22. November 1949: 75. Jahrestag der Unterzeichnung des „Petersberger Abkommens“
Das nach der Residenz der Alliierten Hohen Kommission auf dem Petersberg nahe Bonn benannte „Petersberger Abkommen“ knüpfte zeitlich und inhaltlich unmittelbar an das Besatzungsstatut an, das die westalliierten Vertreter der Bundesregierung bei ihrem Antrittsbesuch am 21. September übergeben hatten. Der bilaterale Vertrag zwischen der ersten Bundesregierung um Kanzler Konrad Adenauer (CDU) und den alliierten Hohen Kommissaren erweiterte die Rechte der Bundesrepublik gegenüber dem Besatzungsstatut und stärkte ihre außenpolitische Position – etwa durch die Berechtigung, konsularische Beziehungen zu weiteren westlichen Staaten aufzunehmen. Nichtsdestotrotz entwickelte sich das „Petersberger Abkommen“ vor dem Hintergrund des darin festgeschriebenen Souveränitätsverzichts durch die europäische Integration zu einem parlamentarisch heftig diskutierten Politikum: Die SPD-Opposition um Kurt Schumacher, die der Union in der Bundestagswahl vom 14. August nur knapp unterlegen war, agitierte gegen Adenauer als „Kanzler der Alliierten“. Rückblickend gilt der 22. November 1949 gerade wegen seiner Ambivalenz als Kristallisationspunkt der verschiedenen deutschlandpolitischen Zielperspektiven der beiden Volksparteien CDU/CSU und SPD in der jungen Bundesrepublik.
Hintergrund und Inhalte des „Petersberger Abkommen“
Im Herbst 1949 existierten auf deutschem Boden zwei deutsche Teilstaaten. Die am 23. Mai mit der Verkündung des Grundgesetzes offiziell gegründete Bundesrepublik Deutschland im Westen verfügte infolge der ersten Bundestagswahl am 14. August 1949 über alle Verfassungsorgane eines souveränen Staates und hatte sich als liberale Demokratie konstituiert. Dennoch unterlagen die Souveränitätsrechte der Bundesrepublik strengen Kontroll- und Hoheitsrechten der Westalliierten, die diese sich – vertreten durch die Hohe Kommission auf dem Petersberg bei Bonn – vorbehielten, da die oberste Regierungsgewalt in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit der „Berliner Deklaration“ im Juni 1945 gemeinsam von allen vier Alliierten übernommen worden war. Im Rahmen des Antrittsbesuchs der ersten Bundesregierung bei der Hohen Kommission am 21. September übergaben die westalliierten Vertreter mit dem Besatzungsstatut diejenigen Regularien an die Bundesregierung, die die deutsche Souveränität bis zum Inkrafttreten der Pariser Verträge im Mai 1955 einschränken würden. Bei den von den Westalliierten einbehaltenen Hoheitsrechten handelte es sich in erster Linie um Kontrollrechte auf den Feldern Außenpolitik, Außenhandel, Entmilitarisierung, Aufnahme von Flüchtlingen und Ruhrkontrolle, um französischen Sicherheitsbedenken gegenüber dem raschen Wiedererstehen einer deutschen Staatlichkeit Rechnung zu tragen. Darüber hinaus bedurften laut Besatzungsstatut jegliche Verfassungsänderungen wie auch die Verabschiedung einfacher Bundesgesetze alliierter Zustimmung.
Das „Petersberger Abkommen“ wurden am 15., 17. und 22. November im Hotel auf dem Petersberg zwischen der Hohen Kommission und der Bundesregierung ausgehandelt. Wenngleich es sich dabei wegen der andauernden Besatzungsherrschaft nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag handelte, weitete er die Souveränitätsrechte der Bundesrepublik aus, um sie gleichzeitig durch das Gebot der europäischen Integration wieder zu beschränken: Einerseits berechtigten die Westalliierten die Bundesrepublik, in konsularische Beziehungen mit westlichen Drittstaaten zu treten, beschränkten die Demontagen in wichtigen Industriestandorten und ermöglichten einen Beitritt der BRD zur und damit ein Mitspracherecht in der Ruhrbehörde. Andererseits waren diese Zugeständnisse jedoch auch an die Bedingung geknüpft, die europäische Integration zu vertiefen, die vor allem Frankreich mit dem Ziel der Kontrolle Deutschlands durch Einbindung forcierte, um Wiederaufrüstung und Krieg schnell erkennbar und wirtschaftlich unmöglich zu machen. Darüber hinaus erwarb die Bundesrepublik im Zuge des „Petersberger Abkommens“ die Berechtigung, internationalen Organisationen beizutreten. Es folgte die Aufnahme in die Weltbank, den Weltwährungsfonds sowie die Welternährungsorganisation. Insbesondere der Beitritt zur Ruhrbehörde stellte einen bedeutenden Streitpunkt bei der Aushandlung und im innenpolitischen Diskurs in Westdeutschland dar. Dennoch entzündete die westdeutsche Debatte sich insgesamt weniger an einzelnen Bestimmungen des „Petersberger Abkommens“, sondern vielmehr an der grundsätzlichen politischen Strategie, die die Regierung Adenauer mit dessen Unterzeichnung verfolgte.
Divergierende deutschlandpolitische Konzeptionen: Adenauer als „Kanzler der Alliierten“?
Bundeskanzler Adenauer setzte mit seiner Politik der strengen, angesichts des Kalten Krieges Sicherheit versprechenden Westintegration, der er den Vorzug vor der deutschen Wiedervereinigung einräumte, die entscheidende politische Maxime von CDU/CSU fest, die noch weit über seine Kanzlerschaft hinaus wirkte. Gleichzeitig erkannte auch die Union die Überwindung der deutschen Teilung als ein politisches Fernziel an, das jedoch im Sinne der Magnettheorie über die Anziehungskraft eines politisch stabilen, wirtschaftlich prosperierenden westdeutschen Staat erreicht werden sollte, während der DDR jegliche staats- und völkerrechtliche Anerkennung verwehrt wurde. Um die Voraussetzungen für die deutsche Einheit langfristig zu schaffen, sei ein Souveränitätsgewinn durch Wiederaufnahme in die westliche Staatengemeinschaft von Nöten, der über die Westintegration erreicht werden sollte. Die SPD, die einen Primat der Wiedervereinigung propagierte, sah im Vorgehen des Kanzlers einen Verrat deutscher Interessen zugunsten internationaler Mächte – diese Haltung kulminierte in der Bezeichnung Adenauers als „Kanzler der Alliierten“ im Rahmen der Aussprache des Bundestags am 24./25. November 1949.
Folgen des „Petersberger Abkommens“
Rückblickend gilt das „Petersberger Abkommen“ als Zugewinn von Souveränität und als ein bedeutender Schritt der Bundesrepublik zurück in die internationale Politik. Es zeichnet die Ambivalenz des Abkommens, aber auch die internationale politische Lage der Nachkriegszeit aus, dass die Bundesrepublik im Gegenzug zu diesem Souveränitätsgewinn durch den Beginn der europäischen Integration auch Souveränitätsrechte an erste supranationale Organisationen, wie die Ruhrbehörde, delegieren musste. Auch anknüpfend an das „Petersberger Abkommen“ entwickelten sich die 1950er-Jahre zum Jahrzehnt der Europäisierung, etwa mit dem Inkrafttreten des Vertrags über die Gründung einer „Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (Montanunion) 1951 und mit der Schaffung der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG) und der „Europäischen Atomgemeinschaft“ (Euratom) durch die „Römischen Verträge“ 1957/1958. Als entscheidende Säule der Integration fungierte neben gouvernementalen Aktionen wie den Initiativen von Adenauer und dem französischen Ministerpräsidenten Charles de Gaulle auch das zivilgesellschaftliche Engagement für Städtepartnerschaften und Jugendtreffs.
Die parlamentarischen und (in geringerem Maße) außerparlamentarischen Diskussionen über das „Petersberger Abkommen“ waren in der jungen Bundesrepublik der Kulminationspunkt zweier gleichzeitig zunächst unvereinbarer Zielperspektiven für Westdeutschland. Erst mit der deutschen Einheit 1989/1990 konnte der Gegensatz von Westbindung und Wiedervereinigung endgültig aufgelöst werden.
Vertiefende Informationen zu den Ereignissen des Jahres 1949, dem Jahr der doppelten Staatsgründung auf deutschem Boden, erhalten Sie hier.