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22. September 2021: 125. Geburtstag Elisabeth Selbert

Ein ermutigendes Frauenleben

Art. 3 Abs. 2 GG: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“

Elisabeth Selbert betrachtete in Gesprächen mit Antje Dertinger 1978 und 1980 die Erarbeitung und Durchsetzung dieses Artikels im Parlamentarischen Rat „… wenn ich ehrlich bin, als den Höhepunkt meines Lebens.“ Und weiter betonte sie: „… im Grunde genommen sind alle Reformen, die inzwischen auf vielen Gebieten durchgesetzt worden sind, damals eingeleitet worden: mit dem Gleichberechtigungsgrundsatz im Grundgesetz.“

Martha Elisabeth Rohde wurde am 22. September 1896 in der Gemeinde Niederzwehren bei Kassel als Tochter von Eva Elisabeth und Georg Rohde geboren. Sie wuchs in einem bürgerlich und christlich geprägten Elternhaus auf. Nach der Volks- und Mittelschule besuchte sie eine Höhere Handelsschule. 1913 wurde sie Auslandskorrespondentin einer großen Kasseler Import-Export-Firma. Während des Ersten Weltkrieges wechselte sie in den Telegrafendienst als Postbeamtenanwärterin.

1918 trat Elisabeth Rohde der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) bei. Dies lag nicht zuletzt auch an Adam Selbert, den sozialdemokratischen Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrates in Niederzwehren, den sie 1918 kennengelernt hatte und ihn 1920 heiratete. In der SPD engagierte sie sich schon bald als Wahlkämpferin und wandte sich dabei besonders an die Frauen, um sie zu ermutigen, von ihrem neuen Wahlrecht Gebrauch zu machen. 1920 wurde sie in den Gemeinderat von Niederzwehren gewählt. Als junge Mutter – 1921 wurde Gerhart und 1922 der zweite Sohn Herbert geboren – blieb sie weiterhin kommunalpolitisch aktiv und lernte gleichzeitig fürs Abitur, das sie unbedingt nachholen wollte. Mit 30 Jahren, 1926, bestand sie schließlich als externe Schülerin an der Luisenschule in Kassel die Reifeprüfung. Kurz danach nahm sie bereits das Studium der Rechtswissenschaften in Marburg auf. „Als ich in Marburg anfing mit dem Studium waren es wohl zwei Frauen, die mit mir zusammen an der Fakultät immatrikuliert wurden“, erinnerte sich Elisabeth Selbert später. Nach dem Wechsel nach Göttingen legte sie dort 1929 das erste Staatsexamen ab. 1930 wurde sie zum Dr. jur. promoviert. Ohne die Unterstützung der gesamten Familie wäre dies alles allerdings nicht möglich gewesen. Die Selberts waren in das Haus ihrer Eltern gezogen. Adam Selbert sorgte für den Familienunterhalt und die Finanzierung des Studiums seiner Frau. Und die Großeltern passten auf die Enkelkinder auf.

Nach dem Abschluss des zweiten Staatsexamens und ihrer Zulassung als Rechtsanwältin 1934 eröffnete sie um die Jahreswende 1934/35 in Kassel, am Königsplatz 42, eine Kanzlei. Sie bemühte sich, keine Mandate zu übernehmen, bei denen es um politische Delikte ging. Bis 1938 konnte sie sich dabei oft den Pressionen der NSDAP-Gauleitung um den Gauleiter Karl Weinrich entziehen. Mit Kriegsausbruch hatte die Kanzlei dann noch mehr zu tun, da viele männliche Kollegen zum Militär mussten. Elisabeth Selbert versuchte in der Kriegszeit gemeinsam mit anderen gleichgesinnten Anwälten durch kleine Widerstandsleistungen bei Gerichtsverhandlungen und Verfahren Urteile abzumildern oder zu verhindern. Auch unter den sozialdemokratischen Freunden und Genossen pflegte sie Kontakte, um sich untereinander zu informieren, zu helfen oder „auch regimefeindliches Material zu verteilen“. Durch den Bombenangriff auf Kassel im Oktober 1943 musste die Familie nach Melsungen umziehen. Nach dem Ende des nationalsozialistischen Terrors und der Befreiung durch die Alliierten wurde Elisabeth Selbert schon kurze Zeit später von der amerikanischen Militärbehörde in die Kasseler Stadtverwaltung berufen, um dort als Verbindungsperson zu den Vertretern der Besatzungsmacht zu fungieren. Elisabeth Selbert wurde nach den Wahlen am 30. Juni 1946 zur Verfassung beratenden Landesversammlung als Rechts- und Staatswissenschaftlerin in das Gremium berufen, in dem sie sich inhaltlich vor allem mit der Neugestaltung der Rechtspflege und der Wirtschaftsordnung beschäftigte. Die Landesverfassung wurde parallel zu den ersten Wahlen zum Hessischen Landtag am 1. Dezember 1946 mit großer Mehrheit angenommen. Elisabeth Selbert wurde in den Landtag gewählt, dem sie bis 1958 angehörte. Daneben gehörte sie von 1946 bis 1956 dem SPD-Parteivorstand an. Und außerdem war sie als Rechtsanwältin und Notarin ab 1945 wieder beruflich in Kassel aktiv.

Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher sorgte 1948 dafür, dass Elisabeth Selbert über den niedersächsischen Landtag in den Parlamentarischen Rat zur Erarbeitung des Grundgesetzes berufen wurde. Das Gremium hatte insgesamt 65 stimmberechtigte Mitglieder, darunter nur vier Frauen: Friederike Nadig (SPD), Elisabeth Selbert (SPD), Helene Weber (CDU) und Helene Wessel (Zentrum). Selbert wurde Mitglied u.a. im Ausschuss für den Verfassungsgerichtshof und für Rechtspflege. Sie wurde im Laufe der Ausschusssitzungen zu einer ganz entschiedenen Verfechterin der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wollte über die Formulierung aus der Weimarer Verfassung hinausgehen. Nach anfänglichen Widerständen wurde vor allem durch die Beharrlichkeit von Elisabeth Selbert im Grundgesetz in Art. 3 Abs. 2 verankert: „2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Damit war ein großer Schritt zur Gleichberechtigung getan, an dem Selbert maßgeblichen Anteil hatte.

Ab Mitte der 50er Jahre zog sie sich allmählich von ihren politischen Aktivitäten zurück und widmete sich vor allem ihrer Kanzlei. Nach dem Tod ihres Mannes 1965 führte sie ihre Kanzlei noch bis Mitte der 70er Jahre. Am 9. Juni 1986 starb sie in Kassel.

Bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung können u. a. folgende Publikationen zum Thema bestellt werden: