August 1999: 25. Todestag von Ignatz Bubis
Überlebender der Shoa, Bauunternehmer, Mitglied des hr-Rundfunkrats, Politiker, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland – all das war Ignatz Bubis. Mit seinem Selbstverständnis als „Deutscher jüdischen Glaubens“ und als eine der lautesten jüdischen Stimmen in der Bundesrepublik stellte er in den Nachkriegsjahrzehnten eine Leit- und Reizfigur des öffentlichen Lebens dar, die die Deutschen unentwegt mit ihrer Vergangenheit im Nationalsozialismus konfrontierte. Als FDP-Politiker trat Bubis im Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung seiner Wahlheimat Frankfurt am Main außerdem für die Unterstützung von geflüchteten Menschen ein und engagierte sich für die Verständigung zwischen Christen, Juden und Muslimen. Bubis‘ facettenreiche Biografie zeugt von der Courage und dem Gestaltungswillen eines Juden, der sich nach 1945 ein Leben im „Land der Täter“ aufbaute und dort als Person des öffentlichen Lebens in Erscheinung trat, und lässt vor diesem Hintergrund spannende Rückschlüsse auf das gesellschaftspolitische Klima in der Bonner Republik zu.
Herkunft und Leben im Nationalsozialismus
Ignatz Bubis kam am 12. Januar 1927 als siebtes Kind des Schifffahrtsbeamten Jehoshua Josef Bubis und dessen Frau Hannah (geborene Bronspiegel) im schlesischen Breslau (heute Wroclaw in Polen) zur Welt. Um nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten den zunehmenden physischen Übergriffen gegenüber jüdischen Menschen zu entfliehen, zog die Familie 1935 ins polnische Deblin. Als die Nationalsozialisten die Woiwodschaft Lublin infolge des Überfalls auf Polen im Herbst 1939 besetzten, war die Familie erneut der antisemitischen nationalsozialistischen Rassenpolitik unterworfen. Nachdem die Mutter bereits 1940 einer Krebserkrankung erlegen war, wurden der 14-jährige Bubis und sein Vater 1941 zum Umzug ins Debliner Ghetto gezwungen. Während Bubis‘ Vater, sein Bruder und eine der Schwestern in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten den Tod fanden, überlebte er selbst das Menschheitsverbrechen der Shoa als jugendlicher Zwangsarbeiter in einer Munitionsfabrik im heute polnischen Czestochowa. Als das Arbeitslager im Januar 1945 – wenige Tage nach Bubis‘ 18. Geburtstag – von der Roten Armee befreit wurde, hatte er gerade einmal sechs Jahre eine Schule besucht und einen Großteil seiner Familie durch die nationalsozialistische Mordmaschinerie verloren.
Leben als Unternehmer in der Bundesrepublik
Über Zwischenstationen in Lodz und Breslau gelangte Bubis 1945 ins zerstörte Dresden, wo er begann, als Händler auf dem Schwarzen und Grauen Markt Wertgegenstände gegen Güter des täglichen Bedarfs einzutauschen. Bewusst entschied Bubis sich in diesem Zeitraum gegen den von vielen anderen jüdischen Überlebenden gewählten und ihm von seinem Onkel empfohlenen Weg der Flucht ins Ausland, sondern für ein Leben im „Land der Täter“. Als er wegen seiner Aktivitäten im Tauschhandel von der sowjetischen Geheimpolizei gesucht wurde, floh er 1949 nach West-Berlin und gelangt von dort aus nach Stuttgart. Dort baute Bubis sich in der jungen Bundesrepublik gemeinsam mit seiner Frau Ida Rosenmann eine Firma für den Handel mit Edelmetall auf, für die er anfangs eine Ausnahmegenehmigung der Besatzungsmächte erwirken konnte. Die Gewinne der erfolgreichen Firma investierte er dann wiederum in Immobilien. Auch vor diesem Hintergrund zog er 1956 in die Metropole Frankfurt am Main. Knapp zehn Jahre später wurde er auf Anhieb in den Vorstand der dortigen Jüdischen Gemeinde gewählt, die einst zu den Größten Europas zählte, aber nach Kriegsende nur noch einige tausend Mitglieder umfasste. Unter den nur etwa 30.000 Jüdinnen und Juden, die in der Phase deutscher Zweistaatlichkeit insgesamt in der Bundesrepublik lebten, stellten Überlebende aus Osteuropa, zu denen auch Bubis zählte, die größte Gruppe dar. Wie die Biografie Ignatz Bubis‘ zeigt, waren sie noch Jahre nach Kriegsende antisemitischen Anfeindungen und Attacken ausgesetzt. So erkannte sich Bubis, dessen Immobilien in den 1970er-Jahren wie die vieler anderer Investoren zum Schauplatz von Hausbesetzungen wurden, in der Rolle eines als raffgierig dargestellten jüdischen Immobilienspekulanten im Rainer Werner Fassbinders 1976 erschienenen Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ wieder, was einen öffentlichen Diskurs über den in der deutschen Gesellschaft fortlebenden Antisemitismus auslöste. Als er im Zusammengang mit den Hausbesetzungen darüber hinaus als „skrupelloser Spekulant“ ins mediale Kreuzfeuer geriet, was er selbst als Ausdruck eines „linken Antisemitismus“ empfand, legte Bubis seine Ämter in der jüdischen Gemeinde nieder. Nach großen Vermögensverlusten im Zusammenhang mit dem Frankfurter Häuserkampf blieb sein unternehmerischer Erfolg auch nach Investitionen in der Hotelbranche sowie in Immobilien in Berlin, Israel und dem Iran begrenzt, nach seinem Tod ereilte sein Unternehmen schließlich die Insolvenz.
Politisches Engagement
1969 in die FDP eingetreten, wurde Bubis 1979 als Beisitzer in den Frankfurter Kreisvorstand gewählt, woraufhin zwei andere Mitglieder aus Protest ihre Ämter niederlegten. Neben Mandaten im Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung der Mainmetropole setzte sich Bubis im FDP-Parteivorstand, dem er zwischen 1995 und 1999 angehörte, in besonderem Maße für die Verständigung zwischen Juden, Christen und Muslimen ein. In der Ende der 1970er-Jahre schwelenden öffentlichen Debatte um die Verjährung von NS-Verbrechen setzte Bubis sich vehement für die uneingeschränkte Strafbarkeit nationalsozialistischer Morde ein. In diesem Zusammenhang besuchte er unter anderem das Vernichtungslager Treblinka, in dem Jahrzehnte zuvor sein Vater gestorben war. Diesen Besuch bezeichnete er selbst als Anlass, sich intensive mit dem Trauma der eigenen Familiengeschichte zu beschäftigen. Aus dieser Auseinandersetzung entstand unter anderem ein Buch mit dem Titel „Ich bin ein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, in dem Bubis sein Selbstverständnis als deutscher Jude manifestierte. Eine 1993 heftig diskutierte Kandidatur für das Bundespräsidentenamt lehnte er selbst mit der Begründung ab, Deutschland sei für ein jüdisches Staatsoberhaupt noch nicht bereit. Neben seinem parteipolitischen Engagement stieg Bubis 1978 aus der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt in das Direktorium des Zentralrats der Juden auf, der Dachorganisation aller jüdischen Gemeinden und Landesverbände in Deutschland. Zwischen 1992 und 1999 wirkte er als Präsident des Gremiums, wo es ihm gelang, mit großer Medienpräsenz eine breitere Öffentlichkeit für die Belange der deutschen Jüdinnen und Juden zu erreichen. Für seine Verdienste um die deutsch-jüdische Verständigung, für die er auch in kontroversen Konflikten wie etwa dem „Börneplatzkonflikt“ um die Überbauung jüdischen Relikte am Frankfurter Börneplatz stets besonnen eintrat, erhielt Bubis als jahrelanges Gesicht der deutschen Jüdinnen und Juden 1996 das Große Bundesverdienstkreuz. Im Oktober 1998 wurde er wenige Monate vor seinem Tod zum Präsidenten des „European Jewish Congress“ gewählt, der europäischen Dachorganisation der nationalen jüdischen Gemeinden. Ignatz Bubis verstarb am 13. August 1999 72-jährig in seiner Wahlheimat Frankfurt am Main. Dass er aus Sorge vor neonazistischen Anschlägen auf seine letzte Ruhestätte auf eigenen Wunsch auf dem Kiriat-Schaul-Friedhof in Tel Aviv beerdigt wurde, scheint symptomatisch für das zeitlebens ambivalente Verhältnis zwischen Bubis und seiner deutschen Heimat.