08. September 1874: 150. Geburtstag des Publizisten und Politikers Friedrich Stampfer
In seinem Leben spiegeln sich acht Jahrzehnte bewegter deutscher Geschichte vom preußisch-kleindeutschen Kaiserreich bis in die Bundesrepublik Deutschland: Friedrich Stampfer engagierte sich für bzw. gegen vier verschiedene politische Systeme in Deutschland. Aufgewachsen im Kaiserreich, betätigte er sich in der Weimarer Republik als politischer Schriftsteller und Publizist sowie Chefredakteur der SPD-Parteizeitung „Vorwärts“ zwischen 1916 und 1933. Darüber hinaus gehörte er für die SPD bis 1933 dem Reichstag an. Als Jude emigrierte er bereits kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme über Prag und Paris in die USA, wobei er an Aufbau und Organisation der deutschen Sozialdemokratie im Exil entscheidend beteiligt war. Nach Kriegsende kehrte Stampfer nach Deutschland zurück – in das Land, das sechs Millionen seiner jüdischen Glaubensgenossen ermordet hatte. Stampfer arbeitete von 1948 an an der gewerkschaftsnahen Frankfurter „Akademie der Arbeit“ und war erneut publizistisch und schriftstellerisch aktiv.
Herkunft, Jugend und frühe schriftstellerische Tätigkeit im Kaiserreich
Friedrich Stampfer kam am 8. September 1874 als Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts und dessen Frau im habsburgisch-mährischen Brünn (heute Tschechien) zur Welt, wo um die Jahrhundertwende die deutschsprachige Bevölkerung mit knapp zwei Dritteln die größte ethnische Gruppe stellte. Seine politische Prägung erfuhr er bereits im bürgerlich-liberalen Elternhaus, wobei Stampfer selbst früh Sympathien gegenüber der Arbeiterbewegung hegte, die im ausgehenden 19. Jahrhundert ihrer Forderung nach wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Besserstellung Ausdruck verlieh. Schon im jugendlichen Alter begann er zunächst für Zeitschriften der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie zu schreiben, bevor er ab 1897 als Korrespondent der der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung nahestehenden „Leipziger Volkszeitung“ in Wien tätig wurde, die er de facto vorübergehend als Chefredakteur gestaltete. Parallel nahm Stampfer ein Studium der Volkswirtschaft in Wien und Leipzig auf. Von 1903 bis nach Beginn des Ersten Weltkriegs gab der junge Publizist zusätzlich täglich eine „Politische Korrespondenz für die sozialdemokratische Parteipresse“ heraus, eine Art Nachrichtenagentur mit sozialdemokratischer Orientierung. Seine publizistische Tätigkeit musste Stampfer 1915 vorübergehend einstellen, weil er als Soldat zur österreichischen Armee eingezogen wurde. 1916 wegen einer Erkrankung vom Kriegsdienst befreit, ließ Stampfer sich im politischen Berlin nieder und wurde noch während des Krieges mit dem Amt des Chefredakteurs des sozialdemokratischen „Vorwärts“ betraut, das er mit kurzer Unterbrechung bis zum Verbot der Parteizeitung durch die Nationalsozialisten 1933 innehatte.
Politiker und Publizist in der Weimarer Republik
Das politische Geschehen in der ersten deutschen Demokratie prägte Friedrich Stampfer, der seit 1919 über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügte, in einer Doppelfunktion – sowohl als SPD-Reichstagsabgeordneter (ab 1920) als auch als die maßgebende Persönlichkeit der SPD-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. So wirkte er etwa am „Görlitzer Programm“ von 1921 mit, mit dem die SPD sich einerseits klar zu den Prinzipien der Weimarer Demokratie und dem Auftrag, sie gegenüber den zahlreichen Republikfeinden von rechts wie links zu verteidigen, bekannte, andererseits aber auch revisionistische Ziele vor dem Hintergrund der Bestimmungen des Friedensvertrags von Versailles festschrieb. Darüber hinaus war Stampfer an der Erstellung der „Richtlinien zur Wehrpolitik“ beteiligt, die der SPD-Parteitag 1929 in Magdeburg annahm. Der SPD-Politiker setzte sich zu Beginn der 1930er-Jahre, als die Weimarer Demokratie in der Phase der Präsidialkabinette, die sich nicht mehr auf eine Parlamentsmehrheit, sondern auf das Vertrauen des monarchistisch eingestellten Reichspräsidenten Paul von Hindenburg stützten, in eine schwere politische Krise geriet, für ein Annäherung an die KPD ein, um gemeinsam gegen die von ihm als Hauptgegner ausgemachte NSDAP vorzugehen. Diese Entscheidung ist bemerkenswert, da es der SPD als Gesamtpartei in der Weimarer Republik nicht gelang, ihre im Kaiserreich auch unter dem Druck der Bismarck`schen Sozialistengesetze entstandene Milieuverhaftung zugunsten eines überzeugten Einsatzes für die Demokratie als Institution zu überkommen. Stampfers Initiative scheiterte nicht zuletzt an der Haltung der KPD, die nicht die NSDAP, sondern die Sozialdemokratie als Hauptfeind betrachtete.
Emigration, Exilarbeit und Rückkehr nach Deutschland
Wenige Wochen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 folgte Stampfer dem SPD-Exilvorstand gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter nach Prag. Als Jude und Sozialdemokrat sowohl aus rassistischen als auch aus politischen Gründen verfolgt, war sein Name bereits auf der ersten Ausbürgerungsliste des Deutschen Reiches zu finden, mit der unter anderem auch Philipp Scheidemann, Lion Feuchtwanger, Otto Wels und Heinrich Mann ihre deutsche Staatsbürgerschaft und ihr in Deutschland befindliches Vermögen verloren. Aus dem tschechoslowakischen Exil gab Stampfer für einige Monate den „Neuen Vorwärts“, die SPD-Exilzeitschrift, heraus. Bevor deutsche Truppen 1939 in Prag einmarschierten, setzte Stampfer sich 1938 mit dem SPD-Exilvorstand zunächst nach Paris und schließlich in die USA ab. Auch im US-Exil engagierte der Publizist sich weiterhin für die Ziele der deutschen Arbeiterbewegung, so etwa als Mitglied der „German Labour Delegation“ – einer wichtigen deutschen sozialdemokratischen Exilorganisation in den USA. Nach Kriegsende kehrte Stampfer 1948 in die westlichen Besatzungszonen zurück, wo er sich schließlich in Hessen niederließ. Zwischen 1948 und 1955 dozierte er an der „Europäischen Akademie der Arbeit“ in Frankfurt am Main, die 1921 gegründet und 1947 wiederbegründet wurde, nachdem die Nationalsozialisten sie hatten auflösen lassen. Friedrich Stampfer verstarb am 1. Dezember 1957 83-jährig in Kronberg am Taunus. In deutschen Großstädten sind mehrere Straßen nach ihm benannt, so etwa in Berlin, Bremen und Frankfurt.
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