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03. Dezember 1896: 125. Geburtstag von Carlo Schmid – Erinnerung an einen großen Vater des Grundgesetzes

Politiker stehen in der Öffentlichkeit, sie bedienen sich der Öffentlichkeit, und sie wollen von der Öffentlichkeit gewählt und bestätigt werden. Es gibt aber auch Politiker, die dieses ungeschriebene Gesetz kennen und befolgen wollen, dennoch aber nie über den inoffiziellen Status eines geschätzten Experten und Intellektuellen hinauskommen. Der Sozialdemokrat Carlo Schmid, dessen 125. Geburtstag in 2021 gefeiert wird, ist so eine hochverdiente Persönlichkeit, dem trotz aller Bedeutung seiner Person höchste Regierungsämter versagt blieben.

1896 im südfranzösischen Perpignan als Sohn einer französischen Mutter geboren, zuerst in Weil der Stadt, dann in Stuttgart zweisprachig aufgewachsen und von bildungsbeflissenen Eltern, die beide den Lehrerberuf ausübten, in Spur gebracht, bekam Carlo Schmid neben fundierten humanistischen nicht zurückstehende Kenntnisse des Französischen vermittelt. Dieser Hintergrund ermöglichte dem glänzenden Redner und geistreichen Unterhalter, die Härten des drakonisch harten französischen Besatzungsregiments nach dem verloren gegangenen Zweiten Weltkrieg zu mildern und zu begrenzen. Dass er sich während des Krieges in der Deutschen Wehrmacht dienend als deutscher Kriegsverwaltungsrat in Lille mit Geschick für die nordfranzösische Zivilbevölkerung eingesetzt hatte, verfehlte seine Wirkung bei den Spitzen der französischen Besatzungsmacht nicht. Schmid pflegte einen demokratischen Sozialismus, den er für sich wie folgt näher beschrieb:
„Die Welt dahin zu verändern, dass die großen Ideale, die die Ideale unserer klassischen Zeit sind, verwirklicht werden, und auch Werte, die uns das Christentum gelehrt hat, dass man die nicht nur zu deklamieren vermag oder sich daran das Gemüt zu erwärmen vermag, sondern dass man sie in seinem Leben selbst darzustellen vermag.“

Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem Schmid als deutscher Soldat freiwillig gekämpft hatte, studierte er Rechtswissenschaften und arbeitete als Rechtsanwalt, Richter und schließlich Rechtsreferendar. Bereits im zweiten Kriegsjahr erneut zum Militär einberufen und auf die Militärverwaltung in Lille beordert, setzte sich Schmid, der zuvor noch auf einen dritten humanistischen Weg gegen die Nationalsozialisten gehofft hatte, nun politisch mit der Diktatur Adolf Hitlers auseinander. Ein Widerständler im klassischen Sinne war er nicht. Schmid war immerhin Mitglied des Bundes Nationalsozialistischer Juristen, unterhielt aber auch Kontakte zu Widerstandskreisen (Helmuth James Graf von Moltke und Kreisauer Kreis). Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte er seinen Vornamen Carl in Carlo, um nicht mit dem in Diensten der Nationalsozialisten gestandenen renommierten Staatsrechtler, Carl Schmitt, verwechselt zu werden.

Während der Weimarer Republik trat Schmid nicht der SPD bei. Nach Kriegsende 1945 setzte sich Schmid jedoch für die Gründung der SPD in der französischen Besatzungszone ein und gestaltete deren neues Parteiprogramm (Godesberger Programm) mit. Als Verfassungsrechtler und Intellektueller eröffnete er seiner SPD neue Zugangswege zur politischen Gestaltung, besonders mit seiner Arbeit am Grundgesetz. Im August 1948 nahm Schmid am Verfassungskonvent von Herrenchiemsee teil. Anschließend wurde ihm außerplanmäßig auch die Teilnahme am Parlamentarischen Rat ermöglicht, da er sich bereits als Experte für Grundsatz- und Verfassungsfragen überparteilich profiliert hatte. Auf ihn gehen viele grundsätzliche Ausarbeitungen des Grundgesetzes zurück, unter anderem setzte er sich für den provisorischen Charakter der Bundesrepublik sowie Artikel 24 ein, der eine europäische Zusammenarbeit ermöglichen sollte.

Schmid zu seiner Mitwirkung am Grundgesetz:
„Ich erinnere mich an die Kontroverse, die ich im Parlamentarischen Rat mit anderen ehrenwerten Männern austragen musste, die verfahren wollten wie in der Weimarer Verfassung: die Grundrechte an den Schluss hängen. Ich sagte: Nein, die gehören an den Anfang hin, damit man sieht, der ganze Rest, der folgt – das Instrumentarium, das Politische – ist um dessentwillen so verfasst, damit wir diese Grundrechtswirklichkeit verwirklichen können in diesem Lande.“

Schmid saß in der jungen Bundesrepublik von 1949 bis 1972 im Bundestag und bekleidete verschiedene Staatsämter, auf denen er vor allem die deutsch-französische Aussöhnung sowie erste Ideen der europäischen Integration mit initiierte und sich ferner für die Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen stark machte. In der Großen Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) übernahm er 1966 das Bundesministerium für die Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder, für dessen Auflösung er selbst zuvor plädiert hatte.

Mit seinem weitsichtigen politischen Denken und Handeln sah Schmid in der Aussöhnung mit dem französischen Nachbarn eine zentrale Voraussetzung für die europäische Integration Deutschlands. Neben einer Vielzahl anderer Ämter im Dienste des europäischen Gedankens übernahm er 1949 den Vorsitz der „Deutschen Parlamentarischen Sektion der Europäischen Bewegung“ (heute „Europäische Bewegung Deutschland“), die Anfang November 1949 in Wiesbaden gegründet worden war.

Von 1950 bis 1960 und von 1969 bis 1973 gehörte Schmid der „Beratenden Versammlung des Europarates“ in Straßburg an. Von 1963 bis 1966 stand er der „Versammlung der Westeuropäischen Union“ in Paris als Präsident vor, deren Stellvertretender Präsident er seit 1956 gewesen war. Von 1969 bis zu seinem Tode war er Koordinator für die deutsch-französischen Beziehungen.

Der erfahrene Intellektuelle Schmid, der es trotz seiner enormen Begabungen lediglich zum Bundesratsminister und infolge entsprechender Bundestagswahlergebnisse nur zum Bundestagsvizepräsident gebracht hatte, musste es dann bitter erleben, wie nach Willy Brandts Wahlsieg seine Parteifreundin Annemarie Renger als Bundestagspräsidentin installiert wurde. In dieser Position hätte Schmid selbst gerne seine politische Laufbahn beendet. Ihm fehlte allerdings offenbar der sozialdemokratische Stallgeruch, der Kleister des Plakateklebens für die SPD.
So schrieb einmal der SPD-Linke Erhard Eppler über Schmid:

„Man hätte aus dem, was Carlo Schmid an Gaben hatte, einen großartigen Rechtslehrer (…) machen können, einen großartigen Schriftsteller, einen bedeutenden Philosophen, einen großen Künstler. Das heißt die Fülle, der Reichtum seiner Persönlichkeit war es doch, was die eigentliche Ausstrahlung ausgemacht hat. Allerdings war das, was er an politischer Begabung hatte, dann immer noch groß genug, um drei oder vier Politiker daraus zu schnitzen.“

Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Schmid in Bad Honnef bei Bonn, wo er am 11. Dezember 1979 starb. Am 15. Dezember 1979 wurde er als Bundestagsvizepräsident a. D. mit einem Staatsbegräbnis auf dem Tübinger Stadtfriedhof geehrt.

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