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Ein reines „Professorenparlament“? – Handwerker in der Paulskirche 1848 und 1948

Gängige Interpretationen begreifen die Revolution von 1848/1849 als eine bürgerliche Revolution, die durch langwierige und komplexe Debatten zwischen bürgerlichen Volksvertreterinnen und Volksvertretern in der Paulskirche über Verfassungsfragen an Schubkraft verlor. Gerade weil das Handwerk in der Nationalversammlung mit lediglich zehn von etwa 600 Abgeordneten tatsächlich deutlich unterrepräsentiert war, kann eine genauere Betrachtung derjenigen Volksvertreter, die aus dem Handwerk stammten, sich aus dem Handwerk entwickelt hatten oder eine wesentliche berufliche Prägung durch das Handwerk erfuhren, besonders lohnenswert sein. Trotz des Wortursprungs ist ein Handwerker nämlich nicht nur jemand, der stets oder nur in erster Linie mit den Händen arbeitet. Das Handwerk fungiert bis heute als facettenreiches Herzstück des Mittelstandes und bedeutender Wirtschaftsmotor. Zu den Handwerkern, die 1848/1849 als Abgeordnete in der Paulskirche tätig waren, zählen die Folgenden.

Aufgewachsen als Sohn eines Tuchmachermeisters, arbeitete Carl zunächst im väterlichen Geschäft, bevor er in die Luckenwalder Tuchfabrik wechselte. Durch seine Heirat wurde er Besitzer dieser Fabrik und ihrer Berliner Zweigstelle. Gleichzeitig setzte sich Carl mit großem Geschick für die Förderung der preußischen Industrie und der Arbeiterinteressen ein. Diese Erfolge brachten ihm die langjährige Präsidentschaft der Ältesten der Berliner Kaufmannschaft und 1848 die Berufung zum preußischen Finanzminister ein, die er jedoch ablehnte.

Nachdem er 1853 seine Luckenwalder Fabrik verkauft hatte, wurde er zunehmend wirtschaftspolitisch tätig. So berief man ihn bei den Weltausstellungen in Paris und London zum Mitglied der Jury und bei der Berlin-Anhalter Bahn hatte er den Vorsitz im Verwaltungsrat inne. 200.000 Taler seines Vermögens investierte er in die „Carl´sche Stiftung“ zur Unterstützung bedürftiger Töchter von Zivilbeamten, Offizieren und Männern des höheren Bürgerstandes.

In der Nationalversammlung, deren Mitglied er von Mai 1848 bis Februar 1849 war, schloss sich Carl der äußersten Rechten (Café Milani) an und arbeitete im volkswirtschaftlichen Ausschuss als Vorsitzender des zweiten Unterausschusses (Gewerbe und Ackerbau), trat aber nicht besonders hervor.

Über Ernst Friedrich Gottschalk ist nur wenig bekannt. Sein Vater Johann Friedrich Gottschalk war Besitzer einer Drahtzieherei, stellte also Metalldraht her. Er selbst war von 1836 bis 1850 Gründer und Besitzer einer Baumwollspinnerei in seinem Geburtsort Schopfheim. Dort war Gottschalk auch Mitglied des Kirchenrats sowie des Gemeinderats. Später übte er auch das Amt des Bürgermeisters in der Gemeinde aus. 1842 war er Mitglied der zweiten Kammer der badischen Landstände. In der Frankfurter Nationalversammlung wirkte er von Juni 1848 bis Mai 1849, wobei er sich keiner Fraktion anschloss.

Auch über Ludwig Johann Hentges ist nur wenig bekannt. Bereits der Vater Johann Matthias Hentges war Bierbrauer. Auch Ludwig Hentges blieb dem Bierbrauerhandwerk treu und besaß eine eigene Brauerei. In der Frankfurter Nationalversammlung, der er von Mai 1848 bis Januar 1849 angehörte, war er Mitglied des Märzvereins sowie der Fraktion Donnersberg.

Johann Friedrich Hohlfeld, dessen Vater ein gebürtiger Lausitzer und die Mutter eine Polin war, verfügt über eine spannende Biografie: Kaum volljährig übernahm er 1831 den väterlichen Verlag und die Druckerei des „Sächsischen Postillons“, einem aus heutiger Perspektive revolutionären Sprachrohrs. Früh engagierte Hohlfeld sich in der Kommunalpolitik: 1832 wurde er Stadtverordneter, später dann Stadtrat in Löbau sowie Mitglied des Sächsischen Landtags, wo er zum Ersten Sekretär der Ersten Sächsischen Kammer aufstieg. Als Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung wirkte er von Mai 1848 bis Mai 1849, wobei er sich keiner Fraktion anschloss. Im Mai 1849 wurde er Sekretär der provisorischen Regierung. Nach dem Erstarken der Reaktion floh Hohlfeld noch im gleichen Jahr in die Schweiz, um von dort in die USA zu immigrieren.

In den USA studierte Hohlfeld Medizin und praktizierte nach seiner Promotion in St. Louis. Trotzdem nahm er am Sezessionskrieg auf Seiten der Nordstaaten teil, wo er bereits am 16.08.1861 in der Schlacht bei Springfield als Soldat des 3. Regiments Missouri Volunteers umkam.

Florian Franz Göbel entstammte einer schlesischen Dynastie von Wollfabrikanten. Der spätere Schönfärber Göbel studierte von 1812 bis 1816 in Weißwasser, wobei dies nach heutiger Lesart nicht als akademisches Studium, sondern eher als grundlegende schulische Ausbildung betrachtet werden muss. Mit 14 Jahren begann er 1816 die Mitarbeit in der väterlichen Wollfabrik in Jauernig. Von 1826 bis 1873 war er Inhaber einer eigenen Färberei in Jägerndorf. In der Frankfurter Paulskirche wirkte Göbel von Mai 1848 bis April 1849 als Abgeordneter, der keiner Fraktion angehörte.

Georg Friedrich Kolb war der Sohn des Buchdruckers Jacob Christian Kolb, der 1827 verstarb. Mit 14 Jahren trat er ins elterliche Geschäft ein, lernte dort autodidaktisch den Beruf des Buchdruckers und Zeitungsverlegers. Mit Erlangung der Volljährigkeit und nach dem Tod des Vaters übernahm er die Redaktion der „Neuen Speyerer Zeitung“ samt ihrer liberalen und konstitutionellen Ausrichtung. 1832 nahm Kolb am Hambacher Fest teil, weshalb er in der Folge unter Anklage stand, aber freigesprochen wurde. Mit 30 Jahren wurde er Mitglied des Stadtrats von Speyer, wo er sich für die Anbindung der Stadt an das Schienennetz und für die Bildung eines Gewerbevereins einsetzte. Im Revolutionsjahr 1848 war Kolb bereits zum Bürgermeister seiner Heimatstadt aufgestiegen, derweil sein politisches Engagement weit über Speyer hinausreichte. In der Frankfurter Nationalversammlung, in der er von Mai 1848 bis Mai 1849 wirkte, gehörte er dem Deutschen Hof bzw. Nürnberger Hof an.

Nach dem Scheitern der Revolution exilierte Kolb für mehrere Jahre ins schweizerische Zürich. Ab 1859 arbeitet er wieder als Redakteur bei der „Frankfurter Zeitung“ und engagiert sich ab 1863 in der Zweiten Kammer des bayerischen Landtags. Kolb gilt aus heutiger Sicht als klassischer Liberaler, der in der Paulskirche für die Gewerbefreiheit, für die Freiheit des Gütererwerbs, für die verfassungsmäßige Verankerung von Grundrechten und für die großdeutsche Lösung eintrat. Kolb engagierte sich bis zu dessen Ende als Mitglied des sogenannten Rumpfparlaments, das auch nach der Auflösung der Nationalversammlung in Frankfurt weiterwirkte.

Der Vater von Werner Christian Johannes, Wilhelm Benjamin Johannes, war Färber. Vom Färben kam Johannes schließlich zum Spinnen, reiste als Kaufmann durch Europa und war Gründer und Betreiber einer mechanischen Spinnerei. In der Frankfurter Nationalversammlung, in der er sich von November 1848 bis Mai 1849 engagierte, zählte er zu den Erbkaiserlichen und gehörte dem Württemberger Hof an. 1849 war er Mitglied der Gothaer Versammlung, einer privaten Versammlung ehemaliger Abgeordneter der Paulskirche, die im März 1849 für die Herantragung der Kaiserwürde an den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. gestimmt hatten.

Ferdinand Nägeles Vater, Johann Adam Nägele, war Schlosser. Er selbst, ein Schlossermeister, gründete nach Erreichen der Volljährigkeit 1829 einen Gesangverein, der als Sammlungsort liberaler Denker fungierte. Ferdinand Nägele war ein klassischer Kommunalpolitiker, von 1835 bis 1879 Mitglied des Stadtrats von Murrhardt. Ab 1848 saß er auch im Württembergischen Landtag. In der Frankfurter Nationalversammlung, der er von Mai 1848 bis Mai 1849 angehörte, war Nägele Mitglied des Märzvereins und des Deutschen Hofes. Nägele stimmte für Heinrich von Gagern als Reichsverweser und gegen den preußischen König als Kaiser des künftigen deutschen Nationalstaates. Ab 1853 fungierte er als Stadtschultheiß (Bürgermeister), stand aber in Konflikt mit der reaktionären Regierung.

Pammer war der Sohn eines Sensenschmiedemeisters. Mit 28 Jahren übernahm er den väterlichen Betrieb und das Bauerngut. 1875 ging er in den Ruhestand. Pammer war von Mai 1848 bis Juli 1849 als Angeordneter in der Paulskirche tätig und gehörte keiner Fraktion an. Über sonstige politische Aktivitäten ist nichts bekannt.

Über Karl Wilhelm Weigle, der der Nationalversammlung nur kurzzeitig, von März 1849 bis Mai 1849 angehörte, ist relativ wenig bekannt. Er schloss sich in der Paulskirche keiner Fraktion an. Weigle arbeitete als Weber und Kaufmann in Zürich. In Hoheneck bei Ludwigsburg besaß er eine Damastweberei.

Bei Betrachtung der Geschichte der wenigen Handwerker, die 1848/1849 als Abgeordnete in der Paulskirche tätig waren, bleibt festzuhalten, dass ihr Wirken tatsächlich weitgehend unerforscht ist und hinter der Überzahl an Abgeordneten aus dem Bildungsbürgertum zu verblassen scheint. Dennoch kann die Beschäftigung mit ihren hochgradig individuellen Lebensgeschichten und ihren besonderen Zugängen zur Politik gerade wegen der geringen Anzahl der abgeordneten Handwerker lohnenswert und spannend sein.