01. August 1948: 75. Jahrestag der Erstausgaben von „Stern“ und „Welt am Sonntag“
Im Zusammenhang mit dem Funktionieren von rechtsstaatlichen, demokratischen Systemen stößt man häufig auf die Idee der Medien als „Vierte Gewalt“. Die Medienlandschaft soll in dieser Funktion über das Handeln des Staates und seine Institutionen berichten, aufklären, aber auch kritisch hinterfragen und Missstände aufdecken. Vor 75 Jahren, am 1. August 1948, erschienen unter dem Eindruck der Erfahrungen in der NS-Zeit die Erstausgaben von zwei bis heute den gesellschaftspolitischen Diskurs mitprägenden Medien: das Wochenmagazin „Stern“ und die Sonntagszeitung „Welt am Sonntag“.
Gründung des „Stern“
Die Gründung des „Stern“ ist untrennbar mit der Person Henri Nannens verbunden. Nannen, geboren 1913 in Emden und gelernter Buchhändler, diente im Zweiten Weltkrieg als Kriegsberichterstatter in einer Propagandakompagnie der Luftwaffe mit dem Namen „Südstern“. Im Juli 1948 erwirkte er von der britischen Militärregierung die Genehmigung, die Jugendzeitschrift „Zick-Zack“ als illustrierte Wochenzeitung mit dem Namen „Stern“ weiterzuführen. In der Gestaltung war der „Stern“ besonders in der Anfangszeit angelehnt an die nationalsozialistische Zeitschrift „Der Stern“, die 1938 und 1939 erschien. Kurt Zentner, der Begründer und erste Chefredakteur dieser Zeitschrift, war in der Anfangszeit des „Stern“ Nannens Stellvertreter. Das Titelbild der ersten Ausgabe zierte die junge Hildegard Knef, die unter anderem aus dem Film „Film ohne Titel“ bekannt war. Wegen eines Artikels über den verschwenderischen Umgang der alliierten Besatzer wurde der „Stern“ 1950 für eine Woche von der englischen Militärregierung verboten. Ein Jahr später verkaufte Nannen alle Anteile an der Zeitschrift, blieb aber bis 1980 deren Chefredakteur und bis 1983 Herausgeber.
Der „Stern“ und gesellschaftspolitische Debatten in der Bundesrepublik / Nannen-Preis
In den 1960er-Jahren positionierte sich der „Stern“ unter Nannens Führung für die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition Brandt/Scheel, in deren Zuge die DDR von der Bundesrepublik erstmals staatsrechtlich anerkannt wurde und es zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen kam. 1970 fand in diesem Zusammenhang ein Schlagabtausch zwischen Nannen als Befürworter und dem bekannten Moderator Gerhard Löwenthal als Gegner von Brandts Ostpolitik statt, das zwischen 15 und 20 Millionen Menschen im Fernsehen verfolgten.
1971 veröffentlichte der „Stern“ einen Artikel mit dem Titel „Wir haben abgetrieben!“, in dem sich 374 Frauen auf Initiative der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer öffentlich zu ihrem Schwangerschaftsabbruch bekannten.
Auf der Basis der „Stern“-Reportage „Babystrich“, bei der die drogensüchtige Fünfzehnjährige Christiane F. interviewt wurde, entstand 1978 das bekannte Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“.
1983 war der „Stern“ in eine Affäre rund um gefälschte Tagebücher von Adolf Hitler verstrickt, die der Maler Konrad Kujau gefälscht und der „Stern“-Reporter Gerd Heidemann angekauft und veröffentlicht hatte.
Der Nannen-Preis für herausragenden Journalismus wird seit einer investigativen Recherche von „STRG F“, die Nannens Vergangenheit im Nationalsozialismus thematisierte, als „STERN-Preis“ verliehen. Gegenwärtig untersucht das „Institut für Zeitgeschichte“ die Rolle von Nannen und anderen „Stern“-Journalisten zwischen 1933 und 1945.
Die Sonntagszeitung „Welt am Sonntag“
Die „Welt am Sonntag“ ist die Sonntagszeitung der Tageszeitung „Die Welt“. Letztere erschien erstmals am 2. April 1946 und war eine Gründung der britischen Militärregierung. Die „Welt am Sonntag“ ergänzte die Tageszeitung „Welt“ ab August 1948. Ihr erster Chefredakteur war bis 1968 Bernhard Menne, ein SPD-Politiker, der nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 nach Prag floh und dort die Emigrantenzeitung „Prager Mittag“ übernahm. 1953 wurde die „Welt am Sonntag“ vom Verleger Axel Springer übernommen.
Die Beispiele von „Stern“ und „Welt am Sonntag“ zeigen, dass Printmedien, Funk, Fernsehen und im 21. Jahrhundert auch Informationsplattformen im Internet und den Sozialen Medien eine für die Demokratie existenzielle und damit verantwortungsvolle Aufgabe in unserem gesellschaftspolitischen System übernehmen. Gleichzeitig liefert die Beschäftigung mit der Geschichte der beiden Zeitungen aber auch Denkanstöße im Zusammenhang mit dem Mythos von der „Stunde Null“ und einer umfassenden Entnazifizierung in Deutschland nach 1945 – gedacht sei an Henri Nannen. Seine Geschichte zeigt, dass neue geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse oder der Fund von Quellen stets die Berücksichtigung einer neuen Perspektive auf Personen, Personengruppen, Ereignisse oder Sachzusammenhänge erfordern können. Eine freie, unabhängige Presse spielt bei all dem eine herausragende Rolle.
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