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25. September 2021: 125. Geburtstag eines vergessenen Politikers: Der „Neu-Hesse“ Wenzel Jaksch und sein Einsatz für die Sudetendeutschen

Die Karriere eines Politikers beginnt meist in der Jugendorganisation einer Partei, gefolgt von der Ochsentour durch verschiedene Ämter zu wichtigen Funktionen in der Exekutive oder Legislative. Der Weg des Sudetendeutschen Wenzel Jaksch, der 1949 seine neue Heimat in der hessischen Hauptstadt fand, verlief jedoch anders.

Jaksch wurde am 27. September 1896 in Langstrobitz (heute Dlouhá Stropnice, Tschechische Republik) geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen im Böhmerwald auf. 1910 brach er die Volksschule vorzeitig ab, ging als 14-Jähriger nach Wien und absolvierte eine Maurerlehre. Dort schloss er sich der Arbeiterbewegung an und lernte die sozialdemokratische Presse wie etwa die „Arbeiter-Zeitung“ kennen. Wenig erstaunlich, dass er sich bald als Journalist einen Namen machte. Für den „Sozialdemokrat“, das Parteiorgan der „Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei der Tschechoslowakischen Republik“ (DSAP) arbeitete er als Redakteur und Verfasser eigener Artikel. Seine sozialkritischen Reportagen widmeten sich ganz besonders den ländlichen Gegenden Böhmens.

Zur Parteipolitik kam Jaksch erst nach dem Ersten Weltkrieg. 1929 zog er in das tschechoslowakische Abgeordnetenhaus ein. Als er im März 1938 zum Vorsitzenden der DSAP gewählt wurde und damit Ludwig Czech, den langjährigen Parteivorsitzenden und Inhaber verschiedener Ministerposten, ablöste, driftete sein Land bereits nach rechts ab.

Ein Rückblick: Die Tschechoslowakei war am 28. Oktober 1918 als kleiner Vielvölkerstaat aus der Österreichisch-Ungarischen Monarchie hervorgegangen. In ihr nahmen die Tschechen eine dominante Rolle ein. In den sogenannten Sudetengebieten, die entlang der Grenzen der damaligen Tschechoslowakei zu Deutschland und Österreich lagen, lebte die deutsche Minderheit, die in der tschechoslowakischen Politik kaum Beachtung fand. Diese Frontstellung führte dazu, dass die Deutschen in den 1930er-Jahren die „Sudetendeutsche Partei“ (SdP) unter der Führung von Konrad Henlein wählten. Sie stand dem reichsdeutschen Nationalsozialismus nahe und errang 1935 einen erdrutschartigen Wahlsieg.

Um der Verbreitung nationalsozialistischer Ideen unter seinen Landsleuten entgegen zu wirken, forderte Jaksch unter anderem mehr Autonomie für die Deutschen innerhalb des tschechoslowakischen Staates. Doch in der Münchner Konferenz vom 29./30. September 1938 wurden Fakten geschaffen. Die einstigen Siegermächte des Ersten Weltkriegs, England, Frankreich und Italien, setzten sich über die Regelungen der Pariser Vorortverträge von 1919/20 hinweg: Das Sudetengebiet wurde an das Deutsche Reich abgetreten.

Mitte März 1939 marschierten deutsche Truppen auch in den restlichen Teil Böhmen und Mährens ein und Jaksch musste sich selbst in Sicherheit bringen. Als Wintersportler verkleidet trat er auf Skiern über die verschneiten Beskiden eine dramatische Flucht an. Er konnte sich schließlich nach Großbritannien retten, wo sich die demokratischen Kräfte der Tschechoslowakei und die Exilregierung versammelten. In London baute er mit der „Treuegemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten“ eine starke Exilorganisation auf.

Im Verlauf des Krieges kam es zum Bruch zwischen Jaksch und dem Exilpräsidenten Edvard Beneš, der in der Aussiedlung aller Deutschen eine Lösung der Minderheitenproblematik sah. Jaksch und die sudetendeutschen Sozialdemokraten mussten nach Kriegsende machtlos der Vertreibung der Sudetendeutschen zusehen.

In Londoner lernte Jaksch seine Frau Joan Simon-Clark kennen, wo auch sein Sohn Georg zur Welt kam. Nach der Rückkehr in Deutschland wurde seine Tochter Mary geboren.

Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und des Bundeslandes Hessens 1949 kehrte Jaksch nach Deutschland zurück. Er schloss sich der SPD an und zog 1953 in den deutschen Bundestag ein. Damit ist der Wiesbadener Neubürger wohl der einzige demokratische Politiker, der sowohl in der Tschechoslowakei als auch in der Bundesrepublik Deutschland im Parlament saß. Ab 1961 leitete er als einziger Sozialdemokrat den „Bund der Vertriebenen“. Entsprechend ist er heute fast nur noch als Vertriebenenpolitiker bekannt.

Gegenüber der inzwischen sozialistischen Tschechoslowakei hatte Jaksch ein ambivalentes Verhältnis. Er, der die Vertriebenen am liebsten zurück in ihre ursprüngliche Heimat gebracht hätte, feilte auch an den Ideen einer neuen Ostpolitik. In der Studie „Westeuropa – Osteuropa – Sowjetunion“ vom Januar 1965 schrieb er:
„Indessen ist im freien Teil Deutschlands die Einsicht im Vordringen, dass der Schlüssel zu Eintracht und Frieden in einem neuen Verhältnis zu den Ostnachbarn liegt. Westdeutschland ist daher aus überwiegend politischen Gründen an einer Normalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen mit Osteuropa interessiert.“

Jaksch starb mit 70 Jahren am 27. November 1966 in Wiesbaden. Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt würdigte ihn in seiner Grabrede mit folgenden Worten:
„Dieser aufrechte Mann musste erleben, dass die Ereignisse stärker waren als er. Und wenn wir heute auf sein Leben zurückschauen, so drängt sich die Frage auf, wie oft er dieses, was man die Ereignisse nennt, die wohl stärker sind, wohl hat erleben müssen. Wir alle sind uns dankbar bewusst, was Wenzel Jaksch für das deutsche Volk zu leisten bemüht war. Und wie wesentlich er mit seinen Heimatvertriebenen, vor allem auch mit seinen sudetendeutschen Landsleuten, zum Aufbau und Ausbau unserer Bundesrepublik beigetragen hat.“