28. Februar 1849: 175. Todestag von Geburtshelferin Josepha von Siebold
Für ihre Verdienste in der Geburtshilfe wurde Josepha von Siebold als erste Frau in Deutschland mit einem Ehrendoktortitel bedacht. Dass Schwangere bei der Geburt von einer Frau medizinisch betreut wurden, war vielen männlichen Zeitgenossen zunächst suspekt.
Wie die spätere Pionierin der Geburtshilfe am 14. Dezember 1771 in Geismar im thüringischen Eichsfeld auf die Welt kam – ob auch ihre Mutter Hilfe hatte und von wem – ist nicht überliefert. Die Eltern starben entweder bald nach ihrer Geburt oder konnten sich die Versorgung der kleinen Regina Josepha Henning (Rufname Josepha) nicht leisten. So wuchs das Mädchen im Haushalt ihres Onkels Lorenz Henning auf. Als kurmainzische Beamtentochter konnte sie auf eine gute eheliche Verbindung hoffen, doch dafür brauchte es eine angemessene Bildung: Das junge Mädchen wurde deshalb in einem Ursulinenkloster weltlich und religiös unterrichtet. Doch beim Onkel erwarb sie auch praktische Fertigkeiten, etwa das Reiten und eine Kutsche zu lenken.
Lorenz Henning starb, als Josepha ein Teenager war. Mit 15 Jahren gab sie 1787 dem Regierungsrat Georg Heiland das Ja-Wort, einem Kollegen ihres verstorbenen Onkels. Schon im Jahr darauf gebar sie ihre erste Tochter. Vier Kinder brachte Josepha Heiland in ihrer Ehe mit Georg Heiland zur Welt, doch nur die beiden Töchter Charlotte und Therese überlebten. Tochter Charlotte war später ebenfalls als Geburtshelferin tätig. Die Ehe währte sieben Jahre, bis Georg Heiland durch einen ärztlichen Behandlungsfehler – offenbar ein missglückter Aderlass – überraschend starb. Zurück blieb die 22-jährige Witwe mit ihren zwei Kindern.
Bald darauf erkrankte sie selbst – und verliebte sich in ihren behandelnden Arzt Damian von Siebold, der aus einer angesehenen Familie von Medizinern stammte. 1895 heiratete sie ihn und siedelte mit ihm 1804 nach Darmstadt über. Anders als sein Vater und seine Brüder war Damian von Siebold nicht an einer Universität tätig, sondern arbeitete als Landarzt für die einfache Bevölkerung. Die Tätigkeit warf kaum genug Geld ab, um den Lebensunterhalt für die wachsende Familie zu verdienen: Damian von Siebold hatte die beiden Töchter aus Josephas erster Ehe adoptiert, gemeinsam bekam das Paar drei weitere Kinder. Die Familie musste sich etwas einfallen lassen, um ihre Existenz zu sichern.
Josepha von Siebold beschloss, ihren Mann künftig in seiner Praxis zu unterstützen und schritt zur Tat: Mithilfe ihres Schwiegervaters Prof. Carl Caspar von Siebold und ihres Schwagers Prof. Adam Elias von Siebold konnte sie eine Ausnahmegenehmigung erwirken, um als erste Frau an der Würzburger Universität medizinische Vorlesungen in der Geburtshilfe zu hören. Warm aufgenommen wurden Frauen im Kreise der männlichen Studierenden nicht: Während der Vorlesungen musste Josepha von Siebold hinter einem Vorhang sitzen, verborgen von den Blicken ihrer Kommilitonen. Auch die Teilnahme an praktischen Übungen wurde ihr verwehrt – man dachte offenbar gar nicht daran, dass eine Frau ihre Kenntnisse allen Ernstes praktisch anwenden wollte.
Erfahrung im Umgang mit Schwangeren und Patienten sammelte Josepha von Siebold in der Praxis ihres Mannes in Darmstadt. 1807 gewährte ihr die Regierung die Erlaubnis, die Pockenschutzimpfung zu verabreichen. Im gleichen Jahr legte sie vor dem großherzoglichen Medizinalkollegium an der Universität Gießen ihr Examen ab und erhielt im Anschluss die Erlaubnis von Großherzog Ludwig I., als Ärztin für Geburtshilfe zu praktizieren. Als Frau war sie die Ausnahmeerscheinung unter den Prüflingen und wurde besonders intensiv getestet: Vier Stunden lang musste Josepha von Siebold ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in Theorie und Praxis unter Beweis stellen, bis die Prüfer zufrieden waren. Die 36-Jährige bestand mit sehr guten Noten. Ihre Zulassung zur Prüfung hatte sie mit der Begründung erwirkt, als Fachkundige gegen die übernatürlich hohe Säuglingssterblichkeit kämpfen zu wollen.
Nach dem bestandenen Examen kehrte Josepha von Siebold endgültig nach Darmstadt zurück und praktizierte dort Seite an Seite mit ihrem Mann. Dank ihrer Kenntnisse im Reiten und Kutschieren konnte die Frauenärztin Hausbesuche in der Umgebung von Darmstadt machen und Schwangere versorgen, die sich den Weg in die Praxis nicht leisten konnten oder gesundheitlich nicht dazu in der Lage waren. Frauen waren dankbar, bei Schwangerschaft und Entbindung von einer Frau betreut zu werden. Wegen ihres Einsatzes bekam sie im Darmstädter Volksmund den Ehrentitel „Mutter der Armen wie ihrer Kinder“. Auch Tochter Charlotte von Siebold arbeitete nach ihrer Promotion an der Universität Gießen (die ihrer Mutter noch verwehrt geblieben war) in der Geburtshilfe. 1819 begleitete Charlotte von Siebold die Geburt der späteren britischen Königin Victoria.
Josepha von Siebolds Kenntnisse und Fähigkeiten waren so hoch angesehen, dass die Universität Gießen ihr 1815 als erste Frau eine Ehrendoktorwürde für ihre „Entbindungskunst“ verlieh. Doch es sollte noch bis 1880 dauern, bis die nach Deutschland emigrierte Britin Hope Bridges Adams Lehmann in Leipzig gegen zahlreiche Widerstände als erste Frau ein Medizinstudium als Gasthörerin absolvieren und ihr Staatsexamen in Medizin ablegen durfte. Und erst ab 1896 begannen die Universitäten in den Staaten des Deutschen Reichs, Frauen zum Studium zuzulassen. Seitdem drängen immer mehr Frauen in die Humanmedizin: 2022/23 waren 69.5000 der insgesamt 108.000 Medizin-Studierenden weiblich.
Josepha von Siebold erlebte die Öffnung der Universitäten für Frauen nicht mehr. Sie starb 77-jährig am 28. Februar 1849 in Darmstadt und wurde auf dem Alten Friedhof der Stadt beigesetzt.