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22. Juli 1942: 80. Jahrestag des Beginns der Räumung des Warschauer Ghettos

Als das Deutsche Reich am 1. September 1939 Polen überfiel, lebten in der Hauptstadt Warschau ca. 380.000 Jüdinnen und Juden. Sie machten 30 Prozent der damaligen Stadtbevölkerung aus. Mit der Eroberung Warschaus Ende September begannen Zwangs- und Gewaltmaßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung, die, nach ersten Versuchen der Absonderung, schließlich am 2. Oktober 1940 zur Errichtung des Warschauer Ghettos führten. Alle Jüdinnen und Juden hatten innerhalb von sechs Wochen in das Gebiet zwischen dem Bahnhof Warszawa Gdańska, dem Hauptbahnhof Dworzec Główny und dem Jüdischen Friedhof zu ziehen. Die nichtjüdischen Bewohnerinnen und Bewohner dieses Areals wurden in anderen Stadtteilen untergebracht.

Leben im Ghetto

Das Leben im Ghetto war gekennzeichnet durch Gewalt, Hunger, Krankheiten, Elend und Tod. Immer mehr Menschen aus dem eroberten Polen, anderen osteuropäischen Ländern und aus Teilen des Deutschen Reichsgebiets wurden in das Ghetto verschleppt, sodass sich die ohnehin schlechten Lebensbedingungen weiter verschärften. Über den Zeitraum des Bestehens des Warschauer Ghettos mussten insgesamt ca. 500.000 Menschen dort leben.

Wie in anderen Sammellagern dieser Art richteten die Nationalsozialisten auch im Warschauer Ghetto eine nominelle Selbstverwaltung in Form eines sogenannten „Judenrats“ unter dem Ältesten Adam Czerniaków ein. Der „Judenrat“ nahm die Funktion ein, die deutschen Verwaltungsstellen mit den Menschen im Ghetto zu verbinden. Seine Aufgaben umfassten die Armenfürsorge, alltägliche Ordnungsdienste in Form einer unbewaffneten Polizei, aber auch die Einhaltung der Arbeitsbestimmungen. Dem „Judenrat“ war es ebenfalls übertragen, die von den Nationalsozialisten geforderte Anzahl an Menschen zusammenzustellen, die in das Vernichtungslager Treblinka deportiert werden sollten.

Das Ghetto war ab November 1940 mit einer Mauer abgeriegelt. Die Bewachung an der Außenseite leisteten deutsche und polnische Polizeikräfte. Im Inneren war der „Judenrat“ für die Einhaltung der aufgezwungenen Regeln zuständig. Die Abriegelung war allerdings nie so vollständig, dass nicht Schmuggeltätigkeiten, sowohl von Nahrung als auch später von Waffen für den Aufstand 1943, stattfinden konnten.

Die Menschen im Ghetto waren gezwungen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Ihre Lebensmittelzuteilung durch die deutschen Besatzer Warschaus betrug täglich nur 184 Kalorien. Nachdem die deutschen Behörden privates Eigentum beschlagnahmt hatten, mussten die Bewohnerinnen und Bewohner Zwangsarbeit in Betrieben außerhalb des Ghettos leisten. Diese Tätigkeiten außerhalb des Ghettos wurden immer weiter eingeschränkt und auf Zwangsarbeit im Ghetto verlagert. Wer eine sogenannte „Zwangsarbeitererlaubnis“ besaß, war zumindest zeitweise vor einer Deportation, etwa nach Treblinka, geschützt.

Trotz der menschenunwürdigen Zustände und Behandlung entwickelte sich ein kulturelles Leben im Ghetto, das hauptsächlich im Untergrund stattfand. Es wurden Konzerte und Lesungen organisiert, eine Jugendabteilung des „Judenrats“ versuchte sich, um die Kinder im Ghetto zu kümmern. Von herausragender Bedeutung ist das Archiv des Historikers Emanuel Ringelblum, welches er und seine Mitstreiterin und Mitstreiter im Untergrund anlegten. Die gesammelten Berichte legen ein wertvolles Zeugnis über das Schicksal der Jüdinnen und Juden im Warschauer Ghetto ab.

Die Räumung des Ghettos

Im Zusammenhang mit der sogenannten „Aktion Reinhardt“, der systematischen Ermordung aller Jüdinnen und Juden sowie Romnja und Roma in den besetzten polnischen Gebieten, begannen die SS-Einheiten am 22. Juli 1942 mit der Räumung des Warschauer Ghettos und der Deportation der Menschen in die Vernichtungslager, vor allem nach Treblinka. Bei den Selektionen und Deportationen gingen die Nationalsozialisten sehr brutal vor und ermordeten viele Jüdinnen und Juden sowie andere Eingesperrte, etwa Romnja und Roma und Sinti und Sintize, noch im Ghetto. Aufgrund der immer weiter fortschreitenden Deportation verkleinerten die Nationalsozialisten das Ghetto, das nun kein zusammenhängendes Gebiet mehr war. Dies bedeutete, dass die Übriggebliebenen zum Teil räumlich von ihren noch lebenden Angehörigen und ihren Zwangsarbeitsstellen getrennt waren, was ihre Überlebenschancen verkleinerten. Nach mehreren Deportationen und Verkleinerungen bis Anfang 1943 lebten noch schätzungsweise 70.000 Menschen auf dem Ghettogebiet.

Aufstand im Warschauer Ghetto

Vielen Überlebenden der bisherigen Deportation war klar, dass die endgültige Räumung kurz bevorstand. Als die letzte Deportation für den 19. April 1943 angekündigt wurde, beschlossen die Mitlieder der Jüdischen Kampforganisation unter ihrem Anführer Mordechaj Anielewicz den bewaffneten Aufstand gegen die Nationalsozialisten. Die Vorbereitungen und Planungen dafür hatten schon im Sommer 1941 begonnen. Auf unterschiedlichen Wegen und unter großer Gefahr wurden Waffen in das Ghetto geschmuggelt und Kämpferinnen und Kämpfer in der Guerilla-Taktik geschult. Trotz der zahlen- und waffenmäßigen Unterlegenheit erreichten die Jüdische Kampforganisation einen Rückzug der SS und der Waffen-SS.

Vernichtung des Warschauer Ghettos

Erst nach der Rückkehr mit schwerem Gerät und verstärkten Truppen konnte der Aufstand eingedämmt werden. Er endete schließlich, als die Nationalsozialisten am 16. Mai 1943 das Ghetto vollständig niederbrannten, die noch verbliebenden Menschen entweder vor Ort ermordeten oder nach Treblinka deportierten. Nur Wenige konnten durch präparierte Kanäle entkommen, dazu zählten auch einige führende Mitglieder der Jüdischen Kampforganisation. Auch wenn diese die Deportation nicht verhindern konnte, hat sie sie über mehrere Wochen verzögert und gezeigt, dass es jüdischen Widerstand gab. Der Aufstand diente anderen jüdischen Untergrundgruppen als Vorbild. So erhoben sich meist jüdische Jugendliche am 3. September in Będzin - Kamionka, Sosnowiec – Środula und am 16. September 1943 im Ghetto Białystok.

Erinnerung an das Warschauer Ghetto

Bereits 1946 wurde auf den Ruinen des Warschauer Ghettos ein Ehrenmal errichtet. Ein Jahr später entwarf der jüdische Bildhauer Nathan Rapaport ein Ehrendenkmal aus einem Steinblock, den Albert Speer für ein Siegesdenkmal vorgesehen hatte. Die 11 Meter hohe Stele, aufgestellt an der Stelle des ersten Ehrenmals, zeigt eine Figurengruppe und ist von zwei jüdischen Leuchtern flankiert. Als zentrale Figur ist Mordechaj Anielewicz zuerkennen. Das Ehrenmal erhielt vor allem in Deutschland durch den Kniefall Willy Brandts große Aufmerksamkeit. Das Warschauer Ghetto steht heute stellvertretend für die menschenverachtenden Ideologien und Taten der NS-Diktatur in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten.

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